Das Tor des Sawta Klaws – 13

Das Tor des Sawta Klaws – 13

Draußen war Tohuwabohu. Die Elfen saßen im Kreis, starrten auf den Weihnachtsbaum, der sich drehte, dessen Lichter flackerten, dessen Nadeln und Äste, also dessen ganze Dunkelheit mit einem Mal in den Vordergrund trat. Ruprekt fluchte und wanderte umher, packte Elfen, zerrte sie nach oben, befahl lautstark, dass der rituelle Gesang weiterzugehen hätte, aber sie reagierten kaum.
Einzelne Elfen traten heran, anders als die anderen, eher Gruppenleiter als Untergebene und diskutierten mit wilden Handgesten, die jedoch von Ruprekt nicht nur ignoriert wurden, sondern mit wütenden Gesten und Schreien vertrieben wurden, als ob sie sowieso keine Ahnung hätten.
Rolf ignorierte das Gebammel und kletterte zurück hinter die Hütte, zum Fenster. Er schaute hinein, sah niemanden. Gut.
Er öffnete die Fensterladen, schaute noch einmal, dann zerrte er das Glas nach oben, als wäre das ein US-Film, dann kletterte er in das Häuschen.
Hier drinnen war es staubig. Staubig wie ein vergessener Dachboden. Überall lag Staub herum. Staub und Rost. Hier war nichts zu sehen von den Augen-schmelzenden Lichtern, nichts von den Glasbottichen, in denen elektrische Aale schwimmen sollten oder tote Hände und Füße hin und wieder zuckten, als träumten sie von Leben. Nein. Hier war alles dumpf und ruhig.
Von außen war die Box, ich meine, das Haus kleiner als von innen. Wände existierten und in ihnen Türen, geöffnet und verschlossen. Er schaute hinter die offenen Türen, weil es leichter war. Auch hier hatte sich die Zeit verabschiedet und hatte Erinnerungen hinterlassen. Alte Fahrräder, ein Luftgewehr, das verrostet auf dem Boden lag, der Gurt verrottet. Hier war eine Werkstattbank, wie Rolfs Großvater sie besessen hatte, Ölkännchen standen aufgereit an einem Fenster, das von außen nicht sichtbar war. Auf der anderen Seite waren Bretter, Werkzeuge. Es roch nach altem Öl und noch älterem Knoblauch und Holz. Doch das Holz hatte nicht überlebt. Jeder Atemzug, der sie zu berühren schien, löste einen Teil aus den Brettern und schwebte zu Boden.
Die nächste Tür war verschlossen, die übernächste nicht. Hier lag Holz, aber es war neue und frisch, als hätte es jemand vor kurzem hereingetragen. Es waren junge Äste und Bretter, Mistelzweige, deren bleiche Misteln teilweise Fäden zogen, die darauf warteten, rote Bänder zu erhalten und aufgehängt zu werden. Auch stand ein alter Wurzelblock auf dem Boden, auf ihm irgendwelche Kännchen und Tellerchen, Plastikgeschirr mit Plastikbesteck.

Zeit für die geschlossene Tür. Sie war nicht verschlossen. Nur geschlossen. Naja. Egal. Rolf öffnete sie.
Es lag Finsternis hinter dieser Tür, sie war wirklich, greifbar, dick wie alter Honig, kratzig wie Staub, der sich aus Mohnbrötchen in den Hals bohrte, wenn man sich traute, einzuatmen. Finsternis war es, die ihn berührte, die ihm Worte zuflüsterte, die er nicht hören wollte.
Dennoch trat er ein. Einfach so. Warum auch nicht? Er war nicht mehr oder weniger manipulierbar als die anderen.

Der Boden und die Wände waren mit Fliesen ausgestattet, blaue Fliesen, die Muster bildeten, die bei Augenbewegungen zu tanzen schienen. Irgendwo in der Ferne über ihm lachte die Sonne hinter riesigen Fensterscheiben, während draußen Schnee lag. Büsche kratzen gegen die Wände, oder waren das andere Kreaturen?
Rolf bemerkte, dass er nicht allein war.
Er blickte sich um, sah aber niemanden, nur seinen Schatten. Er lächelte. Offenkundig sah sein Schatten besser aus als er selbst.
Auf dem Boden der Halle – anders konnte man es nicht beschreiben – lagen die Waffen der anderen. Sie lagen da, auf einem Haufen, in einem Haufen mit anderen Waffen. Er sah Gewehre, Schwerter, Keulen, hölzerne Schwerter mit hineingehämmerten Obsidiansteinen, scharfkantige Wurfklingen, Waffen aus Filmen und Serien, die er gemocht hatte, die er kannte. Und es wurden mehr. Je mehr er hinschaute, desto größer wurde der Haufen, desto chaotischer wurde er. Er saß Messer mit Wellenformen, Gewehre aus einer Vergangenheit, die er nicht kannte. Er sah Zauberstäbe in verschiedenen Formen und Farben, voller Kristalle, die ihn anflehten, sie zu befreien, als habe jemand ihre Seele geraubt. Er sah Pfeile und Bögen aus Filmen. Er sah die Glaive aus seinem Lieblingsfilm. Und der Haufen wuchs weiter und weiter, bis er bald das Fenster über Rolfs Kopf einnehmen wollte, eine Welle aus Metall und Tod.
Rolfs Hände fühlten sie an, als würden sie im Schweiß ertrinken. Er wusste nichts mehr, sah nur die Erinnerungen, die hier existierten. Und die Finsternis, die sich in den unendlich vielen Lücken versteckte, starrte ihn an, als wollte sie ihm etwas sagen, doch das war nicht möglich. Rolf hätte es eh nicht gehört. Er war ein Gefangener geworden, ein Gefangener der eigenen Imagination.

Er taumelte zurück, doch da war keine Wand mehr, sondern Nichts. Und dieses Nichts hatte Gestalt angenommen. Gestalt-en.
»Was machst du hier?«, fragte einer der Männer, den Rolf von der Stimme her als Eigor erkannte. Er konnte sich nicht umdrehen, imaginierte ihn sich aber als jemanden mit großen Augen und größerem Rücken.
»Das ist dieser neue Elf. Rolf. Man hält große Stücke auf ihn.«
»Was?«
»Du meinst, wer hält große Stücke auf ihn.«
»Oder so.«
»Die Gefangenen. Sie haben mit ihm geredet, vorher schon, in der Stadt. Da war er aber anders verkörpert.«
Rolf drehte sich um. Oder tat er das nicht?
»Er sieht aus wie ein üblicher Elf.«
»Er lebt noch.«
»Deine Auslegung von ›Leben‹ dürfte anders sein als das der Menschen.«
»Ich habe dich erschaffen. Ich weiß, was Leben bedeutet. Und er hat Leben. Er kommt nämlich nicht von hier. Hier ist alles Schall und Rauch und Ruprekt hält die Illusion in Gang, wie ein Pferd von einem Karren.«
Eigor schwieg. Rolf räusperte sich. »Wie komm ich hier raus?«
»Aus deinen Gedanken? Schließ einfach die Augen?«
Rolf tat, wie ihm geheißen ward – und nichts passierte. Die Bilder blieben gleich.
»Dann nimm halt die Maske ab. Du überlebst das schon.«
Rolf tat auch jenes. Und er war in der Hütte und sie war genauso klein, wie sie von außen aussah.
Die beiden Männer waren jedoch tot. Ihre verdorrten Körper hingen an kaum sichtbaren Seilen, die nach unten ragten, gegen die Schwerkraft.
»Da staunst du, was?«, fragte der Mann, die Puppe, der Untote, also Viktor.
»Ich kenn dich von irgendwoher«, meinte Rolf.
»Ich bin Teil deiner Gedanken, wie alles hier. Glaubst du wirklich, dass die Matrix …«
»Ach halts Maul«, warf der Mann mit dem dicken Rücken ein, der sich als Schildkrötenpanzer herausstellte. Er nahm seine Sonnenbrille ab. »Willst die Waffen für deine Freunde holen, was?«

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