Das Tor des Sawta Klaws – 18

Das Tor des Sawta Klaws – 18

»Und nun?«, fragte Rolf.
»Nun müssen wir zurück an den Anfang, zurück an die Quelle der Macht des Sawta, wir müssen das Tor schließen.« Annea blickte zur Seite. »Auch wenn das bedeutet, dass es uns vermutlich umbringen wird. Also entweder mich oder sie aus der anderen Welt.« Sie flimmerte etwas, als ob das Gefühl beider Frauen sich überlappten und für einen Augenblick ausgetauscht wurden.
»Aber die Welt, aus der die Wand gebaut ist, das ist meine Welt«, teilte Rolf mit.
»Ja. Nur schlimmer. Nur … wie soll ich es sagen. Essenzieller. Zusammengestaucht, eingekocht. Wie Sirup oder Kohle statt Holz. Wie ein schwarzer Diamant.« Marie grinste. »Ihr habt ja mich. Ich rette euch.«
»Ja?«, fragte Klaus. »Wie das?«
»Stell mal lieber andere Fragen. Wer ist der Mann, der dich ständig anquatscht? Was meint er mit seinen Sprüchen?«

»Nichts«, meinte Klaus. »Nichts.«
»Klaus. Natürlich«, meinte die Königin. Sie lächelte, doch hinter ihrem Lächeln lagen andere Gefühle. »Du hast die Stadt verlassen, vor vielen Jahren.«
»Ja, und?«
»Ja und sagt er«, hörte sie die Stimme des anderen Mannes, der Klaus angesprochen hatte. »Es ist mein Platz. Ich bin dran. Ich bin dran mit Leben da draußen.«
»Wir haben eine Regel«, sagte die Königin und wandte sich der Gruppe zu. »Wer die Welt sehen will, wird zum Menschen. Für eine gewisse Zeit. Nach dieser Zeit, oder zum Ende dieser Frist hin, bekommt diese Person den Drang, den Wunsch, das Bedürfnis, das Schicksal, wieder hierherzufinden. Nun, Klaus gehört dazu. Klaus ist einer von uns. Und es ist Zeit, dass ein anderer uns verlassen kann.«
»Nein«, brüllte Klaus. »Das kann nicht sein. Ich bin nicht von hier! Ich bin ein Mensch!«
»Magie erschafft Erinnerungen, lieber Gast, lieber Freund, werter Bruder im Spiel um Krieg und Tod. Und kannst du dich wirklich daran erinnern, wie deine Kindheit war? Oder warst du auf einmal ein Erwachsener in einer Welt, die dich nicht kannte und die du nicht kanntest.« Sie seufze.
»Es ist einsam auf dem Spielbrett«, sagte der Mann ohne Namen. »Und immer wenn Leute gehen und dann zurückkommen, dann schweigen sie für lange Zeit. Sie schweigen, weil sie leiden. Sie leiden, weil sie alles aufgeben müssen.«
»Es würde uns helfen, Frau Königin«, begann Kinsur, »wenn er uns auf diese letzte Queste begleitet. Er hat uns geholfen und ich glaube, jedes Abenteuer muss vollendet werden.«
»Was sagst du dazu?«, fragte die Königin den Mann.
Der Mann seufzte. »Er ist seit langer Zeit überfällig. Und auch wir leben nicht ewig. Doch es ist Weihnachten, bald jedenfalls. Und ich kann verzichten. Aber ich werde mitgehen. Ich werde seinen Platz einnehmen, wenn wir gewonnen haben.«
Die Königin nickte. Sie schloss ihre Augen. Aus ihrem Kopf bewegte sich eine dünne Linie aus blauem Licht und schob sich in die Stirn des Mannes. Er zuckte mit Armen und Beinen, dann erstarrte er. Die Welt um ihn herum schien zu wachsen. Doch am Ende war es andersherum und das, was am Boden liegen blieb, war eine Figur, so hell und starr wie die Königin.
»Ich danke Eure Hoheit«, sagte Kinsur und hob die Figur auf. »Wir werden sie behüten. Nicht wahr, Klaus?«
Klaus nickte. Sein Kopf schien aus Plastik zu bestehen. Seine Finger bohrten sich in den Tisch. »Natürlich«, murmelte er unter seinen zusammengepressten Lippen hervor.

Die Gäste wurden in ihre Zimmer geführt. Die Betten waren einfach, aber wenigstens nicht hart. Rolf war allein, endlich allein.
Alles schien real zu sein, wirklich genug, um so wahrgenommen zu werden. Er versuchte, sich an eine Geschichte zu erinnern, die eine Puppe enthielt, die für einige Zeit ein Mensch geworden war und dann zurückgezerrt wurde in das gedankenlose Dasein ihrer bisherigen Existenz. Es war eine Geschichte aus dem Zwielicht gewesen, einmal in Farbe und einmal in Schwarz-weiß. Beides trug die Notwendigkeit in sich, zu erkennen, wer man wirklich war. Selbst Rolf fragte sich, wer er war. Hatte er Erinnerungen an früher oder schien alles nur dasselbe zu sein, wie in seinem Umfeld, daheim, eingepackt zwischen dicken Mauern, die ihn schützen sollten, schützen mussten, aber ihn einsperrten. Oder auch nicht. Er konnte immer nach draußen gehen, aber am Ende kehrte er immer zurück in seine Höhle aus Beton und Stahl.
Er konnte nicht schlafen, stand auf, wanderte zum runden Fenster und schaute hinaus.
Klaus saß auf einem Vorsprung der Festung und starrte hinunter in die Stadt.
»Klaus«, rief Rolf und versuchte, still zu sein.
Klaus drehte sich nicht um. Er saß dort einfach, wie ein Wasserspeier.
»Bring dich nicht um«, meinte Rolf, was Klaus dazu brachte, leise zu kichern, dann laut zu lachen.
»Ich kann nicht sterben«, meinte Klaus. »Ich kanns einfach nicht.« Er stand auf und sprang, aber nicht in die Finsternis, sondern auf den nächsten Sims. Dann kletterte er, die Finger in den Stein gepresst, der Wand entlang, bis er in ein Fenster glitt. Augenblicke später klopfte es an Rolfs Tür. Ohne ein »Herein« abzuwarten, betrat er Rolfs Zimmer und ließ sich auf einem Stuhl nieder.
»Ich brauch die Figur«, meinte er.
»Ich hab sie nicht«, antwortete Rolf.
»Du bist doch ein Zauberer. Du kannst sicher ein Tor öffnen in das Zimmer unseres heldenhaften Anführers und dann durchgehen und die Figur holen.«
»Warum sollte ich das tun?«
Klaus zog überaus langsam ein Messer aus seinem Gürtel, stand auf und bewegte sich bedächtig wie eine hungrige Katze in Richtung Rolf.
Als Rolf die Klinge spürte, war klar, dass der Mann es ernst meinte.
»Du willst mich umbringen?«, fragte er.
Klaus zuckte mit den Schultern. »Das ist einer der Pläne. Plan C oder Plan D, ja«, teilte er mit.
»Und dann?«
»Dann flippt Kinsur aus und beginnt, mit göttlichem Beistand, diese ganze Stadt in Schutt und Asche zu legen. Die anderen werden ihm helfen. Und ich werde ihm auch helfen.«
»Also?«
»Also. Genau. Also. Das ist ein schlechter Plan, der ignoriert, dass die Königin alle in Puppen verwandelt, alle in Figuren ihres eigenen Spiels.«
»Sie ist selbst eine Figur«, meinte Rolf.
»Sie weiß es, aber das hält sie nicht davon ab, uns zu bestrafen. Euch zu bestrafen.«
»Und der König?«
»Der ist noch schlimmer. Aber ich kann dir nichts darüber sagen, weil ich nichts darüber weiß. Hilfst du mir?«, fragte Klaus.
»Nein«, antwortete Kingsurs Stimme, die von der Tür kam. »Das wird er nicht.«
Er hob die Hand und warf etwas durch den Raum. Klaus fing es. Es war die Figur des anderen Mannes.
»Du passt darauf auf, Klaus. Du hälst dich an unser Versprechen.«
»Dein Versprechen, Paladin.«
»Wir sind alle Teil der Queste und somit ist es das Versprechen aller.«

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