Adventus Santa – 17 – Krampus
»Du warst böse. Du bist böse. Du wirst immer böse sein.«
Stimmen knirschten durch Robs Ohren. Er konnte nichts fühlen, nichts sehen, nur hören. Seine Seele schwebte durch eine endlose Nacht, durchbrochen vom Flüstern und Kreischen tausender unsichtbarer Kreaturen.
Etwas riss. Licht strahlte durch die Finsternis. Eine Kreatur füllte die Öffnung aus, trat in die Nacht hinein. Rob versuchte, seine Augen abzuwenden, aber er war unfähig, sich zu bewegen.
»Wieso bringst du Santa zurück?«, fragte das Wesen und kratzte sein linkes Horn, das riesig schien, wie das Horn einer menschlichen Ziege.
»Weil …«, murmelte Rob.
»Weil? Weil du ein dummes Kind bist …«, sagte die Kreatur.
»Wer bist du?«, fragte Rob.
»Ich bin der Krampus. Guten Tag. Ahoi. Glück auf. Morjen. Wie auch immer man bei euch sagt. Kehre um und nimm Santa mit.« Die Kreatur trat näher heran und grinste. Seine gelben Zähne wirkten wie altes Elfenbein.
»Das wird nicht passieren«, meinte Rob. »Der kommt und er holt euch.«
»Holt … uns. Ah, ich verstehe. Er und seine Armee gegen mich und meine Armee …« Krampus lachte. »Kehrt um, sage ich euch.«
»Aber …«
»Aber was? Ach ja, ich habe Cindy.«
»Cindy?«
»Ja. Wen sonst?«
Krampus schnippste. Eine Kreatur stampfte durch die Öffnung, schaute sich um, öffnete sein Maul. Etwas platschte. Quiekte.
»Rob!«
»Cindy!«
Erinnerungen an eine andere Cindy krochen in Robs Verstand, Erinnerungen an eine Klinge, die sein Herz …
Er war tot, musste tot sein – und das war sicher die Hölle. Das konnte sie nicht sein.
»Rob«, flüsterte sie. »Rob, du bist hier. Ich bin euch hinterhergesprungen, als ihr gezaubert habt. Und … jetzt bin ich hier«, schluchzte sie, versuchte, zu ihm zu laufen, doch die Klingen der Krampuskreatur rissen eine gleißende Linie in den schwarzen Boden.
Krampus drehte sich wieder zu Rob um. »Kehr um. Kehr um, sage ich dir.«
»Ich kann nicht«, antwortete Rob. »Santa will zu euch. Er muss. Weihnachten …«
»Weihnachten ist für Luschen«, antwortete Krampus. »Jedes Jahr rollen die Menschen Weihnachtsbäume aus. Jedes Jahr bekommen schreckliche Kinder die besten Geschenke. Warum? Weil ihre Eltern schreckliche Menschen sind. Warum? Weil Santa weich geworden ist, weich wie Butter auf einer Herdplatte.«
Krampus drehte sich um, kratzte sich den haarigen Rücken, blickte zurück. »Wir wären ihn losgeworden. Aber ihr Kinder … ihr … Kinder habt ihn wieder zurückgebracht. Naja, wenigstens ist er hier nicht unsterblich.« Er seufzte. »Ich mochte den Mann … ich hatte Respekt vor ihm. Aber wir alle haben den Respekt vor ihm verloren. Selbst seine Vertrauten. Nun«, er drehte sich wieder um und stampfte in die Ferne. »Kümmer dich darum, dass Santa wegbleibt und wir geben deine Schwester wieder frei, bringen sie zurück in eure Welt. Sie wird vergessen, was sie erlebt hat. Vielleicht fällt für dich auch etwas ab. Einer meiner Helfe«
Der Riss schloss sich hinter ihm. Cindys Rufe verhallten in der Ferne. Die Finsternis rollte zurück über Robs Verstand, wurde grauer und grauer, bis sie schließlich in seinen Augen brannte.
»Rob?«, fragte eine Stimme, Santas Stimme.
Rob konnte sich nicht bewegen. Sein Herz brannte wie Feuer, alles brannte in ihm. »Santa«, keuchte er mit aller Mühe.
»Rob, du lebst! Steh auf, mein Junge.«
Santas Gesicht glänzte vor Tränen. Er hob den Jungen auf und umarmte ihn. Wer waren die Männer, die um sie herumstanden? Einer davon blutete aus einer Wunde über seinem Herzen, wirkte fahl und hilflos in den Armen der Männer, sie mussten Soldaten sein.
»Krampus«, murmelte Rob.
»Ja, mein Junge?«
»Krampus …«, Rob stoppte. Noch immer hing Cindys Gesicht in seinem Verstand, umgeben von Finsternis und Schmerzen. Er musste ihr helfen, doch Santa durfte nicht zum Nordpol zurück. Bittere Kälte rollte durch seine Adern.
»Hast du ihn gesehen? Was hat er gesagt?«, fragte der verletzte Mann.
»Baldur, nicht jetzt.«, antwortete Santa.
»Baldur?«, fragte Rob.
»Was hat Krampus gesagt?«
»Er sagte«, flüsterte Rob, doch eine winzige Stimme, die nicht die seine war, nur nah genug an seinem rechten Ohr, dass nur er sie hören konnte, zwitscherte ihm Worte zu, versprach ihm Erlösung und Antworten. »Er sagte, Sandy wäre entkommen und auf dem Weg zum Roten Tor.«