Das Tor des Sawta Klaws – 8

Das Tor des Sawta Klaws – 8

Das Zimmer oder die Wohnung, die sich ihnen offenbarte, trug den Abdruck eines Jungesellen. Nicht nur, dass der Geruch an den vergilbten Versandhauskatalog einer zugemauerten Zelle erinnerte, auch die Kleidung lag über verschiedene Stühle gehängt, als würde man sie zeitnah wieder gebrauchen und als wären sie noch zu gut für die Waschmaschine.
So im Ganzen war es für Rolf enttäuschend. Er hatte sich vorgestellt, dass das Turmzimmer, das sich ihm und seinen Begleitern offenbarte, mehr zu bieten haben würde. Dinge wie eine Kristallkugel, die auf einem Dreibein thront. Oder sich bewegende Malereien an den Wänden. Oder Stapel und Regale voller Bücher, die mit Ketten befestigt wurden, damit sie nicht fliehen konnten. Er hatte in der Ecke einen Tisch vermutet, belebt mit alchemistischen Zeichnungen und Erlmeierkolben, die leise vor sich hinblubberten und regelmäßig glitzernde Dampfwolken ausstießen. Darüber ein Regal mit metallenen Klingen zur Zerteilung magischer Tiere.
Davon war nichts zu sehen.
Genauer gesagt hätte dies hier auch seine Wohnung sein können, wenn er nicht so ordentlich gewesen wäre, was er nur war, weil er noch immer an den Spruch dachte: »Ein ordentlicher Raum ist ein ordentlicher Verstand« – und ein leerer? Egal. Jedenfalls wanderten seine Begleiter durch den großen Raum, der um die 10 Meter pro Seite lang war und fast 5 Meter hoch, gekrönt von einer alten Lampe. Rolf suchte den Lichtschalter und fand ihn. Wer auch immer die Stromrechnung bezahlte, tat es noch immer. Vielleicht haben Zauberer einen Dauerauftrag und eine Art Rente?
Die anderen schraken vor der Lichtquelle zurück. Annea bedeckte ihre Augen und selbst Kingsur musste seine Hand vom Griff seines Schwerts wieder lösen, als Rolf seine Hände hob. »Alles in Ordnung, Freunde.«
Es dauerte einige Minuten, bis sie alle ruhiger wurden. Offenkundig trug das Bild des Zauberers in ihrem Herzen boshafte Züge, und Rolf wusste noch immer nicht, wie er aussah. Er öffnete eine Tür, die grell vor den dunkelgrau bemalten Wänden hing. Vor ihm lag ein Flur. Die anderen sahen ihn offenkundig nicht, sondern wanderten noch immer fasziniert durch die Altbauwohnung, so sah Rolf es zumindest.
Der Flur bog nach einigen Schritte nach rechts ab und landete in der Küche. Auch dort sah es so aus, als würde der Mieter etwas erwarten. Die Teller waren fast sauber und das Besteck lag so halb auf dem Buffet, so dass man eigentlich erwartete, er würde aus dem Klo auftauchen, weil er eine Pizza bestellt hatte, deren Bote gleich klingeln würde. Hinter dem Fenster war es halbdunkel. Rolf betrachtete sich selbst, doch das Fenster war etwas verdreckt, genauer gesagt, war es lebensrettend-verdreckt. Vögel müssen leben.
Er betrat das Bad. Altbau. Einen halben Meter breit, dafür 10 Meter lang. Er schob sich an das Waschbecken und betrachtete sich selbst. Endlich, nach nur 2 Tagen, konnte er sich sehen.
Er war alt. Und doch nicht. Es schien ihm, als würde ein alter Mann ihn anschauen, aber das war er nicht selbst, das war eine Maske aus Fleisch oder Magie. Er hatte einen Bart, aber der war kurz. Seine Stirn lag in Runzeln, eine gemeine tiefe Klinge hatte den Abdruck zusammengezogener Augenbrauen hinterlassen. Sein Mund war klein und schmal und seine Nase auch vom Alter verdorrt. Fast schon war Rolf geneigt zu sagen, dass er seinem künftigen Ich entgegentrat, das im Gegensatz zu Annea nicht aus zwei Leuten gleichzeitig bestand, die sich gegenseitig in den Hintergrund zerrten.
»Was suchen wir eigentlich?«, fragte er sein Spiegelbild.
Sein Spiegelbild zuckte mit den Schultern.
»Ich habe damals den Turm verlassen, weil im Norden der Sawta Klaws ausgebrochen ist. Ich wurde geradezu aus meiner Wohnung gezerrt. Man sagte mir, es wäre ein normaler Auftrag, ein üblicher, gut bezahlter Auftrag. Finde den Sawta Klaws und zerre ihn hinter die Lebkuchentür zurück, wohin er auf ewig verbannt wurde. Das war das letzte, an das sich diese Wohnung erinnern kann. Sie enthält einen Abdruck des Zauberers, das Bild seines Geistes, seiner Seele. Deshalb finden die anderen auch nichts. Du wirst etwas finden müssen.«
Die Stimme seines Spiegelbilds erlosch und es wurde kühl im Raum. Das Fenster stand offen. Hinter dem Fenster bewegten sich die Bäume und zwischen den Bäumen bewegten sich Büsche, große grüne Büsche mit Waffen.
Einer der Büsche trug das Gesicht Ruprekts. Es war bitter und rot und trug noch immer den Abdruck seines Treffers mit dem Wirtshausboden.

»Die Elfen sind da«, teilte Kingsur mit, als in den Raum zurückblickte, den Rolf gerade wieder betreten hatte. »Und wir haben nichts gefunden.«
»Was sucht ihr denn überhaupt?«, fragte Rolf.
»Etwas über Sawta Klaws. Wo die Tür ist. Wo die Schlüssel sind. Die Schlüssel sind eindeutig nicht hier.«
»Natürlich nicht. Sie wurden sicher mitgenommen, als … ich? Als Hikikomori in einer Nacht-und-Nebel-Aktion aus dem Haus auf ein Pferd gezerrt wurde, um die Tür zu schließen. Und Sawta Klaws zu fangen.«
»Ach, das weißt du?«, fragte Marie. »Dann weißt du mehr als wir. Was ich nicht anders erwartet hatte. Wir werden uns um die Elfen kümmern, du finde deinen Kram, deine Informationen. Ja?«
Rolf konnte nur noch nicken, während die anderen davonstürmten.
Hier draußen gab es keine Soldaten, die eingreifen konnten.
Und hier drinnen gab es noch weniger.
Rolf setzte sich auf einen Stuhl und betrachtete die Umgebung. Hinter den Fenstern konnte er Rufe hören, Schreie, konnte das Hämmern des Hammers, das Klirren der Klingen hören, das Surren irgendwelcher Waffen. Licht blitzte auf, benetzte die Bäume mit blauem Licht, die daraufhin nur Echos hinterließen. Es mussten nicht gerade wenige Angreifer sein, denn offenkundig hatten seine Bekannten Probleme.
Er musste sich beeilen.
Er starrte zu Boden.
Die Fliesen unter ihm, geschaffen aus Teppichresten, waren in Mustern angelegt, die chaotisch wirkten, doch wenn Rolf aufhörte, sie zu fixieren, wandelten sie sich, wurden eins, bewegten sich sogar, erzeugten so etwas wie einen Film, den er nicht verstehen konnte. Doch nichts anderes hier in dieser Einöde von Zimmer wirkte anziehender als das unter ihm. Und so starrte er in die wandelnde Suppe, die bald seine Füße überflutete. Worte und Gefühle krochen vorsichtig durch seine Sinne in seinen Kopf hinein, als würden sie sich nicht trauen, als würden sie ihm nicht vertrauen. Doch am Ende taten sie es doch.

Doch als er aufstand und aus dem Zimmer wanderte, die Treppe hinunter und aus der Tür hinaus, war er allein, allein in der Finsternis eines sterbenden Tages.

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