Adventus Santa – 11 – Mord

Adventus Santa – 11 – Mord

Der Wald endete in einer typischen Lichtung. Santa stoppte, betrachtete die Umgebung.
»Da hinten liegt das Tal des Krampus. Nicht einmal ich kann die Kinder stoppen.«
»Kinder?«, fragte Rob.
»Natürlich. Was denkst du, macht Krampus mit den Kindern, die er entführt?«
»Das ist doch alles nur eine Sage.«
»Sagen sind immer wahr, auf die eine oder andere Weise. Es ist ihre Strafe, die Verwandlung.«
»Auf ewig?«
»Wer weiß. Ich habe noch nie jemanden gesehen, der entkommen ist. Sobald die Kinder hier ankommen, sind sie hundert Jahre gealtert und dann leiden sie noch einmal hundert Jahre. Wer das überlebt, wird zu einer Kreatur.«
»Also …«
»Ja«, Santa schüttelte seinen Kopf. »Also …«
Sie schwiegen.
»Gibt es keinen anderen Weg?«
»Nein. Also ja, aber der führt durch den Abgrund und der Abgrund ist schlimmer als jeder Alptraum, schlimmer als alles, was ein Mensch ertragen könnte. Und ich war einmal ein Mensch, vergiss das nicht.«

Sie schlichen weiter. Dumpfes Dröhnen hüllte sie ein, verstärkt durch den Abgrund, der sich vor ihnen auftat. Maschinen rollten durch die ewige Nacht unter ihnen. Der Geruch von Öl und Metall verbrannte ihre Nasen. »Nicht einmal schlechte Menschen haben das verdient. Besonders keine Kinder«, meinte Santa.
»Wieso tut man da nichts dagegen?«
»Frag die Götter. Oder wen auch immer. Die, welche das Grauen überleben, werden selbst zu Folterknechten des Krampus – sie sind schlimmer als jeder andere Mensch. Ihre Seelen sind zersplittert, gepeinigt. Ihre Form ist nur Fassade. Der Terror vernichtet jede Form von Güte, Liebe, Hilfsbereitschaft. Seid wachsam. Da drüben«, er deutete auf den anderen Rand des Tals, »da drüben ist der Eingang zu meinem Reich. Ich habe die Schlüssel. Seid vorsichtig. Vertraut niemandem.«
Sie krochen über den Rand des Abgrunds. Ein schmaler Pfad, kaum zwei Füße lang, hing an den Felsen, fast unsichtbar. Doch Santa schien mehr als nur geschickt dafür zu sein, diesen Weg zu nehmen. Vermutlich hatten tausend Jahre Geschenkelieferung ihn dafür trainiert, vielleicht waren es auch mehr als ein Millennium.
Rays Rücken brannte. Seine Füße schienen gewachsen zu sein, seine Fußzehen hingen über dem Abgrund. Seine Schuhe waren nicht dafür geeignet, solche Wege zu gehen.
Etwas knackte. Sein Kopf wirbelte herum.
Robs Gesicht brannte, seine Hände schienen sich nicht festhalten zu können.
»Lass das«, flüsterte Ray.
»Ich … kann nicht. Ich habe Angst«, flüsterte Rob zurück, Schweiß in den Augen.
Wieder knackte es. Ray fühlte, wie der Boden unter ihm begann, zu bröckeln. Hilfesuchend schaute er Santa an, doch der war schon zu weit entfernt.
Dann war der Boden fort. Für einen Augenblick schwebte Ray in der Luft, als wäre er eine Figur aus einem Trickfilm.
Robs Arm schoss in seine Richtung, packte ihn.
Die Gravitation gewann.
Sie rasten ins Tal. Schmerzen rollten über ihre Rücken. Sie versuchten, nicht zu schreien. Erfolglos. Das Echo ihrer Stimmen rollte über sie hinweg.
Der Aufschlag brannte alle Luft aus ihren Lungen.
»Lebst du noch?«, fragte Ray.
Rob antwortete nicht.
»Rob?«
Ray öffnete die Augen. Über ihm lag der Rauch der Todesmaschinen.
Seine Augen tränten. Er drehte seinen Kopf. Rob war nicht da, nur ein Dutzend Kisten, verbranntes Holz voller verbotener vergessener Zeichen.
»Rob?«
Eine Bewegung riss Rays Kopf nach oben. Sein Körper folgte, beschwerte sich aber deutlich.
»Rob?«
Rob stand an einer der Kisten, starrte in die Ferne.
»Rob?«
Rob drehte sich zu ihm um. »Da ist Cindy.« Seine Stimme floss in Rays Ohr, als wären sie tausende Meilen getrennt.
»Cindy?«
»Ich muss sie retten.«
»Nein!«
Rob rannte davon. Ray folgte ihm.
»Cindy!«
Rob stand vor einer Kreatur, die nicht einmal annähernd an Cindy erinnerte. Was das Wesen war, konnte man nicht erkennen. Es war von einer grauen Haut überzogen, verbrannt von Feuer und Schmerzen.
Rob ging in die Knie, umarmte die Kreatur.
»Rob!«, hörte sich Ray rufen, als das Wesen seine Hand hob, Rob umarmte, eine Klaue hob.
Getroffen sank Rob zusammen. Die Kreatur hob ihre Klaue und betrachtete das Blut, das von seinen Fingernägeln auf den Boden tropfte. Sie grinste, tanzte und rannte davon.
Santa schoss an Ray vorbei, hob Rob auf. »Weiter! Los!«

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