Das Tor des Sawta Klaws – 2

Das Tor des Sawta Klaws – 2

Es stank. Es stank nach Menschen. Und Tieren. Und Schweiß. Und Blut. Und Scheiße. Es stank nach … Leben. Er versuchte, sich die Hand vor den Mund zu halten, aber ähnlich einer symbolischen Geste, die nichts bedeutet, außer zu zeigen, dass man Opfer der Umstände ist – was man nicht ist – wirkte es nicht. Genauer gesagt machte es alles schlimmer.

Rolfs Augen waren offen. Sie tränten, ertränkten alles in einen glitzernden Film aus Ruß und Schleim. Immer wieder wischte er sich die Stirn ab, doch wenn eine Lücke zwischen Hand und Mund auftauchte, war es schon wieder zu viel und er wollte kotzen. Dabei war er nicht einmal allein. Vier Schatten ragten um ihn herum auf, während im Hintergrund Menschen – Menschen! – durch die Gegend wanderten. So viele Menschen. So viele Augenpaare, die ihn anstarrten oder gezwungenermaßen ignorierten. Genauer gesagt, sie ignorierten die Gruppe gerade nicht.

Die Schatten bewegten sich. Manchmal wurden sie zu Körpern, denen das Licht einen Teil des Profils abschnitt. Als ob hier echtes Licht versuchte, zu überleben. Lächerlich. Während Rolf versuchte, sich der Umgebung bewusst zu werden, öffnete sich die Tür hin und wieder und Menschen traten ein. Brachten ihre dreckigen Stiefel mit, in denen ihre widerwärtigen Füße einen Geruch abstrahlten, der schlimmer brannte als Zwiebeln. Aber jeder andere Mensch, jede andere Gestalt hier, war ebenso vom Verfall geplagt, vom Knirschen eines halbzerbrochenen Zahnes bis zu offenen Wunden, deren knisternde Heilung noch Wochen brauchen würde.

»Du bist also Hikikomori, der Zauberer, ja?«
Rolf drehte sich zu der Stimme hin. Sie gehörte einem der Schatten, die ihn offenkundig irgendwie jedenfalls hierhergezerrt hatten. Sie gehörte einem Mann. Der Mann war nicht gerade groß, aber wie Rolf sehen konnte, waren alle Leute hier nicht gerade groß. Sie waren sicher alle kleiner als er. Und sie stanken. Was bedeutete, dass er bald genauso stinken würde.
Der Mann wiederholte die Frage. Eine andere Person, eine Frau, antwortete. »Lass ihn, Kingsur, du hast schon genug angerichtet.«
»Angerichtet?«
»Du warst nicht einmal sicher, ob die Prophezeiung korrekt ist!«
»Pah!« Der Mann schlug seine Hand auf den Tisch. Die tönernen Becher klirrten. Für einen Augenblick fühlte Roy alle Augen auf sich gelenkt, dann war es wieder vorbei. »Die Prophezeiung ist korrekt. Das ist Hikikomori.«
»Rolf«, murmelte Rolf. »Rolf ist mein Name.«
»Wie auch immer … Rolf. Du bist der Zauberer. Wir haben die Worte ausgesprochen und du bist erschienen.«
»Ich …«, Rolf stoppte. Für einige Zeit hatte er geglaubt, dass er, wenn er sich nicht einmischte, wenn er alles geschehen ließe, nicht Teil dieses offenkundigen Albtraums werden würde. Aber dieser entsetzliche Geruch hatte wohl diese Gedanken in den Hintergrund gedrängt. Vielleicht war er tot und das war die Hölle. »Ich bin kein Zauberer. Oder etwas anderes.«
»Siehst du?«, meinte die Frau, einen Hauch zu wenig Enttäuschung in ihrer Stimme.
»Dann hat er vergessen, dass er der Zauberer ist«, antwortete eine dritte Stimme, kleiner als die beiden anderen. Der Schatten, der zur Stimme gehörte, beugte sich nach vorn. »Er hat offenkundig viel vergessen. Ich kann mich an sein Bild erinnern. Man hat es uns in der Schule gezeigt.«
»In der Schule für Vollidioten?«, fragte der vierte Schatten. Er war klein und breit und lachte über den eigenen Witz so sehr, dass sich einige der Leute im Hintergrund latent panisch zurückzogen.
»Wer seid ihr?«, fragte Rolf, während er seine eigenen Finger anstarrte, die gleich wirkten, doch anders schienen, hier, auf einem alten Holztisch, dessen Risse und Schnitte schon Jahrzehnte gesehen haben mussten. »Und wieso bin ich hier?«
Der erste Schatten stand auf. Er verhüllte fast den Hintergrund, aber als er redete, wirkte es so, als ob seine Persönlichkeit dafür in den Vordergrund geschoben wurde. »Ich bin Kingsur. Ich bin Paladin der Göttlichen Erleuchtung, mein Herr ist …« Er stoppte. »Ich habe keinen Herren. Ich habe nur meinen Auftrag.« Er ließ sich fallen. Rolf konnte ihn nun sehen. Er war vielleicht 30 Jahre alt. Sein Gesicht trug eine alte Narbe, die typischerweise quer über sein Gesicht führte, es zu zerteilen Schien. Er trug den Ansatz eines Barts, der dort, wo die Narbe sich versteckte, grau wirkte. Seine Nase war eckig, seine Augen trugen das brennende Verlangen einer Schlacht in sich. Ein typischer Fanatiker also.
»Ich bin Annea«, teilte die Frau mit. Auch sie wurde langsam sichtbar, mehr oder weniger jedenfalls. Sie schien zu flimmern, doch das war kurz vorbei. »Ich komme aus dem Land der Aguren. Es ist weit entfernt. Ich war einst Tempeldienerin, doch dann wurde ich verflucht, weil ich mich der Magie zuwandte. Ich wurde verbannt und nun bin ich hier.« Sie lächelte. Hinter dem Lächeln der fragil scheinenden Frau rutschte eine andere Person ins Bild, sie war deutlich älter, deutlich matronenhafter. »Und ich glaube, ich gehöre nicht hierher, ebenso wie du, Hiki… ich meine Rolf.« Sie lächelte. Ihre Augen wechselten kurz die Farbe, ebenso wie ihre Haare, die für einen Augenblick ihren honigfarbenen Klang verloren und zu einem dunklen Rot wurden, von Silber durchzogen.
»Also dann«, meinte die dritte Stimme. »Klaus. Ich suche und finde Dinge. Ich finde Dinge und hole sie, auch wenn sie versteckt wurden. Ich beschaffe Dinge.« Klaus war schmal, fast durchsichtig. Er trug Schwarz und auf seiner schmalen Brust hing das Emblem eines Tieres, eines Falken vielleicht. Sonst war der Mann viel älter als die anderen, vielleicht sogar älter als Rolf. Er trug nicht nur Krähenfüße, nein, sein Kopf schien sich im Kampf mit dem Alter zu befinden. Er trug zwei Schwerter auf dem Rücken und eine Handvoll Messer an seinen Handgelenken. Vermutlich war er einfach nur ein Dieb.
»Und ich«, meinte die Stimme, die letzte Stimme, die fast von unten heraufwanderte, »bin Marie Steinhaus. Ich bin eine Zwergin. Ich mag Branntwein, Gold, Edelsteine, Männer, so sie mich überleben – und ich mag klare Verhältnisse.« Sie war ein Zwerg. Ihre Augen glitzerten vor lustiger Boshaftigkeit. Ihr Bart war geflochten nach einer Art, die Rolf in irgendeinem Videospiel gesehen hatte. Vermutlich war sie genauso wenig echt wie die anderen, aber sie allein trug einen Geruch an sich, der Rolf an Metall erinnerte, an Gold und Kupfer, an die Kühle unter den Bergen. Vielleicht war das aber nur die Axt, die neben ihr auf dem Boden stand.
»Du bist nun Rolf, der Zauberer. Wie gefällt es dir hier, nach deiner Verbannung?«, fragte Annea.

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