Adventus Santa – 4 – Barfight
»Wo ist er hin?«, fragte Ray, während er den Schnee von der Jacke klopfte. Seine Augen starrten in die Dämmerung hinaus. Sein Gesicht zitterte.
»Der Weihnachtsmann? Weg.«
»Nein, kann nicht sein. Ich …« Ray stoppte. »Folgen wir seinen Fußabdrücken.«
»In der Finsternis? Im Schneesturm?«
»Dann geh ich allein.«
»Leck mich.«
»Selber.«
Rob folgte seinem Freund, als dieser sich aufmachte. Er konnte Ray doch nicht allein lassen. Gerade Ray, der so stark tat, war in Wirklichkeit der schwächste Mensch, den man sich vorstellen konnte. Nur seine Art hatte ihn bisher immer davor bewahrt, noch mehr verprügelt zu werden. Die anderen in der Highschool lachten ihn lieber aus, als ihn mit ihren Fäusten Manieren einzuhämmern. Warum Ray das tat? Um von Rob abzulenken und um Helen zu bekommen.
»Machst du das, weil du blöd bist?«
»Ja, natürlich«, keuchte Ray, als sie am Gartentor standen, welches Ray mit einer Wut aufstemmte, die er selten zeigte.
»Und dann?«
»Dann gehen wir zur Bar.«
Rob konnte nichts anderes tun als kichern. Die Bar, »4fingers«, lag 10 Minuten entfernt und nicht selten hatte Ray seinen Vater herausholen müssen – und Rob hatte sich nie hineingetraut.
»Warum sollte …«, fragte er, doch Ray reagierte nicht und stampfte voran.
Das Flackern der Neonlichter mit vier abstrakten Fingern einer verstümmelten Hand hing über dem Eingang. Die Tankstelle, die nur ein paar Schritte entfernt stand, sah deutlich besser aus. Die Hauptstraße erlaubte, dass man sich zuerst mit Benzin und dann mit Whiskey oder Bier zuschüttete.
Ray öffnete die Tür. Der Gestank von dutzenden alter Männer, Kubikmetern an Kotze und Schweiß und ungewaschenen Füßen stanzte einen Abdruck in Robs Nase. Ein Teil von ihm meinte, dass es draußen besser wäre, aber Ray allein in dieser Hölle? Auf keinen Fall.
»Ray, dein Dad ist nicht hier«, meinte eine blondgefärbte Frau mit großen Brüsten, die »Hello America« auf diesen der Welt präsentierte. »Dein Vater ist nicht hier.«
Ray winkte ab. »Mist. Ich hatte die Info bekommen, er bräuchte wieder Hilfe.«
»Hilfe«, meinte sie und lächelte ihn an, als wäre er ihr Enkelkind. »Hilfe braucht jemand anders.« Ihr abgebrochener manikürter rechter Zeigefingernagel deutete hinter die Bar. »Irgendein Weihnachtsmann-Darsteller aus der Mall dreht frei.«
Rob folgte dem Zeichen und drängelte sich durch die Gruppe der Männer, die laut murmelten.
Da war er, der Dämon aus dem Baumhaus, der Keksdieb, der … Weihnachtsmann. Ray hatte Recht gehabt. Der ehemals rote Mantel des Mannes war von Löchern und Brandflecken entstellt. Sein Bart war angesengt, seine Augen glitzerten, sein Mund zuckte. Vor ihm lag ein Dutzend leerer Flaschen. Wie lang hatten sie hierhergebraucht? Wie konnte jemand so schnell trinken?
»Hey Santa«, meinte eine Stimme, »Probleme mit deiner Alten?«
Eine leere Flasche schoss über die Theke und rammte sich dem Mann in den Brustkorb. Mit dumpfen Keuchen fiel er zurück. »Mein Gott, Frank«, rief die Kellnerin. »Helft ihm doch.« Ein paar Männer packten ihn und zerrten ihn davon. Die anderen wussten augenscheinlich nicht, was sie tun sollten. Dann griffen sie an. Die nächsten Minuten konnten nur durch Schläge und Tritte gefüllt werden. Der Weihnachtsmann kämpfte gegen die hilflosen, aber zornigen Gäste. Flaschen splitterten. Knochen knirschten. Der weißbärtige Teufel erinnerte an eine Maschine, die dafür programmiert worden war, zu verletzen. Irgendwann legte sich der Rauch des Krieges über die nun stille Bar. Die Unverletzten hatten sich zurückgezogen, die Frauen waren geflohen.
»Lass uns gehen …«, murmelte Rob.
»Nein, es muss einen Grund haben, wieso er hier ist«, antwortete Ray leise, dann räusperte er sich, kroch aus der Ecke, in der sie sich versteckt hatten, ins Dämmerlicht und stellte sich vor dem Alten hin, überlegte kurz.
»Hey, Santa«, sagte er. »Ich will mein Geschenk.«
Santa hob seinen Blick von den blutüberzogenen Splittern, die die Theke säumten.
»Du …«, meinte er, dann deutete er mit dem Finger auf Rob, der noch immer im Schatten stand. »Und du …«
Er richtete sich auf. »Ihr habt mich gerufen. Ihr habt … mich gerufen und meine Frau wird sterben. Wegen euch! Wegen euch! Helft … mir. Bitte.« Seine Arme, die massig seinen Körper stützten, begannen zu zittern. Dann brach er zusammen.