Adventus Santa – 19 – Tod
Die weiße Ebene berührte Robs Augen, brannte sich ein. Santa war schon weitergeeilt, er kannte die Umgebung, war hier aufgewachsen, war in einer dieser Ebenen entstanden. Die Festung schwamm in glitzernder Pracht in diesem Meer aus trockenem Schnee, der fast wie Sand wirkte.
Santa stürmte durch das Tor, blieb stehen, blickte sich um. Rob hörte ihn keuchen, als er nähertrat.
»Was ist das?«
Da war nichts. Der ganze Innenbereich der Festung war leer, völlig vereinsamt. Glitzernde Fenster hinterlißen Abdrücke in Robs Augen. Ein Schneebrunne sprudelte unhörbar weißes Pulver in die Welt hinaus.
»Ich … ich erinnere mich an Explosionen. Ich …«, Santa griff seine Stirn, raufte seinen Bart. »Sandy!«
Er stürmte weiter. Rob blieb stehen, blickte sich um. Folgte spät – zu spät.
Santas Schritte verhallten. Eine Handvoll Treppenstufen trennten Rob vom ersten Stock. »Warte nicht, folge ihm«, flüsterte die Stimme, die nicht aufgehörte hatte, zu reden, seit sie das erste Mal in Erscheinung getreten war. »Denke an Cindy.« Robs Füße fühlten sich schwer an, als er dem Befehl nachkam.
Währenddessen stampfte Santa durch die Festung, blickte sich um. Wo war Sandy? Wo waren seine Elfen? Dumpfes Rumpeln ließ ihn aufhorchen. »Sandy?«, flüsterte er. Da war doch was, hinten, in einem der Zimmer, einem der unbekannten Zimmer, die er seit Jahrhunderten nicht mehr betreten hatte. Vorsichtig schlich er näher heran. Ja, da war jemand. Die Tür stand halb offen. Sandy quiekte leise.
Santa riß die Tür auf. Der Zorn in seinen Adern brannte, doch was er sah, ließ das Wasser in seinen Augen zu Eis werden.
»Sandy … Krampus … Osterhase?«
Er fühlte, wie es ihm den Magen zerriss, sein Herz entglitt und zu Boden fiel, zerbarst.
Das Lachen Sandys schmolz sein Rückgrat.
»Santa, schon hier?«
Die Stimme des Osterhasen rollte durch das grelle Halbdunkel der verdammten Szene. »Ihr sagtet mir, er wäre tot. Verdammt!«
Nur Krampus reagierte nicht. Seine schwarzen Augen glitzerten, während er den nacken Rücken der Frau streichelte, als wäre sie sein Haustier – doch es schien genau anders herum zu sein.
»Krampus, du Schwein!«, hörte Rob, der nur einige Augenblicke nach dieser Szene angekommen war. Er sah den Weihnachtsmann aus dem Zimmer taumeln, musste mit ansehen, wie er die gegenüberliegende Wand rammte. Er trat näher heran, doch die Stimme in seinem Kopf packte ihn. »Warte noch, Rob. Wir wollen doch nicht, dass Cindy was passiert …«
Santa brüllte. Seine Stimme riss Löcher in die Wände. Wut und Verzweiflung tobten in ihm. Eine Frau trat aus der Tür, lächelte mit eisblauen Augen. Es wirkte bizarr. War sie Santas Frau? Aber … wieso war sie … Rob wandte seinen Blick ab. Schritte näherten sich ihm, blieben vor ihm stehen. Noch immer blickte er zu Boden.
»Töte ihn, mein Junge«, sagte die Frau mit der sanften Stimme und dem Körper, der eigentlich nicht zu ihr passte, als wäre sie aus verschiedenen Stücken zusammengesetzt worden, als wäre ihr Tod vor Jahrtausenden geschehen, als würde nur die Kraft einer unheiligen Seele sie davon abhalten, zu zerfallen.
»Schau mich an, Junge«, sagte die Frau, »das ist Santas Schuld. Tausend Jahre hat er mich in dieser Form belassen, hat seine bescheidenen Illusionszauber über mir ausgebreitet, als wäre ich ein dummes Kind. Doch Krampus liebt mich, wie ich bin. Und Osterhase«, lachte sie, »Osterhase treibt es mit allem, was nicht bei drei auf den Bäumen ist. Schau mich an und dann töte Santa.«
»Töte Santa«, echoete die Stimme.
Rob fühlte den Griff eines Messers in seiner Hand.
»Töte Santa, sonst töten wir Cindy und Ray und alle deine Freunde«, meinte Sandy, packte seine Hand, presste sie in den hölzernen Griff der Klinge, die mit alten vergessenen Symbolen belegt worden war.
Robs Arme fühlten sich schwer an. Er taumelte vorwärts, in Richtung Santa, als wäre er kein Mensch, als wäre er nur eine Marionette auf dem Weg in den Abgrund. Er blieb vor Santa stehen, dessen Bewegungen wie die eines betrunkenen Tänzers wirkten.
»Rob«, fragte er. »Was ist hier los?«
Rob stach zu. Es war so einfach, so simpel. Er stach zu, immer und immer wieder.
Santa sagte kein Wort.