Das Tor des Sawta Klaws – 4

Das Tor des Sawta Klaws – 4

Ihre Masken blitzten. Ihre Hände zuckten. Zorn, kalter Zorn noch dazu, rollte über die Straße wie ein Staubteufel während eines alten Westerns. Irgendwo in der Ferne tönte eine Glocke, schlug die Zeit, prügelte die Stunden in die kalte Luft hinaus. Der Himmel war so grau wie die Umgebung, alles schien aus Asche zu bestehen. Nur die grünen Kapuzenmäntel der Männer vibrierten vor der endlosen Dämmerung.
Die Männer warteten auf einen Befehl, irgendeinen Schrei, irgendein Zeichen. Doch da war nichts. Ihr Chef lag im Wirtshaus, ertränkte seine Maske in Apfelbier, blubberte dicke Blasen aus seinem halbverdeckten Mund, dessen umgebende Haut weiß ausgesehen hatte, als wäre er ein Schneemann.

Dann ein Signal. Die Männer zuckten, aber sie bewegten sich nicht. Sie hoben nur ihre Köpfe wie Hunde, die etwas schnüffeln, irgendetwas gefährliches. War es Annea, deren Hände flimmerten? War es Marie, deren Hammer knirschend über den Boden kroch? War es das leichte Kichern des Diebes?
Es waren schwarze Figuren zu erkennen, die sich hinter den Häusern sammelten und nach vorn marschierten. Größere Wesen in hellem Gewand gingen ihnen voran. Es waren Reiter. Ihre Kleidung war wirklich hell, fast schon metallen, doch unter diesem sterbenden Himmel wirkte selbst die Sonne nur wie der Abdruck eines vergessenen Stempels.
Die Reiter und die Soldaten in ihren schwarzen Rüstungen hinterließen Echos in der Luft, die sich erst auflösten, als sie, kaum vielleicht 20 Meter von den Kapuzenmännern zum stehen kamen.
»Zur Seite!«, brüllte ein Mann. Er öffnete sein Visier und brüllte es noch einmal, diesmal lauter.
Die Kapuzenmänner rührten sich erst nicht, dann bewegte einer von ihnen seinen Kopf und drehte ihn zu seinem Nachbarn, dieser zu anderen Männern, bis sie sich alle irgendwie in die versteckten Augen geblickt hatten. Sie nickten wortlos und rutschten vorsichtig zur Seite und machten so einen Gang frei.
»Euer Kult hat hier nichts verloren! Dies ist eine freie Stadt! Sie gehört der Gilde!«
Der Reiter mit hochgeklappten Visier und ein anderer Mann ritten durch den Gang, die anderen blieben zurück, blieben ohne Gesicht. Es mochten vielleicht 20 oder 30 Soldaten sein, ihre Menge blieb in der Farbe ihrer Rüstungen verborgen.
»Ihr seid hier nicht willkommen«, meinte der zweite Mann, der einige Ähnlichkeit mit Kingsur zu haben schien, aber das konnte auch ein Problem von Rolfs Unfähigkeit sein, mit Menschen allgemein umzugehen. Allein jetzt schon hatte er Probleme, sein Herz zu beruhigen, es wirkte deutlich älter als vorher, gefangen im Körper einer anderen Person, von der er nichts wusste. Aber seine Gedanken waren noch immer die seinen, was ihn vermuten ließ, nur für einen Augenblick jedenfalls, dass es wirklich eine Seele gab und Gedanken nicht in der Summe aus dem Neuronennetzwerk in seinem Kopf bestanden.
»Wer sagt das?«, fragte Marie. Ihre eisblauen Augen funkelten, doch ihr Mund schien von etwas anderem abgelenkt zu sein.
»Ich sage das«, antwortete der Mann. Er verzog das Gesicht. »Was für eine Bande von Herumtreibern. Ich hätte mehr erwartet.«
»Was?«, fragte Rolf. »Erwartet?«
»Wer ist euer alter Freund? Darf er überhaupt noch seinen Turm verlassen, so verlottert, wie er aussieht?«
Kingsur trat nach vorn und hob sein Gesicht.
»Darfst du überhaupt schon mit Erwachsenen reden?«
Der Mann mit hochgeklapptem Visier zuckte, seine Hand fuhr an den Griff seines Schwerts, doch sein Begleiter begann zu lachen, so laut, dass es Rolf in den Ohren schmerzte.
»Ich habe dich lang nicht mehr gesehen, Onkel.«
»Und ich dich auch nicht, Neffe. Du siehst noch immer so aus wie deine Mutter.«
»Besser als wie mein Vater, nicht wahr?« Der Mann lachte wieder und Kingsur schaffte es tatsächlich, in sein Lachen einzufallen, wenn gleich deutlich leiser.
»Wir haben gehört, dass ihr hier seid. Wir wissen nur nicht, wieso? Und wer ist der alte Mann?«
»Es ist unangenehm hier draußen. Und im Wirtshaus liegt einer von ihnen. Nennt sich Knecht Ruprekt.«
Der Neffe Kingsurs schüttelte den Kopf. »Sie sind überall. Reden von der Apokalypse, wie immer. Kommt mit zu uns in die Festung. Wir haben Wärme und Essen und Frieden vor diesen Idioten zu bieten.«
Kingsur nickte. »Ich wollte euch sowieso besuchen. Wir brauchen Karten und vielleicht einen Kundschafter oder jemand, der sich hier auskennt.«
»Warum?«
»Das erzähl ich dir lieber später.«
Kingsur drehte sich um. »Das ist mein Neffe, Leutnant Leblang.«
»Leblang?«, fragte Rolf.
»Ja. Leblang. Warum?«
Rolf schüttelte nur den Kopf. »Ich bin neu hier«, meinte er. »Ich kenne eure Philosophie nicht.«

Einige Zeit später schloss sich das Tor der Festung hinter ihnen. In den Mauern, die wenigstens 20 Meter hoch schienen und halb so dick sein mussten, herrschte ein Gewimmel wie auf einem Weihnachtsmarkt, nur mit deutlich Soldaten. Auch gab es hier keinen Glühwein, auch wenn Rolf einen vertragen hätte, einen aus der Mikrowelle, Tetrapack-gebastelt. Statt dessen standen an den Mauern Zielscheiben, Strohballen und alte stumpfe Waffen, die gerade nicht genutzt wurden. Es wurde marschiert und geschrien, Männer rannten Befehlen nach, während auf den Mauern selbst mehr oder weniger aufmerksame Soldaten die Gegend beobachteten oder sich heimlich unterhielten oder weniger heimlich auf die Neuankömmlinge herunterstarrten. Es lag etwas in der Luft, eine schlechte Anspannung, eine Grund-Nervosität, die umso größer wurde, je näher sie dem Hauptgebäude kamen. Hier musste Leblang und der Mann mit dem Visier Passworte nutzen, um in die inneren Mauern zu gelangen, während die Gruppe um Kingsur draußen warten durfte, bis sie endlich hineingebeten wurden.
Drinnen war es sauber und dunkel und kalt. Die steinernen Wände waren trocken, waren in Kalkweiß gehalten und hatten nur wenige Rauchklingen zu bieten, dort, wo sonst Fackeln brannten. Im Moment waren die Fackeln schwarz und leblos. Das Licht erreichte sie erst, als sie eine eichene Tür öffneten und eintraten.
Der Raum war recht niedrig und Rolf fühlte die Notwendigkeit, seinen Kopf einzuziehen, bemerkte jedoch, dass er offenkundig deutlich kleiner war als vorher. Offenkundig war sein neuer Körper nicht nur alt, sondern auch zusammengesackt. Die Schwerkraft der Zeit hing auf seinem Rücken und in seinem Fleisch und er war dankbar, dass er sich bald setzen konnte. Leblang gab einen Befehl und nach einigen Augenblicken wurde ein Tablet herangebracht, auf dem Krüge voller Wein standen.
»Leichtwein«, murmelte Marie. »Schlimmer als Wasser.«
»Schlimmer als Leichtbier«, antwortete Leblang. »Wir sind nicht am Hofe oder in der Drachentiefe, Frau Steinhaus. Wir sind meistens nüchtern.«
»Pah«, meinte sie. »Selbst unsere Kinder würden darauf verzichten.« Trotzdem nahm sie einen weiteren tiefen Schluck.
»Also, Onkel, warum seid ihr hier und was macht der alte Zauberer bei euch?«
»Wir suchen das Tor. Wir müssen es schließen.«
»Welches Tor? Sagt nicht …«
»Das Tor der Wachsamkeit.«
»Verdammte Scheiße«, antwortete Leblang. Er wiederholte den Fluch noch ein paar Mal, bis er keinen Atem mehr dazu hatte.

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