Das Tor des Sawta Klaws – 21

Das Tor des Sawta Klaws – 21

Die Ebene war weit und die Berge kamen erst dann untrüglich näher, als es bereits zweimal zur Nacht geläutet hatte. Die Wachen, die alle paar Stunden wechselten, hatten bisher keine Bewegungen, keine Elfen, die sich perfekt tarnen konnten, keine Krieger ferner Welten, die bereit waren, Ruprekt zu befreien, der auf dem Pferd hing wie ein Schluck Wasser in der Kurve.
Die anderen saßen am Feuer und starrten in die Flammen. Die Nacht schien endlos zu sein. Die Sternbilder über ihren Köpfen entsprachen keinem der bekannten, sie wirkten auch so, als würden sie ihren Platz tauschen wollen, weit entfernte menschliche Satelliten einer verlorenen Zivilisation.
»Am Anfang schuf jemand den Himmel. Doch der Himmel war leer, also schuf jemand die Sterne. Doch sie waren zu weit entfernt, also schuf jemand die Planeten und zerrte den naheliegendsten Stern heran und nannte ihn Sonne. Durch die Sonne wurden Gase und Felsbrocken angezogen, die übriggeblieben waren, als jemand die Sterne in das Firmament gestochert hatte. Oder so ähnlich. Und diese Felsbrocken schufen die Planeten. Und jemand nieste und aus diesem Niesen entstanden die ersten Lebewesen, welche sich vermehrten und änderten, je nach ihrer Niche. Und am Ende kam der Mensch, doch der Mensch sagte, er wäre nicht niemand, sondern jemand. Also erschuf jemand den Tod, um den Menschen zu bestrafen. Und alle Lebewesen.«
Klaus sagte dies und starrte ins Feuer. »Es wäre leicht, die Figur in die Flammen zu werfen. Ich würde für einige Zeit das Schreien ertragen müssen, aber am Ende würde ich so weiterleben wie bisher.«
»War es gut?«, fragte Rolf. »War es gut, dieses Leben?«
Klaus zuckte mit den Schultern. »Jedes Leben ist gut oder schlecht, je nach Blickwinkel. Ich habe vor ein paar Jahren die Katakomben von Nizcea heimgesucht. Habe mir dabei einen Fluch eingefangen, einen Dämon, der im Tageslicht sichtbar war und hin jeder spiegelnden Oberfläche erschien. Um mich herum wurden die Leute irre. War das gut oder schlecht? Sicher weniger gut, weil mir die Aufträge flöten gingen. Kann ja keiner ahnen, dass so ein Dämon auch Auftraggeber in den Selbstmord treibt.« Er lächelte und starrte ins Feuer. »Ich brauchte ein paar Monate, um ihn loszuwerden. Bin ins Ostland gereist, allein, habe sicher ein paar Dörfer in den gemeinsamen Abgrund getrieben. Der Schamane, der mich dann aufnahm, wusste, was er sich antat, er sagte, ein Dämon mehr oder weniger in seiner Umgebung wäre kein Problem. Zumindest lebte er noch, als ich von dort abhaute, eine Beschwörungstrommel in meinem Rucksack, natürlich nicht wirklich legal erworben.«
»Du warst also nicht gut.«
»Gut oder schlecht. Ich habe getan, ich meine, ich tue, was ich tue. Ich erledige Aufträge. Ich mache Geld damit. Ich gebe das Geld aus.«
»Ist das also ein gutes Leben?«
»Es ist ein Leben. Warum fragst du mich das?«
»Ich weiß nicht«, meinte Rolf und starte zum Himmel hinauf. »Es ist mehr als ich gelebt habe.«
»Nicht jeder ist dafür geeignet«, warf Marie ein. »Ich verbringe auch den Großteil meiner Zeit in der Festung und unter dem Berg. Die Ausflüge in die Abgründe sind nunmal gefährlich.«
»Gefahr ist aber notwendig, sonst schläft man ein«, sagte Leblang.
»Sicher«, antwortete Kinsur und schnaubte die Lächerlichkeit davon.
»Ach ja?«, fragte Leblang. »Sagt der Mann, der es nicht schaffte, ein Buch auszuliefern.«
»Hat deinen Mund, Kind«, sagte Kinsur. »Du hättest genauso reagiert.«
»Hätte er nicht«, hörte man eine Stimme aus dem Hintergrund. Ein gefesselter Ruprekt bewegte sich.
»Schnauze auf den billigen Plätzen«, teilte Kinsur mit.
»Und was, wenn nicht? Mehr als nur knebeln wirds eh nicht werden. Töten könnt ihr mich nicht.«
»Warum eigentlich nicht?«, fragte Klaus.
»Weil er verflucht ist«, sagte Annea. Sie hatte einen langen Zweig in der Hand und schacherte damit im Feuer herum, schob die Reste der Proviantpakete fort und bedachte die Flammen mit Aufmerksamkeit.
»Verflucht? Gesegnet bin ich. Siehe, ich bin der Anfang und …«
»Ruhe, Dämon«, warf Annea ihm zu. Er stoppte tatsächlich.
»Deine Zeit im Tempel hat wirklich geholfen«, sagte Rolf.
»Mein anderes Ich hat genug Zeit gehabt, zu lernen, während ich im Vordergrund die normalen Aufgaben einer Tempeldienerin erledigt habe. Sie war immer da, auch wenn ich glaubte, sie wäre verschwunden. Und sie kennt den Ruprekt. Der Ruprekt kommt zum Ende der Zeit, weil immer jemand, egal wer, irgendein verbotenes Buch öffnet. Das ist ein typischer Fluch, eine über-typische Queste. Einmal die Worte falsch ausgesprochen, schon sind die Untoten da. Einmal ein falsches Zimmer betreten, schon hat man irgendwie einen magischen Spruch im Kopf, der alle anderen Formen der Magie auslöscht, bis auf magische Zufälle, die einem das Leben retten. Und hier ist es genauso. Unser Kinsur hat das Buch des Sawta Klaws geöffnet, hat dann versehentlich seinen besten Freund erstochen, das Buch damit völlig freigelassen und die Macht der Worte in den sterbenden Körper seines Gegenübers gejagt. Ruprekt ist Kinsurs Freund, untoter Freund.«
»Nein.«
»Doch.«
»Oh«, ergänzte Rolf. Niemand reagierte auf ihn. Alle wirkten überraschter auf die fast schon beleidigten Verdrehung des Geschehens, ein Plot-Twist also.
»Und deshalb ist er nicht tot.«
»Und er kann nicht sterben, bis der Sawta Klaws sein Buch zurückhaben will«, teilte Kinsur mit. »Deshalb ist er bei uns. Solang er lebt, ist der Sawta verletzbar. Und Ruprekt ist unsterblich, bis der Sawta Klaws alle magische Energie absorbiert hat.«
»Ziemlich komplexe Idee«, meinte Marie. »Da bevorzuge ich die Tätigkeit mit der Axt und dem Hammer.«
»Magie und Zwerge sind immer schwierig«, meinte Annea. »Ihr seid so magisch, dass ihr sie fast schon absorbiert.«
»Dann könnte ich den Ruprekt töten?«
»Nein«, sagte Klaus. »Du kannst es versuchen, aber es wird nicht funktionieren. Er hat eine sogenannte Plot-Rüstung. Er wird erst dann verletzbar sein, unabhängig jeglicher Regel des Universums, wenn das Schicksal es so will. Zum Ende hin, wenn die Mächte des Guten und Bösen sich versammeln, erst dann wird die Wahrheit offenbart. Und diese Wahrheit ist, dass das Schicksal ziemlich faul ist. Deshalb wurden die Religionen erschaffen. Sie bringen einigen Leuten Moral, anderen Leuten Ausreden, doch am Ende ist nichts festgeschrieben – nur die Rüstungen fallen und die Schwerter werden stumpf und die Zaubersprüche versagen, als würde der Würfel auf einmal in die falsche Richtung rollen, vom Tisch fallen und am Boden im Schatten verschwinden.«

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