Adventus Santa – 6 – Angriff
Das Licht flackerte. Niemanden schien es zu stören, nur der Mann, der sich als Weihnachtsmann bezeichnete, hob seine dickbuschige Augenbraue. Seine Fäuste zitterten. Er blickte sich um, betrachtete die Jungen. »Sie kommen.«
»Wer kommt?«, fragte Rob.
Schweißperlen krochen über die Stirn des alten Mannes. Seine Arme knirschten. »Sie haben meine Frau und meine … Elfen.«
Ray versuchte, nicht zu kichern. »Wer? Der Osterhase?«
Der Weihnachtsmann starrte ihn an. »Woher weißt du das?«
»Das ist ein Scherz, oder?«
»Dieses Drechsvieh hat meine Frau und …«
»Hey, keine Verbrüderung mit olle Santa«, lachte Steve Myers, als er den Raum betrat. »Und nun schön vorsichtig, Opa, sonst passieren dir schlimme Dinge.«
»Ihr müsst mir helfen«, sagte Santa und blickte die Jungen an. »Helft mir, meine Frau zu retten.«
»Und sicher auch Weihnachten«, lachte Steve weiter. »Rettet Weihnachten. Die Welt ist in Gefahr. Irrer im Weihnachtsmannkostüm säuft ständig. Nun steh auf und ich bring dich in die Zelle und dann ins Altersheim.«
Sein Schlüssel berührte das Schloss der Handfessel. Etwas knirschte, sprang. Ein halbrundes Stück der Handschelle schoss in Zeitlupe durch die Luft und rammte die Wand, wo es steckenblick. Steves Gesicht erstarrte. Sein Körper schwebte davon, getrieben von einer Kraft, die zu fantastisch war, um real zu sein. Er stanzte einen Abdruck in die Ziegelwand und blieb liegen.
»Wo gibt es hier Waffen?«
»Äh.«
Das Licht erlosch. Aus der Ferne rührte sich etwas. Ray sprang auf, stellte seinen Stuhl an die Wand, stellte sich darauf und starrte aus dem vergitterten Fenster.
»Was ist das?«
Santa schloss die Augen. »Das sind die Pfoten der Terrorhasen und …« Er drehte seinen Kopf zur Seite. »Ich wusste es. Der Krampus sendet seine Kohorten. Aber es ist schaffbar.«
»Schaffbar was?«
»Zu überleben.«
Eine Welle brandete an die Gefängniswand. Das Gebäude bebte. Die vergitterten Fenster knirschten.
»Wir brauchen Waffen«, meinte Santa wieder.
»In der Aservatenkammer liegen ein paar vergessene …«
»Jaja. Los.«
Santa riss die Tür aus den Angeln. Der Sheriff und seine Leute waren zu abgelenkt von der quietschrosa Flut, die immer wieder gegen Türen und Fenster hämmerte.
»Hier«, meinte Ray und deutete auf eine Tür, die mit einem Nummernblock belegt war. »Aber da kommst nichtmal du durch …«
»Brauch ich nicht«, lächelte der alte Mann. »010453 ist die Kombination. Ich kenne Sheriff Johnson seit seiner Kindheit und das war der Tag, an dem er seinen ersten Hund bekommen hat.« Er tippte die Zahl. Klickend öffnete sich die Tür.
Leute schrien, als sich schwarzer Haken durch die Wände schob, als wären sie nicht real. »Eine Krampusklinge«, rief Santa unter dem Bersten der Fenster.
»Und nun?«, fragte Rob.
»Nun hole ich Waffen – aber erst Süssigkeiten.«
Der Mann öffnete eine Kiste. Weißes Pulver in pfundweisen Tüten glitzerte im Licht der Notstromanlage.
»Das ist Kokain«, hörte sich Rob rufen.
»Genau. Aber das ist nicht für euch. Sagt nein zu Drogen.«
Santa lächelte, riss eine Tüte auf und versenkte sein Gesicht darin. Augenblicke später stieß ein weißbärtiger Mann mit brennendem Gesicht die Tür auf.
Das Gemetzel trug den Ausdruck eines biblischen Gefechts. Die Terrorklinge zerfiel bereits nach Augenblicken in blutige Fetzen. Aus seinen Wunden krochen Terrorhasen, rosafarbene langohrige Kreaturen, die nur entfernt Ähnlichkeit mit Kaninchen hatten. Lidlose Augen blickten blind in die Gegend. Nasen zuckten, Körper reagierten. Die Tiere erfassten den Sheriff und seine Leute, sprangen sie an, bohrten ihre Krallen in die Körper und gruben sich durch ihr Fleisch. Santa feuerte, feuerte und lachte. Ray und Rob, denen Santa befohlen hatte, in der Aservatenkammer zu bleiben, konnten nachträglich nur Fetzen der Geschehnisse wiedergeben. Mündungsfeuer hüllte die Welt ein. Terrorkaninchen und andere, wildere Kreaturen, zerfielen in matschiges Fleisch. Knochenpanzer öffneten sich, spuckten schleimige Organreste auf den Boden. Alptraumhafte Miniaturwesen, die man nur als groteske Homunkuli erklären konnte, versuchten, zwischen den Leichenteilen einen Weg zu Santa zu finden, versuchten, an ihm heraufzuklettern, doch er schüttelte sie ab und trat sie mit seinem Stiefel zu Brei.
Doch all das war vergeblich. Santa wurde zurückgetrieben. Seine Gewehre versagten. Blut und Gekröse griffen den zischenden Schlagbolzen an, die Waffen glühten schwach. »Ich muss zurück an den Nordpol!«