Das Tor des Sawta Klaws – 17

Das Tor des Sawta Klaws – 17

Es musste so sein. Sie schaute real aus, wirklich. Ihre Augen blickten Rolf an und er blickte zurück und sah in ihnen die alte Frau, die sich nun hinter der Maske der jungen Frau versteckte. Er sah in ihr die Zeit, die in der fremden Welt verstrichen war, in seiner Welt. Er wollte ihre Hand nehmen, aber wen würde er berühren.
»Es war damals nicht sicher, was passieren würde. Ich war nicht dabei. Es waren viele Jahre vor meiner Geburt. Ich hatte immer das Gefühl, nicht nur in eine Welt zu gehören, in eine Hütte. Ein Teil von mir lebte fern von hier, umgeben mit fahrenden Kutschen ohne Pferden, umgeben von hohen Häusern, von schwarzen Straßen. Es war immer währende Dunkelheit, durchbrochen nur vom Licht der Kerzen und Lampen, die ohne Feuer flimmerten. Menschen rannten durch die Straßen, immer gehetzt. Immer wütend. Sie schrien einander an oder standen an Ecken von Märkten, oder nahe den Buden, in denen heißer Wein ausgeschenkt wurde.
Es war ein endloser Albtraum. Und trotzdem war er oft wirklicher als das, was ich in meinem Leben erlebte. Ich komme aus einer kleinen Stadt vor dem großen Tor. Die Hütte, nein, das Haus, in dem ich lebte, stand nahe der Wand, durch die Hikikomori gewandert war, nachdem er das Tor des Sawta Klaws geschlossen hatte, fest verschlossen, unmöglich zu öffnen. Doch jede Wand hat ihre Lücken, hat ihre Steine, die aus der glatten Fläche herausragen oder in sie hineingerammt wurden. Und unser Haus schien hin und wieder von der Macht, von der fremden Welt, berührt zu werden. Und so wurde ich geboren. Und ein Teil von mir existierte bereits, dort, in dieser Unterwelt, fernen Welt. Unsere Verbindung war bereits so fest, dass ich nie allein zu sein schien. Und immer die selbe Welt im Kopf zu haben, das ist schwer, macht einen wahnsinnig.
Meine Eltern brachten mich zu Ärzten, zu Magiern, niemand konnte helfen. Sie akzeptierten wohl nicht, dass Hikikomori Scheiße gebaut hatte, als er die Wand nutzte, um den Sawta zu binden, ihn ins endlose Dezemberdunkel der fremden Welt zu werfen und das Tor zu schließen.
Am Ende ging ich dann gegen den Willen meiner Eltern fort, und je weiter ich fort war, desto ferner wurden meine Gedanken, meine Bilder. Ich ging in den Tempel, wurde Tempeldienerin. Doch die Kraft, die aus der anderen Welt stammte, wurde mir zum Verhängnis. Es gab immer wieder Augenblicke, wo ich aufhörte, zu existieren und dann war sie da. Und sie war ebenso verzweifelt wie ich. Und wenn sich unsere Wirklichkeiten überschnitten, geschahen Dinge.« Sie stoppte. »Dinge, die dazu führten, dass man mich hinauswarf. Und seitdem wandere ich umher und heile, so gut ich kann. Aber es wurde schlimmer während der letzten Wochen. Die Welten wirken nicht mehr so getrennt wie vorher, sie scheinen, gleichzeitig zu existieren. Und da wusste ich, dass die Wand ihre Kraft verliert und das Tor sich öffnet.«
Sie blickte auf. »Was hast du getan, Kinsur?«
Der Paladin schüttelte den Kopf. »Nichts habe ich getan. Absolut gar nichts.«
»Du musst nichts sagen, wenn du nicht willst, aber ich glaube, es würde uns allen helfen«, teilte Klaus mit, der offenkundig versuchte, nicht in den eigenen Gedanken zu verschwinden.

»Ich sollte nur ein Buch in eine abgelegene Abtei bringen, tief in den Bergen des Erzgebirges. Dort gab es eine Höhle und über ihr, ähnlich dieser Stadt, steht das Dorf und unter dem Dorf ist die Abtei. Sie lagert Verbotenes. Und man fühlte, dass das Buch seine Finger, ich meine, seine Seiten ausstreckte, um irgendwas zu finden. Oder jemanden zu finden. Ruprekt. Und mit Ruprekt dann Sawta Klaws. Ich ritt mit meinem Freund, Sinta durch das Land. Hin und wieder wurden wir angegriffen, wir waren aber nicht allein und wir waren gesegnet worden von den Kräften des Lichts.
Die Angreifer wollten offenkundig das Buch haben. Warum auch immer. Es waren die Elfen, die grüngewandeten Menschen, die wir überall sehen. Doch diese waren anders. Sie wirkten schneller als normale Leute zu sein, Menschen waren es eindeutig nicht. Wir kämpften. Die Magier schossen Magie in ihre Reihen, verbrannten sie, doch am Ende waren ihre Umhänge leer und nur der Geruch alter Gewürze blieb zurück. Waren die Umhänge selbst lebendig geworden? Hatte das Buch sie erweckt?
Als wir endlich in der Abtei ankamen, waren wir müde, sehr müde. Die Männer gingen schlafen. Ich brachte das Buch in die Abtei selbst. Sie hängt ja unter dem Dorf, in den Gängen, die vor Jahrhunderten gegraben worden, noch vor der Zeit, in der Sawta Klaws existierte. Es war dunkel. Die Kerzen waren dunkel. Die Mönche beten leise.
Und dann war da ein Licht, es kam aus den Seiten des Buchs heraus. Ich versuchte, es zu stoppen, doch die Ketten, die es hielten, waren zu lang und so merkte ich bald, dass nicht nur Licht, sondern auch Gerüche aus dem Buch herauskrochen. Und ich kann mich nur noch an Dinge erinnern, die ich vergessen hatte, an meine Kinderzeit.
Und mein Freund sah mich und er versuchte, mich davon abzubringen, die Ketten zu lösen. Doch auch er wurde von dem Buch erfasst.
Die Mönche zerrten mich zurück. Ich war dann wieder bei Verstand, irgendwie jedenfalls – und mein Freund starrte mich an, als wollte er mich töten. Doch ich hatte ihn getötet. Mein Schwert steckte in seinem Leib und in dem Buch. Und die Ketten sprangen auf.
Die Mönche hielten mich gepackt, während sie davonrannten. Hinter mir war dieses Licht, das harte Schatten vor mir warf. Und da war wieder der Geruch.

Als wir den Ausgang erreichten, wurden Trompeten und Glocken laut, doch lauter als dies schienen die Explosionen zu sein, die durch die Gänge rasten. Feuer rasten an uns vorbei, bevor sie den Felsen zerstörten, ihn zusammenbrechen ließen. Tonnen von Schutt mussten die Abtei bedecken, vollständig ausfüllen.
Am Ende überlebte ich als Einziger, doch meine Schuld trug mich fern von der Abtei nach Norden. Das Buch war das Buch der Guten und Schlechten Kinder, also ein Buch über uns alle, die wir lebten. Und es trug das Wissen in sich, die Kräfte des Sawta zu nutzen, teilweise.
Und deshalb lebt Ruprekt. Er weiss es nicht, aber ich war es, der ihn lebendig begrub, der daran schuld ist, dass er verflucht ist. Und das Öffnen des Buchs hat die Wand geschwächt und das Tor aufgeschoben und die Kraft des Sawta wird stärker.«

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