Das Tor des Sawta Klaws – 16

Das Tor des Sawta Klaws – 16

Sie war groß. Sehr groß. Sie erinnerte Rolf an eine Schachfigur. Ihre Haut war so weiß, dass sich die Umgebung an ihr spiegelte. Nur ihr Gesicht war anders, normal, schön, einfach nur schön. Sie trug ihre Nase leicht erhoben und darunter einen kleinen Mund mit dicken Lippen, die jedoch so natürlich waren, dass man ihnen nichts abschlagen konnte.
Sie war aufgestanden und hatte die Besucher mit Handschlag begrüßt, dann die Hand des Gegenübers mit beiden Händen eingehüllt. Sie nickte jedem zu, der ihr den Namen sagte.
Bei Rolf tat sie das nicht. Auch nicht, als er »Hikikomori« äußerte. Sie blickte zur Seite, als erwartete sie ein Kommando aus dem Nichts.
»Bitte«, sagte sie. »Esst und trinkt. Erzählt mir von euren Abenteuern.«
Als die Gruppe sich umblickte, sah sie auf der linken Seite, direkt unter dem großen Fenster, das nach Süden zeigen musste, eine Tafel mit 6 Plätzen, zwei auf jeder Seite und zwei an beiden Enden des Tisches. Die Teller waren von blauer Farbe, das Besteck war golden.
Bedienstete trugen Schüsseln heran und füllten die Teller. Platten wurden niedergelegt mit geschnittenem Fleisch und Brot. Der Geruch von frischen Kräutern schwebte durch den Dampf.
Sie aßen. Es schmeckte so, wie es aussah. Nur Klaus wirkte abgelenkt und schaute immer wieder zur Tür, wo sein Ankläger stand, auch wenn die Anklage nicht bekannt war.
Die Königin selbst blieb auf dem Thron sitzen und besprach sich mit einzelnen Männern und Frauen, die an sie herantraten und offenkundig Minister und Ministerinnen waren. Zwei größere Krieger schauten starr in der Gegend herum. Zwei Männer mit Einhornhelmen schritten umher, berührten aber einzelne Fließen nicht, die in fantastischer Manier den Boden bedeckten.
Das Essen war irgendwann vorbei, gerade dann, als die Sonne begann, über den Horizont zu verschwinden. Andere Fenster flammten auf, als das Licht sich nach Westen oder Osten bewegte.
»Bringt Sessel heran«, befahl die Königin. »Setzt euch, erzählt mir von euren Taten. Es fällt einem leichter, sich zu erinnern, wenn man satt ist. Ich hoffe nur, Ihr seid nicht zu müde, um mich ein wenig zu unterhalten.« Sie nickte traurig. »Wie ihr seht, komme ich nicht oft aus diesem Schloss in die Welt hinaus?«
»Warum nicht?«, fragte Marie. »Ihr seid die Königin.«
»Ich muss meinen Leuten Schutz gewähren, und damit meine ich, dass ich oft als letzte sterbe, aber nicht unbedingt gerne. Und der König selbst bedarf deutlicheren Schutzes als ich. Deshalb bin ich hier. Nun, bitte, erzählt.«

Leblang schien davon überzeugt zu sein, wichtig zu sein, trotz seiner offenkundigen Jugend. Dankbarerweise hatte er wenig zur erzählen. Seine Sage war jene des Familienmilitärs, Vater Offizier, Mutter aus adliger Familie. Fesche Schnurrbärte tanzten in Palästen der Hauptstadt, Walzer unter dem Mistelzweig, Küsse, eine gute Ehe. Seine Mutter war eine der Kingsurs gewesen, trug den Namen wie eine Belohnung. Oder so ähnlich. Rolf war sich nie sicher, wie die Namenskonventionen in Fantasy-Welten funktionierten. Er hasste es. Aber er wusste, damit umzugehen.
Leblang redete weiter. Erzählte über die Kämpfe gegen die Werhasen im Süden. Sie hatten zu Frühlingsanfang gewisse Schwierigkeiten gemacht, vermehrten sich wie die … Karnickel und waren bereit, für ihren Untergang zu sorgen, indem sie Leute angriffen, die im Morgengrauen unterwegs waren, um Bachwasser zu holen, meistens ältere Leute, die hofften, wieder jung zu werden, statt im Magen eines Werhasen zu landen. Die Schlachten hatten nicht auf offenem Grund stattgefunden. Die Hasen hatten sich in den Schatten der mondbeschienenen Waldnächte versteckt und konnte nur mit Tricks ins Freie gelockt werden. Am Ende hatten sie jedoch einsehen müssen, dass ihre scharfen Zähne nichts im Vergleich zu stählernen Waffen und Rüstungen gewesen waren.
»Ihr Blut wurde vom Waldboden aufgesaugt wie von einem Schwamm. Am Ende wussten wir nicht mehr, wie viele wir erledigt hatten. Aber seitdem gab es keine Probleme mehr«, beendete Leblang die lebhafte Schilderung des Gemetzels. Am Ende war er befördert worden und in Richtung Nordgrenze abkommandiert worden, wo er einen Leutnantsposten bekommen hatte mit Aussicht auf mehr Erfolg.
»Erfolg«, murmelte Marie.
»Erfolg, werte Frau Zwerg.«
»Steinhaus ist der Name.«
»Natürlich«, meinte Leblang im Versuch, so schmissig zu klingen wie sein Herr Vater.

»Ich habe keine Geschichte zu bieten, Frau Königin«, teilte Marie mit und grinste. »Ich bin eine einfache Zwergin. Auf der Suche nach Obisidian habe ich die Tiefen der Grimmschen Kavernen durchsucht, habe hier und da ein paar Trauerelfen zerhackt, ein paar Gnome vertrieben. Einen Jadekäfer die Sporen gegeben. Hirnfressern bin ich auch begegnet, aber die greifen Zwerge weniger an.«
»Und wieso das?«, wollte die Königin wissen, offenkundig interessiert.
»Man behauptet, dass sie Angst vor unserer Obsession mit Edelsteinen sind, unserer Besessenheit mit Gold und verlorenen Schätzen. Aber am Ende ists doch unsere fachfrauliche Tätigkeit mit Axt und Hammer. Wenn Sie verstehen, was ich meine.« Sie hob ihre Axt und hämmerte sie auf den Boden. Stein spritzte aus den Fliesen. Die beiden Soldaten in der Ecke waren schon dabei, nach vorn zu stürmen, um die Angreiferin in Grund und Boden zu schlagen, aber die Königin hob ihre Hand und verwies sie wieder auf ihren Posten.
»Verzeiht«, meinte Marie, und schien unter ihrem Bart rot zu werden.
»Kein Problem. Seid bitte vorsichtig, wenn es darum geht, zu eskalieren. Nicht jeder Ort ist ein Schlachtfeld.« Die Königin lächelte. »Oder doch? Ich bin mir nicht sicher. Wenn ich meinen Mann fragen würde, würde er es behaupten – falls er sich getraut, aus seinem Zimmer zu kommen, um mit jemandem zu sprechen.«
»Er redet nicht?«
»Oh, er redet sehr wohl, aber die Leute, die es hören, sind seine Sekretäre, die vor seinem Zimmer sitzen und mit Stift und Zettel bewaffnet sind, um alles aufzuschreiben. Was am Ende herauskommt, weiß niemand. Oder vielleicht weiß ich es. Der Stadt geht es gut, auch ohne den Irrsinn eines Krieges. Doch was ist mich Euch, werte Dame, beide Damen in einer Gestalt. Ich kann sehen, dass ihr eine große Zauberin seid. Im Gegensatz zu manch anderem hier schätze ich die Magie, denn sie ist neutral, wo wir Lebewesen uns stehts einer Richtung unterorden müssen.«
Annea nickte. »Ich bin verflucht. Das ist ein großes Wort für eine noch größere Sache, ich weiß. Aber am Ende entscheiden ja Worte über unsere Existenz und unsere Zukunft. Ich bin das, was die Hikikomoris Mauer hinterlassen hat, eine Spaltung in der Wirklichkeit.«

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