Der Tropfen

Der Tropfen

Moleküle verschmelzen, sammeln sich, wachsen, werden eins, werden zu einem

Tropfen.

Schwerer und schwerer wird dieses filigrane Gebilde, diese unsichtbar transparente Menge an Unendlichkeiten, bis die Schwerkraft sie von der Stelle reißt, an der sie gewachsen ist, sie aus dem Zentrum der eigenen Existenz in die Tiefe mitnimmt.

Beschleunigungen lassen die dünne Haut des Tropfens flattern, lassen winzige Flügel wachsen, Fallschirme, dünner als der Atem eines Schmetterlings, doch unaufhaltsam wirkt die Welt, die trilliardenfach größer scheint.

Der Tropfen zersplittert beim Aufprall auf eine grüne Nadel aus Tannenstaub, beugt sie, lässt sich brechen, davonsegeln, von einer Brise getragen, wenige Meter weit, bis sie an einer Fichte zerschellt, abstürzt, eine tödliche Geschwindigkeit erreicht und

im offenen Mund einer schlafenden Katze landet. Sie öffnet ein Auge, ein weiteres, ein drittes – unsichtbar nur – und aufgeschreckt von ihren Bewegungen blickt ein Eichhörnchen mit aufgestellten Ohren in die Richtung des Zeltes, das im Sonnenlicht die Form eines rotglühenden Scheiterhaufens angenommen hat. Adrenalin und Endorphine jagen durch die Adern der beiden Geschöpfe und schneller als Gedanken einer intelligenten Art sein könnten werden Impulse geweckt. Die Katze spring, das Eichhörnchen umso schneller. Beim Sprung erwischt die Katze mit ihrem Schwanz das straff gespannte Seil, der die Stoffe des Zelts in Form halten soll, doch jemand hat den Hering nicht korrekt in den Waldboden gehämmert – vermutlich einen Stein übersehen, man hätte auch gerne am Strand Urlaub machen können, aber Geld gespart ist Geld gewonnen und außerdem ist der Wald viel schöner, gerade jetzt im Hochsommer, wo das Licht so wunderschön leuchtet und außerdem gibt es viele Käfer zu beobachten – und lässt die 99,95 Euro teure Kombination aus Stoff, Seilen, Heringen implodieren, weil die Kräfte der Statik völlig zusammenbrechen, was dazu führt, dass wildes Geschrei aus dem Inneren der zerfallenden Festung ertönt. Menschen – zwei – und Hund tummeln sich in diesem Chaos, bis jemand – die Ehefrau – den Weg nach draußen findet, der Hund – ein Dackel mit einer Vorliebe für Fuchsjagd und marinierten Hering – folgt und, weil er stolpert und seine Lupe verliert, der Mann, ein Professor, namenlos – weil sinnlos für das Geschehen.

»Bernd«, hört man schallen, was zu heftigen verbalen Keilereien sorgt sowie – nach Augenblicken sinnlosen Streits – zum Zusammenpacken der Zeltreste und dem Davonrasen – 2 Menschen, Hund – , während die Katze und das Eichhörnchen so tun, als wären sie Figuren aus einem Trickfilm und herumtollen, als wären sie … naja, Figuren aus einem Trickfilm, während eine Lupe auf dem Boden liegt. Es ist eine schöne und gute Lupe und auch wenn sie hässlich und schlecht wäre, so wäre sie weiterhin eine Lupe, was im Rahmen des Sonnenlichts dazu führt, dass innerhalb kurzer Zeit winzige Funken am von trockenem Moos bedeckten Waldboden lecken.

Es dauert nur einige Stunden und Flammen reißen und fressen Stück um Stück des Bodens, der Bäume, die nichts tun können außer herumzustehen und zu warten, dass ein Regen – von Natur oder Mensch geschaffen – sie vom Übel befreit, doch treibt der Wind die brennenden Nadeln der Bäume immer höher hinauf in den Himmel. Die meisten verglühen, doch einige treibt es weiter in die Ferne – sei es Neugier oder blanker Überlebenswille.

Doch was hört man da? Das Schnattern von Zugvögeln? Das Donnern einer Libelle? Nein, es ist ein Helikopter im Tiefflug. Doktor T (Theophilus T.) schläft auf der Rückbank der überladenen Maschine. Die Welt wartet auf ihn und seine Erfindung, eine Möglichkeit, die Welt mit Atomenergie zu versorgen, ohne dass es nuklearen Abfall gibt – dafür Unmengen von Eiskrem. Er erwacht auf nicht, als die Piloten, die sich bis vor 2 Minuten über italienische Splatterfilme unterhalten haben, anfangen, wütend zu diskutieren, welcher denn gemeiner sei – allerdings kann niemand mehr den Namen der Filme herausfinden -, als die brennenden Tannennadeln durch die Luftschlitze ins Innere des Helikopters gezogen werden und im Nacken des Piloten landen, der natürlich beginnt, das unangenehme Brennen lindern zu wollen, was aber bei der Nutzung des teuren Aftershaves nicht gerade einfach ist, denn Alkohol und ein Wollschal – er hat eine Bronchitis, sagte es aber keinem, weil man sich sonst Sorgen machen würde – wirken wie Zunder.

Doktor T, dem die Flammen aus dem Cockpit nicht auffallen, findet sich erst wieder zurecht, als er von seiner liegenden in eine schwebende Position und innerhalb von Sekundenbruchteilen in eine zerbrochene Position wechselt. Flammen und Rauch umhüllen ihn und die Gedankenblöcke, die seinen Geist durchwandern – wie die Geschichte seines Lebens und eigentlich wollte er Eisverkäufer werden – sind unzusammenhängende Ereignisse, während sein Körper in Reflexen herumtanzt. Der Koffer des Miniaturatomkraftwerks hat sich natürlich durch den Aufprall geöffnet – wie könnte es auch anders sein – und die verkrampfende Faust trifft den winzigen Ball, der als Brennkammer dient. Hitze und Einschlag bewirken, dass mehrere Neuronen aus Spaß beginnen, herumzuwandern und sich gegenseitig aufs Maul zu geben, was dazu führt, dass die Prügelei ausartet, als wäre man in einem Saloon aus einem Western. Doch anders als im Film kriecht am Ende etwas aus einem Atomkraftwerk, denn die Kugel bohrt sich in den Boden, während sie sich immer mehr erwärmt, bis sie … nun ja, wir sind im Yellowstone Nationalpark und wie jeder weiß …

Während also der Tropfen aus Wasser langsam im Sonnenlicht verdampft, zeigt die Kugel aus dem Koffer unseres Doktors dem Supervulkan Yellowstone, wie man so richtig Spaß hat. Wobei: Nukleare Supervulkane machen einfach keinen Spaß. Dafür jagt die Katze noch immer das Eichhörnchen … wie in einem Trickfilm halt. Nur jetzt leuchten beide. Wie im Trickfilm halt.

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