Adventus Santa – 13 – Candy

Adventus Santa – 13 – Candy

Candys Flügel flimmerten vor dem metallgrauen Himmel. Natürlich konnte sie fliegen, aber nicht mit Ray an ihren filigranen Fingern. Allgemein sah sie zerbrechlich aus. Ihre Wangenknochen konnten Licht brechen. Ihre Nase war so klein, dass man sie erst beim 3. Mal sehen konnte, dafür waren ihre Augen so groß wie bei einem dieser japanischen Trickfilme, die Rays Vater immer anschaute – als wäre das was besonderes aus dem Krieg.
»Komm schon«, zwitscherte sie.
Er folgte ihrem Befehl. Was sollte er auch anderes tun? Rob war tot, Santa war fort und er war in einem Märchenreich, das soviel anders war als gedacht oder gelesen.
»Sie werden Weihnachten angreifen«, meinte er.
»Nein«, antwortete sie, »sie kommen zur Erde.«
»Erde?«
»Ja, dein Reich. Sie sind Legion, also sehr viele und sie wollen nicht mehr den Menschen untertan sein.«
»Hä?«
»Nichts. Los.«
Sie rasten durch die Gänge. Candy schien einen siebenten Sinn zu haben, wenn es darum ging, Patrouillen auszuweichen, als wären ihre Flügel Antennen.
»Wer bist du?«, fragte Ray.
»Candy. Eine Elfe. Naja, eine verschleppte Elfe.«
»Ich dachte, Elfen sind Zipfelmützen-tragende Helfer des Weihnachtsmannes.«
»Auch. Wir stammen alle aus einer gemeinsamen Vergangenheit, aber vor vielen Jahren trennten sich unsere Wege. Die Weihnachtselfen arbeiten gerne für die Menschen – und wir Waldelfen nicht.«
»Waldelfen. Warum hat man dich gefangen?«
»Ich war auf diplomatischer Mission. Glaubst du, wir Elfen sehen zu, wie Krampus sich den Osterhasen schnappt und den Nordpol überfällt?« Sie stoppte, drehte sich zu ihm um. »Santa lebt doch noch, oder?«
Ray nickte.
»Gut. Dieser Dreckskerl verdient eine Tracht Prügel …«
»Wie…«
Doch Candy hatte ihn schon wieder gepackt und in eine Ecke gedrängt. Ihre Flügel schienen wie eine Tarnung zu wirken, denn Ray konnte durch sie hindurchschauen, aber die Patrouille, die durch die Gasse stampfte, ihn nicht. Ray atmete vorsichtig. Candy blickte auf ihn herab. »Was ist los? Noch nie eine Elfe gesehen?«
»Nicht so … angezogen«, keuchte er. Sie roch so gut, wie eine Mischung aus Keksteig und Sommerwälder.
Sie grinste anzüglich. »Deshalb hat man mich ausgewählt. Dachten wohl, ich könnte Krampus ›überzeugen‹. War völliger Blödsinn. Krampus und Osterhase sind gleichzeitig in eine andere Frau verknallt und die … Moment.«
Sie wirbelte herum. Da war nichts, nur eine einzelne Ratte, die sie mit rotglühenden Augen anstarrte. Candy spitzte ihre Lippen, pfiff einige Töne. Die Ratte pfiff zurück und raste davon.
»Was war das?«, fragte Ray.
»Das war eine Ratte.«
»Wirklich?«
»Eine Schlüsselratte.«
»Ein Schlüssel für welche Tür?«
»Das willst du nicht wissen. Also Santa lebt noch und was weiter?«
»Er will zurück zum Nordpol.«
»Und er wandert durch die Minen. Naja. Blöder gehts kaum. Aber gut, da traut sich auch kein Krampus hin.«
»Und wir?«
»Wir schon …«, lächelte sie.

Candy folgte der unsichtbaren Spur der Ratte. Ein Tor öffnete sich in ihrem Blickfeld, fast unsichtbar in den Stein gemeiselt.
»Am besten, du bleibst hier, Junge.«
»Auf gar keinen Fall, Candy«, zischte er.
»Hier ist es deutlich angenehmer als im Rattenreich.«
»Ich …«, murmelte er, »habe meinen besten Freund verloren, den Santa jetzt durch die Gegend trägt. Also … was auch immer passiert, ich komme mit dir.«
»Ich respektiere das. Kreisch aber nicht so laut, wenn du die Ratten siehst.«
Die weiße Ratte lief Runden vor dem Tor. Candy ging in die Knie, streichelte sie über den Kopf. Die Ratte quiekte vergnügt und raste durch ein unsichtbares Loch in der Wand. Augenblicke später knirschten Räder in der Ferne, Maschinen surrten lautstark, Echos rollten durch die Finsternis. Das Tor ruckelte erst, bewegte sich an, als würde es aus tausenden Rattenschwänzen bestehen, die auseinandergezerrt werden.
Schlimmer als das waren die Millionen rotglühender Augen in der Tiefe. Candy schritt voran. Ray folgte ihr. Er fühlte sein Zittern, doch musste festsetellen, dass nicht er es war, sondern der Boden, der um seine Füße kreiste, als bestände er aus … »Ratten.«
Candy drehte sich nicht zu ihm um.
»Beherrsch dich«, murmelte Ray sich selbst zu. »Beherrsch dich verdammt nochmal.«
Der Horror erreichte ihn in dem Augenblick, als das Tor wieder in sich zusammenfiel und Finsternis ihn einhüllte, wie das Schweigen seine Seele.

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