Adventus Santa – 14 – Jäger

Adventus Santa – 14 – Jäger

Santa blickte sich nicht um. Er konnte sie fühlen, die Jäger. Seit er in der Menschenwelt erwacht war, hatte er ihre Anwesenheit wahrgenommen, erst weit entfernt, wie das Flattern einer Kerze, dann deutlicher, als die Wesen das Gefängnis angegriffen hatten – doch jetzt, hier im Zwischenreich, hier war ihre Essenz deutlicher als überall sonst.
Er trug den Jungen, versuchte, die Geschwindigkeit zu halten, doch auch, wenn er voranschritt, als hätte er Siebenmeilenstiefel an seinen Füßen: Sie waren schneller. Der Junge. Santa fühlte Hass aufsteigen, Hass auf sich selbst. Er hatte nie wirklich daran gedacht, was die beiden mitmachten, die ihn versehentlich gerettet hatten. Er war nicht ganz ehrlich zu ihnen gewesen. Sein Herz schlug schneller, sein Gesicht verfinsterte sich. Hatte er in all den Jahrhunderten vergessen, wie wichtig es war, menschlich zu bleiben?
Das Gewicht des Jungen presste ihn zu Boden, doch das eigene Gewissen lastete noch schwerer auf seinen Schultern.
Trotzdem rannte er weiter. Wo war er? Er blickte sich um, doch da waren nur Schatten. Er war der Armee des Krampus entkommen, hatte auch keinen Alarm ausgelöst, aber als der Junge, Rob, verhext worden war, konnte er ihn nicht einfach so liegen lassen. Vermutlich war die Krampuskreatur noch zu jung gewesen, um zu erkennen, dass Rob perfekt in ihre Gruppe gepasst hätte. Santa konnte das Herz des Jungen erkennen, als wäre es ein Buch – und es sah finsterer aus als so manches Erwachsenes. Er verachtete alles und jeden. Selbst eine Familie. Seine Intelligenz brannte in seinem Kopf, aber er konnte sie nicht beherrschen, sie nicht in eine vernünftige Richtung lenken. Und jetzt hatte sein Vater den Fond aufgebraucht, der Rob auf ein College und eine Universität bringen sollte … Menschen sind so berechenbar: Solange sie noch Hoffnung haben, dass ein Unternehmen funktioniert, stecken sie alles hinein, selbst die Zukunft ihrer Kinder. Doch meistens, wie auch in diesem Fall, hatte die Wirklichkeit gewonnen. Robs Vater war pleite – und Rob fühlte es, tief in seinem Herzen.
Er blickte sich weiter um. Diese Gedanken, die er hatte, lenkten ihn von seiner Aufgabe ab, aber das konnte nur eins bedeuten: Die Jäger waren da. Seine Gefühle rotierten, die Bilder in seinem Kopf kämpften miteinander wie Krebse in einem Krug – keines entkam, alle hingen in diesem Wahnsinn fest.
Er konnte ihre Gestalten erkennen, oben am Rand der Schlucht, vielleicht eine Meile entfernt. Ihre Körper hingen auf Pferden, die nicht real waren; dort oben vor dem blauen Himmelszelt standen sie, lauerten sie. Sie wussten, dass er hier war. Aber er wusste auch, dass weder Krampus noch Osterhase sie angeheuert hatte. Wer hatte das getan? Er konnte sich keinen Reim darauf machen, hastete weiter. Verdammt, das war die falsche Richtung. Die Kraft ihrer Gedanken schwamm durch sein Gehirn. Sie jagten ihn. Er war nicht sicher, nicht er, nicht Santa.
Und doch, was wäre, wenn er jetzt aufgeben würde? Ja, es gäbe kein Weihnachten mehr, aber die Menschen würden sicher etwas neues finden, um Zeit und Geld zu investieren, gerade in diesen Zeiten. Wo war der alte Yule-Mann? Er hatte sich zurückgezogen, ein Leben in Einsamkeit geführt, zusammen mit Frau Saturnalia. Das waren die Worte, die Geschichten draußen in der Welt. Doch waren sie wirklich freiwillig gegangen oder waren sie halb-tot und versteckt?
Er taumelte weiter. Irgendwo hier musste der Eingang sein. Hatte er je darüber nachgedachte, was passieren würde, wenn er allein am Nordpol auftauchen würde, ohne Hilfe? Wie viele seiner Elfen hatten überlebt? Wer konnte ihn unterstützten? Er konnte die Jäger nun schmecken. Der Geruch ihrer Existenz überrollte seine Seele.
Er wirbelte herum. Sie waren da. Sie waren zu fünft, jeweils einer für die 5 Ecken der Welt. Er taumelte zurück.
»Komm«, sagte eine ferne Stimme. »Komm mit uns.«
»Nein«, keuchte er, schüttelte seinen Kopf. »Auf keinen Fall.«
»Komm mit uns!«, echoten die leblosen Gesichter der Kreaturen. »Man erwartet dich.«
»Wer … wer …«, frage Santa.
»Du wirst sehen und erkennen.« Eine der Gestalten stieg von ihrem Pferd und nahm ihre Maske ab.
»Du?«, fragte Santa erneut. »Du? Bist du es wirklich?«
Sein Gegenüber lächelte.

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