Hollquick – Kapitel 10

Hollquick – Kapitel 10

Sie rennen an mir vorbei, wenigstens 50 Gäste der Party. Sind die anderen tot oder wurden sie nur nicht eingeladen.

Ein paar Orks feuern missmutige Salven in die weißen Wände. Sie brüllen „Nach oben, nach oben“, als ob das die einzigen Worte sind, die sie kennen.

Wo ist Griseldis?

Ich sehe sie nicht, hat sie Ruber noch immer in seiner Gewalt?

Der Fahrstuhl!

Ich schreie laut: „PLING!“

Die Orks stoppen ihr Waffen, starren sich an, kratzen sich gegenseitig die Stirn.

„PLING! Ich bin ein Opfer!“, rufe ich, während ich mich hinter einer elfenhohen Zimmerpflanze verstecke.

Die Orks stampfen heran. Blicken sich um.

„PLING! Die Fahrstuhltür öffnet sich nicht. Bitte öffnen, danke!“

Sie lächeln und nicken und zerren die Tür auf.

Da ist nur kein Fahrstuhl.

Verwirrt blicken sie in die Tiefe.

Ich trete sie, einmal, zweimal. Sie drehen sich um, starren mich mit ihren untertassengroßen Augen an.

„Ihr müsst jetzt fallen“, flüstere ich und deute nach unten.

Es dauert etwas, bis sie begreifen, dass Gravitation existiert und dann segeln sie nach unten. Irgendwo in der Ferne kracht es.

Ich bin auf dem Dach, umgeben von Leuten. Sie starren mich in Panik an, manche kreischen sogar. „Wo ist Griseldis?“

„Wer? Wer sind Sie? Terrorist?“

„Ich bin Hollquick, verdammt.“

„Wer?“

Da arbeitet man 15 Jahre im Unternehmen und keiner kennt einen. Lachhaft.

Ich feuere eine Salve in die Luft. Langsam reagieren sie. „Ach, der Elf. Ja, genau. Lang nicht gesehen, wie gehts?“

Aus der Ferne schiebt sich etwas heran, ein Objekt, das die Nacht noch schwärzer erscheinen lässt.

„Runter mit euch!“

„Aber wieso? Hier ist es doch hübsch, tolle Aussicht.“

Maschinengewehrfeuer der Marke „Zwergenalarm“ rollt heran. Das EFBIEYE ist hier. Aber sie feuern in die falsche Richtung.

Wer feuert ist Karol. Seine gelbe Perücke flattert im Wind, als wäre er ein Meisterrasierer für PC. Personelle Computer. Wer nicht weiß, was das ist, sollte seine Brille anwerfen.

Ich feuere zurück, treffe sporadisch, will ja keine Kollegen treffen.

Der behördliche Metalldrache fliegt heran. Musik aus alten Filmen wird über Lautsprecher in die sonst so stille Weihnachtsnacht gepustet, aber wir sind nicht in NAM und es gibt Regeln, verdammt.

Der Metalldrache dreht ab und fliegt noch einmal davon – ich sehe irgendwo den von Lyke geliehenen Statusdrachen herumfliegen, er legt eine hübsche Silhouette vor den aufgehenden Weihnachtsmond – ähnlich unserem Zweitmond, den Leute als Erde bezeichnen, weil sein Schatten so aussieht, als wäre er eine Scheibe Toast auf dem Rücken von Elefanten und darunter eine Schildkröte, aber das täuscht. Ich fange jetzt keinen Beweis an, wieso die Welt eine Calzone ist – und sehe, dass Karol weiterfeuert. Und jetzt nicht mehr. Denn er hat seine Waffe verloren und brüllt mich an. Offenkundig will er kämpfen. Ich kann das nicht. Bitte nicht. Ich bin zwar groß und fett, aber ich habe mich nie geschlagen, besonders nicht mit einem Ork.

Er packt seine Fäuste in Weihnachtspapier und zerrt an seiner gelben Perücke. Er schreit Flüche in tiefstem Heavy Metal, aber am Ende klingt für mich die Sprache stets nach einem Fluch und greift an. Er schlägt zu. Ich will ausweichen, bekomme aber die zweite Faust direkt in den Nacken. Er lacht, krümmt sich, starrt in den Himmel, auf dessen Leinwand der Kampf Metalldrachen gegen Luxusdrachen gespielt wird. Ich rolle vor einem seiner Stiefel davon, die kleiner sind als die meiner Schwester, und trete ihm in die Kniescheiben.

Doch er ist gepanzert. Gut für ihn. Doch er taumelt und ich trete noch einmal zu, richte mich auf und schreie ihn an. Auch in Heavy Metal. Ich mag die Sprache, aber … ich bin doch nicht blöd genug, sie zu „kennen“, ohne dass ich dafür bezahlt werde.

Für einen Augenblick glaubt er, ich wäre sein Opa und begrüßt mich freudestrahlend. Sein Gebiss jault, aber er hat bessere Zähne als Rans Ruber aka. Rallan Ickman oder so in der Art. Ich nehme Anlauf, springe ihn an, er taumelt zurück, packt mich aber und zieht mich mit sich. Wir fallen die Treppe hinunter. Offenkundig merkt er, dass ich gepolsterter bin als er, also bekomme ich die blauen Flecken und er behält seine goldene Perücke.

Der Raum ist leer, aber hier hängen irgendwelche Ketten herum, sicher für die Kettenraucher. Er zerrt eine Kette heran und rollt sie mir über den Hals, zerrt daran, zerrt noch mehr daran. Seine Augen werden groß, als ich nicht blau werde oder huste. Dafür wird seine Haut noch blauer und er beginnt zu husten. Es dauert lang genug, zu verstehen, dass nicht ich gewürgt werde. Was für ein Idiot. Ich stehe auf, packe die Kette, zerre das untere Ende durch den Raum, er hängt darin und überlegt sicher für die nächsten Jahre, was er falsch gemacht hat.

Die Treppe hinauf! Die Waffe geholt. Die Waffe gesichert. Jetzt kann ich zu Griseldis. Oder nach Hause. Meine Chancen bei dieser Frau sind eh nur gewachsen, weil Uto tot ist. Oder untot. Ich weiß nicht, ob sein Kopf in einem Glasbehälter weiter kewl genug wirkt für eine Beziehung, vermutlich aber schon.

„Hallochen“, brüllen die Maschinengewehre des Metalldrachens, blaue Blitze schlagen um mich herum ein.

„Hey, ich bin kein Terrorist“, brülle ich, weiß aber im selben Augenblick, dass sie mich sowieso nicht hören. Hätte ich einen Anzug an, dann würde man mich zwar trotzdem erschießen, aber „versehentlich“ und „Collateralschaden“.

Ich springe von der Landefläche auf die zwei Meter entfernte Unterebene, wo ich heute schon war und wo Ruber und seine Lakaien die C4-Kaugummi-Packungen angebracht haben.

Der Drache brüllt weiter blaue Geschosse in meine Richtung. Wohin?!?

Ich sehe einen Wasserschlauch in der Wand hängen, man frage mich, wieso aber sicher, um den Luxusdrachen zweimal pro Tag zu waschen, was jetzt nix mehr bringt, denn er fliegt gerade an mir vorbei, die Augen geschlossen. Und flügellos durch die Nacht. Wird also eher in Richtung Abwrackprämie laufen.

Ich packe den Schlauch. Binde ihn um meinen Bauch. Er passt gerade so, ein Doppelknoten wird das sicher nicht.

Der Maschinendrachen greift wieder an.

Eine Stimme bohrt sich in die Finsternis hinaus. Ruber grinst. Ich höre seine Zähne.

„Zeit, für ein Weihnachtswunder. Say Hallo zu meinem kleinen C4-Freund.“

Billige Sprüche mit großer Wirkung. Ich springe proaktiv in die Tiefe. Hinter mir jault der Metalldrache. Ein paar Zentner C4 gehen fast gleichzeitig in die Luft. Ich kann meinen Schatten auf dem Boden erkennen, während über mir der Himmel in Flammen aufgeht.

Der Metalldrache kreischt und explodiert. Auch die beiden Agenten des EFBIEYE überleben den Absturz nicht, sie sausen in die Tiefe, ihre Anzüge tragen die üblichen Embleme von „Tod von Oben“ und „Ich liebe den Geruch von Morgen im Napalm“, ihre Sonnenbrillen sind ihre Augen und ihre magischen Gewehre werden so lang liebkost, bis sie unten aufschlagen.

Und sicher nicht aufsteigen. Golems zerbrechen.

Ich schlage mit der Schulter an ein Fenster. An mein Fenster. An das Fenster, aus dem ich sonst in die Gegend starre, während ich von einem Leben im Luxus träume, doch diesmal bin ich draußen und träume von Sicherheit, Weihnachtsgratifikation und Griseldis.

Um mich herum regnet es Splitter. Vielleicht hat das C4 direkt den Himmel oder den zweiten Mond verletzt, denn das Muhen eines untoten Elefanten ist nicht zu überhören. Ich schiebe mich mit meinen blutigen Füßen vom Fenster weg. Schwinge zurück. Knalle gegen Glas. Weitere Bruchstücke des Universums rollen heran. Ich springe erneut. Schwinge zurück, nichts.

Ein Lila Elefant bleibt hinter mir in der Luft stehen und betrachtet mich. Ich springe erneut, jage eine Salve ins Fensterglas und endlich lässt es mich ins Büro.

 

Ich zerre mich an einem Tisch hoch. Betrachte die Wände. Ich höre mich sogar Grinsen. Dann werde ich von meinen Füßen gezerrt.

Ein Stück Dach, das an dem Wasserschlauch hängt, möchte gerne, dass ich ihm in die Tiefe folge. Es tippt auf seine Uhr, als hätte es einen Termin. Verdammt! Ich versuche, den Einzelknoten zu öffnen, aber der ist schon mit meinem Hemd verschmolzen. Das Dach segelt nach unten, nimmt mich mit sich. Ich schiebe meine Füße gegen alles, was ich finden kann. Stühle. Tische. Zimmerpflanzen. Weihnachtskalender. Den leeren Süßigkeitenautomat. Nichts hilft. Nichts … Ich bekomme ein Visionum zu fassen. Das Gesicht darauf kommt mir bekannt vor. Habe ich vorhin wirklich die Kundin in Warteschleife gelegt.

„Also?“, fragt mich eine wohlbekannte Stimme. „Ich warte …“

„Vielen Dank für Ihre Geduld. Ich bedaure die Verzögerung …“

„Also …“

Ich zerre das Visionum zu Boden, schlage es gegen einen Tisch. Es geht nicht kaputt genug, ohne dass die Kundin meinen Versuch mitbekommt.

„Sie müssen es gegen eine Wand werfen“, teilt sie mir mit.

„Danke.“

Ich folge ihrem Rat. Da hilft auch keine Garantie mehr. Das Visionum explodiert mit Feuer und Flammen und irgendwo in der Ferne höre ich den Gesichtslosen, der sich aufmacht, um die Gewährleistung zu diskutieren.

Die Splitter liegen glimmend am Boden. Ich zerre einen heran, er glüht noch. Ich schneide den Schlauch entzwei.

„Schade“, murmelt das Dach und schwebt davon.

Griseldis. Und Rans Ruber. Und der IT-Typ. Und … wer noch? Ich muss sie retten. Irgendwie. Dann kann ich wenigstens von mir behaupten, ich hätte einmal versucht, bei ihr zu landen.

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