Das Tor des Sawta Klaws – 3

Das Tor des Sawta Klaws – 3

»Verbannung …«, murmelte Rolf. Er starrte auf seine Hände. Sie waren schmal, seine Finger dürr wie Bohnenstroh. Seine Fingernägel waren länger als früher. Alles war anders als noch vor ein paar Stunden. Oder Minuten. Sie hatten ihn aus dem Keller ins Freie geschleppt, wo er ein wenig panisch geworden war. Menschen.
Menschen.
Überall Menschen. Und doch weniger als er dachte. Er sah die Sprites, die zweidimensionalen Kreaturen aus seinen Videospielen, die sich im fraktalen Rhythmus ihrer eigenen Renderfähigkeiten bewegten, doch hier brauchte sein Hirn Zeit und die Notwendigkeit, zu kreischen.
»Verbannung«, meinte Kingsur, der offenkundige Paladin. Seine Narbe zuckte, als würde er einem alten Schmerz hinterherlaufen. Er tippte mit den metallenen Handschuhfingern auf den Tisch.
»Lass den Mann«, teilte Marie Steinhaus mit. Die Zwergin kam gerade zurück von ihrem Gang zur Theke, wo sie drei Krüge irgendeines schaumigen Biers oder Schnapses oder anderen Kram geholt hatte. Es roch irgendwie nach Apfel hinter dem Gestank der Leute, die sich offenkundig waschen konnten, aber nicht wollten.
»Es stinkt«, sagte er.
»Natürlich stinkt es. Es ist December, der zehnte Mond des Jahres. Es ist die Zeit der großen Buße«, teilte Annea mit. »Jedes Jahr vergehen die Menschen in den Städten, ihre Körper verfallen, ihr Fleisch verrottet, ihre Zähne fallen aus. All dies ist Teil des Fluchs. All dies ist Teil der Erlösung.«
»Ach du«, meinte Klaus und kratzte sich etwas schwarzes aus seinem Zahnfleisch. Die Klinge in seiner Hand glänzte sauberer als der Rest. »Entscheidend ist es, dass wir die Tür schließen. Und dafür brauchen wir ihn. Er braucht aber keine Kurzgeschichte. Er braucht ein paar auf die Fresse. Dann klappt das schon.« Er grinste. Ein fehlender Zahn in seinem Mund entschloss sich, Rolf zu winken. Vielleicht war das aber auch nur die Zunge.
Kingsur nickte bedächtig. »Natürlich. Es sind kaum ein Monat, bis der Sawta erscheint und seine Gaben fordert.«
»Hä?«, fragte Rolf.
»Das Wort ist neu, aber du bist neu, Rolf, der alte verbannte Zauberer. Der Mythos, die Legende. Der Letzte der Bryntschy, dessen Verbannung aus dieser Welt nur ein Teil seines eigenen Plans war.«
»Jaja«, antwortete Marie und nahm einen Schluck, wischte sich Schaum vom Bart und verstreute glitzernde Tröpfchen auf dem Tisch, der sie begierig aufnahm. »Hör zu, Rolf, Hiki, was auch immer. Du wirst jetzt aufstehen und uns nach draußen folgen. Dort stehen ein paar Pferde bereit, die uns in den Norden bringen. Dort steht eine Tür. Diese Tür muss für immer geschlossen werden. Klar?«
Rolf nickte.
»Na, dann ist doch alles gesagt«, grinste die Zwergin.
»Nicht, wenn sich etwas gegen uns stellt.«
»Gegen uns stellt, Annea. Ja. Das kann schon passieren. Aber am Ende werden wir gewinnen, zwangsläufig.«
Annea nickte. Die anderen nickten nicht.

Draußen wurde es deutlich dunkler, innerhalb von Augenblicken.
»Zwangläufig, aha«, teilte Klaus mit. »Ich glaube, wir alle wissen, was jetzt passiert.«

Die Tür wurde aufgestoßen. Ein Schatten quälte sich ins Innere des Wirtshauses, dessen Wände nun zu brennen schienen, vielleicht war das aber nur ein Eindruck. Die Luft wurde deutlich dicker, selbst ein Karateschlag hätte sie halbieren können.
»Ich hörte, hier leben Herätiker!«
Niemand reagierte. Gesichter starrten in Bierkrüge. Fliegen tanzten um gekrümmte Rücken und Häupter herum.
»Ich sagte: Hier leben H….«
»Ja leck mich doch«, teilte Marie mit. Sie blickte hoch. Ihre Augen funkelten. Ihr Bart flatterte. »Wenn das nicht Ruprekt ist.«
»Knecht Ruprekt!«
Der Mann war groß und dünn, aber irgendwas lag in seinem Körper, dass die Welt verzerrte, als würde er in mehreren Welten gleichzeitig leben.
»Der wahre Knecht ist doch gar nicht hier«, teilte Marie mit. »Er schläft bei seinem Herren, in einer Hundehütte aus altem Brot und Scheiße!«
»Herätiker!«, brüllte der Mann. »Ich bin der Auserwählte der Stadt, Meister der Stollen! Ich werde euch im Feuer seiner Liebe ertränken!«
Kingsur drehte sich nicht um. Sein Gesicht war starr, seine Augen fokussierten einen Punkt hunderte Meter hinter Rolfs Gesicht.
»Ich werde euch vernichten. Eure Körper werden in den Flammen des Klaws brennen und zu Asche werden und in dieser Asche …«
»Blah«, antwortete Rolf. »Blah blubb, blah blah.«
Er wusste nicht, wieso er dies sagte. Er sah auch keine Wortblase über seinem Kopf, keinen automatisierten Prozess irgendeiner Weiterentwicklung, keinen »Continue«-Button irgendwo im Raum stehen, den jemand klickte.
»Was?«, brüllte der dünne Dicke.
»Du nervst, Alter«, antwortete Rolf. »Geh spielen. Such dir ne Freundin.« Er blickte auf. »Lass mich in Ruhe.«
Der Mann schrie. Seine Worte waren nur noch Fetzen irgendwelcher Sprachen, die Rolf nicht kannte. Er hatte lange genug online gespielt, um solche Dinge auszublenden.
Was er nicht ausblenden konnte, war die Farbe, die sich im Raum bildete. Lichter flammten auf und vergingen wieder, Kerzen, Wolken, Fackeln, winzige Feuer, die aus dem Nichts in die Freiheit traten.
»Bei Sawta Klaws und den Lichtwesen, ich verdamme euch!«
Eine Wand brandete vor dem Ersatz-Ruprekt auf.
Etwas klirrte. Die Wand bebte, zuckte, brach zusammen. Nur Augenblicke später folgte der Mann. Er ging in die Knie, dann folgte der Rest des Körpers. Der Kopf des Mannes klatschte in eine Pfütze aus schaumigem Apfelbier.
»Danke für die Ablenkung, Rolf der Zauberer«, teilte Marie mit. »Schade um das gute Bier, aber das muss wohl so sein. Sie haben uns gefunden. Ich vermute, sie hatten Hinweise auf unseren Ort und sie wussten, dass wir hier sind, um den Zauberer zu holen.«
»Wir gehen«, meinte Kingsur. »Es ist nicht sicher.«
»Ach wirklich?«, antwortete Klaus und steckte seine Messer zurück in ihre Scheiden, offenkundig nicht gerade dankbar dafür, dass er keine Chance gehabt hatte, seine Fähigkeiten auszuprobieren.
»Wo jemand wie er ist, sind seine Adepten nicht weit.«

Leider stimmte Kingsurs Aussage. Als die Gruppe die Tür nach draußen aufstieß, sahen sie sich nicht nur einem Haufen von Händlern, Bettlern und anderen Bürgern der Stadt gegenüber, sondern auch wenigstens einem Dutzend schwarz-grün gekleideter Maskenträger, deren Oberkörper von einem gestickten Tannenbaum geschmückt waren – und die Waffen trugen. Die Kapuzen, die sie trugen, hatten winzige Schellen an sich, was Rolf zum Lachen gefunden hätte, wenn sie nicht gleichzeitig rot-weiß gefärbte Knüppel in ihren Händen getragen hätten.

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