Adventus Santa – 12 – Getrennt

Adventus Santa – 12 – Getrennt

Ray wusste nicht, was er sagen, was er denken sollte. Vor ihm stampfte Santa durch einen Gang, umgeben vom öligen Dampf der grotesken Maschinen. Santa trug Robs Körper. Rob war tot. Und er hatte es nicht stoppen können. Was für eine Lusche, was für ein Versager! Solche Sprüche hörte er immer und immer wieder. In der Schule, von seiner Mutter, auch von seinem Vater, wenn er wieder betrunken war – als ob seine fehlende Anwesenheit nicht ein Loch in das notwendige Rollenmodell-Konzept gerissen hätte. Vielleicht würde ihn nicht einmal die Armee nehmen.
»Hey, warte«, hörte er sich selbst rufen, doch Santas Schatten war bereits hinter einer Ecke verschwunden, umgeben vom tabakfarbenen Licht dieses Labyrinths. Rays Zähne knirschten. »Ich bin zu blöde, ihn zu retten. Nun bin ich zu dumm, mich zu retten.«
Er stoppte, blickte sich um. Das unendliche Hämmern der fernen Maschinen hing in seinen Ohren. Ein Jaulen erreichte seine Position, gefolgt vom Schaben metallener Klingen auf Rohren, wie in diesen Horrorfilmen. Aus denen er mit Alpträumen erwacht war – voller unhörbarer Schreie.
Er rannte weiter, blickte in jede Gasse, jede Abzweigung, als wäre es ein neuer Abgrund, als würde aus ihnen der Tod kommen.
Und wenn? Wenn er hier sterben würde? Nein, die Krampus-Kreaturen töteten niemanden – außer Rob. Sie würden ihn packen, würden ihn davonschleifen und in eine ihrer Maschinen pressen, wo er … was? Hebel ziehen? Knöpfe drücken? Schreie hören? Was? Was war das Geheimnis dieser turmhohen metallenen Wesen, die durch die Finsternis ragten, aber nicht ans Licht gelangten?
Das Hämmern wurde lauter. Die Schritte beschleunigten sich. Der Marsch tausender metallener Sohlen pulsierte in seinem Kopf. Seine Augen brannten, als er an einem Tor stoppte. Was war das? Er musste seine Augen bedecken. Da stand sie, im grellen Licht einer toten Sonne: Eine Armee, aufgeteilt in Hundertschaften – aber völlig im Terror gefangen. Riesige Wesen, eine Mischung aus Spinne und Teufel, aus Bär und Dämon, schwangen Peitschen, die wie Stromkabel wirkten, schwarz und ölig – schwarz und blutig.
Waren die Wesen nicht lang genug hier unten gewesen, oder …
Eine Maschine rollte heran, stoppte, öffnete ihre Front. Etwas kroch heraus, doch es war nicht sichtbar, was. Oder Rays Verstand schaltete sich einfach aus. Ja, das musste es sein. Unbeschreibliches Grauen ergriff sein Herz, packte es, zerrte ihn rückwärts.
Doch die Klingen waren nähergekommen. Ray musste, musste sich zwingen, sich irgendwo zu verstecken. Doch wo? Hinter den Kisten? Nein, sie würden ihn finden. Auch hatten die Wände kaum Aussparungen, in denen er sich verbergen konnte.
Er zwang sich, den Weg zurückzurennen. Er fühlte, alles wäre egal, Leben oder Tod. Er würde es nie jemandem recht machen. Keinen Sportwagen besitzen. Keine Freundin haben. Er würde sterben, eindeutig.
Ohne, dass er es wusste, hatte er den Gang verlassen und war in einen größeren Raum getreten. Kisten mit verbrannten Symbolen ragten in die Höhe. Über ihm brannte der dunkle Himmel.
»Hey«
Er wirbelte herum. Eine Hand schwang durch die Finsternis, versuchte, ihn zu packen.
»Hey«, wiederholte die Stimme. Sie wirkte jung und lebendig. Sicher eine Halluzination der Kreaturen. »Hilf mir doch!«
Er zerrte die Decke von der Kiste. Es war keine Kiste und das Wesen war eindeutig keine Krampuskreatur.
Der Käfig schien massiv zu sein, ohne Tür. Er betrachtete ihn. Ja, am Boden konnte er verschiedene Schnallen erkennen.
»Mach die Schnallen auf. Bitte.«
»Kannst du das nicht?«
»Die sind magisch. Ich kann nicht … bitte«, seufzte sie.
Er überlegte kurz, dann begann er, die metallenen Schnallen zu lösen.
»Und nun zieh.«
Er tat, wie ihm geheißen war. Der Käfig wackelte erst, dann kippte er nach vorn. Er sprang davon, kurz bevor er erschlagen wurde.
»Danke«
Sie öffnete ihre Arme, ihre Flügel. Ihre Flügel?
»Wer … bist du?« Rays Augen flimmerten.
»Hallo, ich bin Candy«, meinte sie.
»Natürlich bist du das«, antwortete er.
»Und nun?«, fragte sie.
»Was: Und nun?«
»Naja, du hast mich befreit. Wie ist dein Plan, oh Held?«
Aus Rays Mund drang nur leeres Keuchen. »Plan?«
»Ein Schweigsamer also, na gut. Kannst du wenigstens kämpfen?«, frage sie.
»Nein«, antwortete er. »Kannst du fliegen?«

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