Das Tor des Sawta Klaws – 15

Das Tor des Sawta Klaws – 15

Xmasia lag vor ihnen wie eine Hand, die jemand in weichen Matsch gepresst hatte – und dann vergessen hatte, wie man die Hand wieder herausbekommt. Tatsächlich war Xmasia eine Hand oder zumindest ein Berg, der an eine Hand erinnerte, eine abgetrennte riesige Hand von vielleicht 100 Metern. Oder ein bisschen weniger. Aber die Stadt selbst schien groß genug zu sein, um sich ein Schloss leisten zu können, das auf der Spitze des abgehackten Handgelenks saß und in die Gegend herunterstarrte. Dutzende winzige Linien mit kleinen Käfern bedeckt, krochen hinauf und hinunter.
»Die Seilbahn«, meinte Klaus. Ich bin damit oft als Kind gefahren. Nicht offiziell. Und ich meine damit: Nicht in einem Wagen.«
»Darunter?«
»Und darauf, Annea. Nicht jeder kann sich von Ort zu Ort transportieren.«
»Nur ein Teil von mir kann das. Der andere Teil bleibt zurück und, wie du weißt, hängt es davon ab, wer genau wo landet.«
Kinsur schwieg. Er schwieg seit Stunden, seitdem Klaus sich über die Frage echauffiert hatte, wer denn genau das Tor geöffnet hatte.
Offenkundig war es Kinsur selbst.
Leblangs Gesicht war so lang wie ein Leben, so düster wie das eines normalen Soldaten, der in eine Welt von Zauberern und allgemeiner Magie gefallen war. Offenkundig war er neidisch.
Sie wanderten die langezogenen kurvigen Hügel in das Tal hinunter, ignorierten die Blicke der Bauern der Umgebung, die alles verachten, was nicht bei Sonnenuntergang im Bett ist und bei Sonnenaufgang schon 2 Stunden wach. Ein paar von ihnen wollten der Gruppe Brot und Eier und Käse anbieten, aber Leblangs Gesicht und Kinsurs fast schon leuchtende Narbe ließ sie verstummen, zumindest bis sie sicher waren, dass die Eindringlinge sie nicht hörten.
Vermutlich war dies für sie das größte Ereignis ihres Lebens – und sie wussten nicht einmal davon.

Die Straße wurde breiter, bald von Pflastersteinen belegt. Das Getrampel von Pferdehufen und metallenen Stiefeln, die Hammerschläge und Nadeltreffer der Handwerker wurden laut, ebenso ferner Gesang einer Gruppe von Kindern, die lustige Kostüme trugen, sobald sie sichtbar waren. Eine Kirche zeigte eine Zeit an, die Rolf nicht lesen konnte. Die Menschen gingen ihren Tagwerken nach, bis einer der Männer, der am Brunnen saß und der auf einer Pfeife herumkaute, seine Hand ausstreckte.
»Klaus?«
Der Angesprochene blickte zur Seite, dann senkte er seinen Kopf. »Ich muss hier weg.«
»Klaus?«, fragte der Mann wieder, diesmal lauter.
»Wer ist das?«, fragte Rolf.
»Niemand. Nichts. Ich …«
»Klaus!«
Nun öffneten sich Fenster und Türen, aber nur wenige Augenpaare starrten auf die Straße – die meisten hielten sich zurück.
»Kennst du den Mann?«, fragte Marie und grinste offenkundig, denn sie zeigte mit ihrer Axt auf Klaus. »Entschuldigung, meinen Sie den Mann hier?«
»Ja, das ist Klaus!«
»Du, Klaus, ich glaub, die kennen dich.«
»Ich kenn sie nicht. Ende.«
Der Mann war bereits aufgestanden und marschierte auf die Gruppe zu. Nunja, er schwankte und taumelte, so dass er gegen die Laternenpfosten krachte, die den Markt in verschiedene Bereiche aufteilten.
»Klaus«, meinte er, als er stehen blieb. »Es wurde langsam Zeit.«
»Ich weiß nicht, wer Sie sind oder was Sie meinen.«
»13 Jahre warst du fort. 13 Jahre lang hast du die Welt gesehen. Es wird Zeit, dass du den Platz freimachst für einen anderen von uns.«
»Wie?«
Der Mann schaute Klaus, dann die anderen an. »Er versteht es nicht.« Er drehte sich um. »Er versteht es nicht!«
Niemand kümmerte sich mehr. Sie alle gingen ihrer Arbeit oder Tagwerk nach. Oder was sie auch immer taten.
»Wir müssen zur Festung. Wir brauchen Ausrüstung, um zum Großen Tor zu kommen.«
»Zur Festung, aha. Das entzieht euch aber nicht der Verantwortung und der Tatsache, dass ihr der Königin vorzutreten habt. Jeder Wanderer auf einer Queste muss die Königin besuchen. Sie besteht darauf. Es ist Gesetz. Wie das Gesetz der Rückkehr.«
Klaus schob den Mann zur Seite, wischte seine Hände ab, verzerrte sein Gesicht. »Wir klären das später.«
»Später? Nochmal 13 Jahre? Oder 40 Jahre? Oder 200 Jahre?«

Der Mann ließ keine Ruhe. Selbst als die Gruppe endlich an einem Häuschen stand, an dem sie ihre Waffen abgeben mussten und das ihnen dann erlaubte, eine der Seilbahnen zu betreten, blieb er bei ihnen und redete auf sie ein, doch irgendwie war alles dasselbe. Irgendwas mit »Klaus habe einen Schwur geleistet und wäre nun dafür verantwortlich, in den Schoß der ›Familie‹ zurückzukehren«, doch das Konzept dieser Familie wurde nie aufgelöst. Weder schien dieser Mann ein Vater, Bruder, Freund, Enkel, Großvater oder so etwas von Klaus zu sein, noch war Klaus dazu bereit, sich entsprechend zu äußern. Er war offenkundig ungern hier, was er aber jetzt erst bemerkte, denn bevor sie in die Stadt gekommen waren, hatte er keine Probleme mit ihr gehabt.
Der Wagen war recht klein. Außerdem standen zwei Kühe und ein Bauer noch auf der Plattform, die von Metall und Glas umhüllt war.
»Schaffen wir das, ohne abzustürzen?«, warf Marie ein.
»Die Seile sind aus Mythril«, antwortete Kinsur. »Die Rollen sind aus Drachenglas. Das gleicht sich aus.«
»Und wenn die Rollen auch aus Mythril wären, dann würden sie in Flammen aufgehen, sobald es Nacht wird«, meinte Klaus. »Das ist altbekannt.«
»Für jemanden, der ein Dieb sein soll, hast du schon einiges an Wissen.«
»Ein Dieb, der kein Wissen hat, ist nutzlos, Herr Zauberer. Ich habe keine Ihrer Zauberkräfte gesehen.« Er wirkte angespannt und rieb sich ständig die Hände an den Unterarmen, knirschte immer wieder mit den Fingern.
»Nah?«, fragte der Mann, der Klaus kannte. »Ist was los?«
»Nein, nichts. Ich … es ist alles in Ordnung.«
»Sicher«, meinte der Mann. »Die Magie des Ortes erkennt einen Heimkehrer.«
»Ich weiß noch immer nicht, was Sie meinen«, antwortete Klaus.
»Das wirst du. Keine Sorge.«
»Können wir das lassen?«, fragte Leblang. »Dieses ganze Gerede geht mir auf den Strich. Wir müssen zum Tor. Es sind nur noch ein paar Tage, bis das Tor sich abschließend öffnet.«
»Ich habe es nicht geöffnet, wenn du das meinst, Neffe«, antwortete Kinsur.
»Oder doch. Ruprekt hat Dinge angedeutet. Nein, er hat sie sogar laut ausgesprochen.«
»Wir werden sehen, wohin das führt, antwortete der Paladin. »Ich bin für nichts verantwortlich, was nicht bereits vom Schicksal aufgeschrieben wurde.«
»Verantwortung sollte man trotzdem übernehmen«, teilte Rolf mit. »Selbst ich tu das. Immer.«
»Ja? Und was ist mit der Mauer der fremden Wirklichkeit, die offenkundig nicht mehr funktioniert?«
Rolf zuckte mit den Schultern. »Sobald ich mich an irgendwas erinnere, sage ich es dir.«

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