Das Tor des Sawta Klaws – 12

Das Tor des Sawta Klaws – 12

Klar wartete Rolf. Und wartete. Und wartete.
Und die Bilder, die im Licht tanzten, wurden nicht müde. Nur die Schatten wurden müde und manchmal, wenn sie gähnten, dann schimmerte das Licht durch ihre fleckigen Abdrücke im Gras und Rolf konnte darin Schnee erkennen, Eis und Schnee, so wie er es aus seiner Kindheit gekannt hatte.
»Du musst uns helfen«, sagte Marie. »Die anderen leben unter dem Bann des Ruprekts, aber sie reagieren, wenn ich sie anspreche und wenn ich sie packe.«
»Und wie?«, fragte Rolf.
»Wir brauchen unsere Waffen. Oder irgendwelche Waffen. Je größer, desto besser. Ein paar Messer für Klaus. Und für Kingsur und seinen Neffen, naja, Schwerter würden helfen. Und ich nehme alles, das bei einem Schlag nicht zerbricht.«
»Wo sollen denn Waffen sein?«
»Dort«, meinte Marie und zeigte irgendwo in die Ferne.
»Was?«
»Da ist eine Hütte. Sei schnell. Sie lagern ihre Besitztümer dort.«
Dann gab sie ihm einen Hieb, der ihn nach vorn trieb, zurück ins Licht.
Er kämpfte. Er kämpfte wirklich. Doch sein Verstand war wieder Teil des Großen Tanzes, des Großen Liedes, des Rituals. Trotzdem behielt er alles irgendwie im Vordergrund, alles, was wichtig war.
Er fiel auf die Knie, kroch voran, immer in Panik, dass die anderen und Ruprekt sehen würden, was er tat, dass er nicht Teil der Gruppe war. Doch sie schienen selbst unfähig zu sein, ihrer Ekstase zu entkommen.

Kaum hatte er aber die Kette aus Menschen und Händen durchbrochen – gut, er war unter ihnen hindurchgekrochen wie ein Kind -, schienen die Bilder und Töne zu verfallen, als würden sie die Grenze kaum überwinden können. Rolf konnte besser atmen, sein Kopf war leichter, sein Nacken weicher. Er drehte sich nicht um. Das Bild des Baums konnte wie ein Magnet wirken. Außerdem lag die Hütte vor ihm, welche Marie ihm genannt hatte.
Sie war nicht aus Lebkuchen. Es hingen keine bunt bemalten Zuckerstücke an Fenstern und Türen, keine Abbildungen von Märchen in den Ecken und Kanten, nein, es war eine Hütte. Sie war relativ neu. Das Holz trug noch den weichen Abdruck seines kürzlich beendeten Lebens, der sicher bald verglimmen würde.
Die Hütte hatte zwar ein Fenster, aber es war verriegelt. Eine Lücke, aus der Licht strahlte, wurde sichtbar, als Rolf die Hütte umrundete und die Rückseite betrat.
Drinnen saßen stehend Leute, schweigend in ein Gespräch vertieft.
Aber als Rolf sich umblickte, sah er weder einen Hasen noch eine Sandbank.
Er schaute also wieder in die Lücke, ins Licht.
Es schien ihm, als ob er diese Männer kannte. Ihre Gesichter waren zwar abgewandt, aber ihre Rücken erinnerten ihn an etwas, an irgendwelche Filme.
»Lebt es?«, fragte einer der Männer.
»Alles lebt«, sagte der andere. Er hob eine Hand, sie glänzte im Licht. Oder war das eine Nadel?
»Jedenfalls lebt es irgendwie, also …«
»Du redest zuviel Viktor.«
»Natürlich, Eigor.«
Rolf wollte lachen, doch er konnte nicht. Er war fasziniert von der Kreatur, die auf dem Tisch lag, als die Männer zur Seite wanderten.
Es war dieser Ruprekt-Mensch. Ex-Mensch-Typ. Typus. Sein Körper war weiß und teilweise grün. Teilweise rot. Er sah aus wie ein Puzzlespiel, zusammengehalten von metallenen Drähten, die golden glitzerten, ähnlich Lametta.
»Früher war mal mehr davon«, murmelte der Mann namens Viktor.
»Rattata«, teilte Eigor mit.
»Ratatuff«, antwortete Viktor. »Alles in Kürze vorbereiten und in noch geringerer Kürze zum Leben erwecken. Wir lang werden wir das noch tun müssen?«
»Bis die Schuld abgetragen, das Tor geöffnet, die endlose Nacht erschaffen wurde.«
»Wie viele Jahrhunderte leben wir schon so?«
»Leben?«
»Sind. Wir sind ja nun nicht tot.«
»532 Jahre, 12 Monate und 27 Tage.«
»Scheiße.«
»Auf jeden Fall.«
»Dieser Hikiomori …«
»Er war unser Freund. Das ist nun die Rache für die Freundschaft.«
»Keine Freundschaft. Er war ein Kollege. Nicht mehr und nicht weniger.«
»Aber seine Frau anbaggern und seinen Whiskey trinken.«
»Was man so macht bei Kollegen.«
»Ich frage mich, was sie macht.«
»Wer?«
»Sie. Seine Frau.«
»Exfrau. Hikikomori ist tot.«
»Ruprekt meint, er würde leben.«
»Gerüchte sind Schall und Rauch.«
»Und unsterblich. Erwecken wir den alten Mann zum Leben, ja?«
Sie schwiegen für ein paar Augenblicke, dann wanderten sie zur rechten Seite. Rolf konnte nicht viel sehen, die Lücke im Fenster war zu schmal, aber er hörte, wie Schalter umgelegt wurden, wie der eisige Atem von Energie, gefangenen Blitzen und verbrannten Lebkuchen durch die Hütte schoss. Er hielt die Bretter gepackt, auf denen das Fenster lag, sonst wäre er davongetaumelt. Das Licht versetzte das Innere der Hütte in ein Feuerwerk, funkelnde Energiespitzen krochen über den Körper Ruprekts, hüllten ihn ein. Dann bewegte er sich, hob eine Hand. Sei war umhüllt von ungesundem Licht, so dass Rolf teilweise nur die Knochen erkennen konnte. Dann erhob sich die Kreatur. Das Licht, das ihn umgab, erinnerte Rolf an irgendwelche 70er Jahre Trickfilme voller Wolken aus untotem Licht. Das Gesicht des Ruprekts war eine teuflische Maske, ein Schädel, in dem drei! Nicht zwei! Drei! Augenöffnungen existierten, eine davon deutlich weiter rechts im Knochen, nicht mittig, wie man es gedacht hätte.
Die Kreatur setzte sich auf den Tisch, ließ die Knochenbeine knirschern, drehte seinen Schädel nach rechts.
»Das hat lang gedauert«, brummte ihre Stimme.
»Es wird länger dauern, Herr.«
»Dann tut was dagegen. Meine Kraft erlischt, aber bevor sie das tut, werde ich eure Kraft nehmen und eueren Geist in den immerwährenden Malstrom aus schlechten Erinnerungen und Enttäuschungen werfen. Dann werdet ihr die Tage vermissen, welche ihr hattet.« Er brummte oder lachte, Rolf konnte es nicht ganz unterscheiden.
»Natürlich. Aber ihr habt eine Zwergin bei euch. Sie substrahiert Magie von der Rechnung des Rituals. Es wäre besser, sie …«
»Zu töten? Auf keinen Fall. Aber ich werde schauen, dass ich sie während des Liedes aus dem Bannkreis entferne.«
»Das ist eine gute Idee.«
»Nein, es ist eine schlechte Idee. Sie könnte entkommen. Aber das ist besser, als mir euer Rumgeheule anzuhören.«
»Natürlich, Herr.«
»Wenn wir erst einmal den Zauberer haben, der den Herrn damals eingesperrt hat, dann haben wir genug Kraft beisammen, um das Tor vollständig zu öffnen. Und niemand wird uns aufhalten – nicht einmal Kingsur. Wusstet ihr übrigens, was er getan hat? Er hat …«
Weiter kam er nicht. Das Lied war mit einem Mal zuende und Ruprekt sprang vom Tisch – nun ganz Mensch – und stürmte aus der Hütte in die Freiheit hinaus.

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