Metaphysisches geblahkekse

Metaphysisches geblahkekse

Metaphysisches geblahkekse

das waren seine Worte. Er hatte keinen Atem mehr. Keine Worte mehr, um mich weiter zu beleidigen. Seine Augen, so sie noch sehen konnte, starrten in das Unbekannte hinter der Physik, starrten in die Meta-Physik.

Ich wusste, dass der Tag damit gelaufen war. Mein Abschluss in Philosophie war damit gegessen, vorbei, absolutely over. Ich blickte aus dem Fenster in die tränenverhangenen Wolken, die zwischen den Hochhäusern hingen. Ich starrte auf sie, als ob sie etwas daran ändern konnten. Die Gebäude zwischen den Wolken waren grau und leer, Wolken aus Beton und Stahl, doch wenn man genau hinschaute, konnte man das Nichts erkennen. Molekühle, Atome. Endlose Strecken aus Nichts zwischen den Protonen und Elektronen. Der Kern ist so weit entfernt, dass Atome eigentlich aus gar nichts bestehen.

Dachten die Leute. Ich dachte das nicht. Ich war Philosoph, kein Wissenschaftler, kein Physiker. Wollte mal Mathematiker werden, aber statt dessen taumelte ich zwischen Intensivstation und Intensivstation hin und her, und alles, was die Stationen mir bringen konnten, waren Ergebnisse unbekannten Ausgangs.

Ich war wie Pacman, aber ohne Geister. Ich war wie das Labyrinth ohne Packman. Ich war die Zeit, die zwischen den Planck-Einheiten herumwanderte. Doch meine Suche bedeutete nichts. Sie war zeitlos. Und ich selbst starrte wieder auf das Nichts und das Nichts hatte die Form von Tinte aus einem Füllfederhalter unbekannter Marke, die sich auf das Papier hinabwarf, aufprallte und seine Atome mit denen des Papiers verschmolz, sie jedoch nie berührte. Kräfte wirkten zwischen allen Einzelteilen des Daseins, zogen und schoben, erwarteten nichts und bekamen doch alles, eine Wirklichkeit, der sich Menschen und Tiere und Pflanzen und Planetensysteme zugehörig fühlten. Doch sie waren im Nichts gefangen. Und ich wusste, dass ich in der Summe nicht einmal meine Größe und mein Gewicht hätte. Wie viel wiegt ein Atom? Und warum so viel?

Ich öffnete das Fenster und blickte hinaus. Gab es wirklich ein „Hin-aus?“ Vermutlich bildete ich mir das ein. Ich teilte diese Gedanken mit allen anderen. Ein „hier“ ergibt immer im Umkehrschluss ein „dort“. Und auch wenn ich nicht an etwas glaubte, was existierte, durfte es jedoch existieren. Ich fühlte, dass die Antworten nie existieren würden, weil wir nicht dazu geschaffen waren, die Fragen zu stellen. Unsere menschlichen Worte waren nicht fähig, uns überhaupt in eine Richtung zu schicken, die etwas wert war. Wert. Ich versuchte, zu lachen. Meine Stimme knirschte etwas. Es war kalt und unter den Wolken marschierten dickbekleidete Menschen über den frostverzerrten Boden. Selbst die Bäume litten. Ich konnte ihr Leiden erahnen, aber nicht einmal mich selbst fühlen. Metaphysik. Natürlich. Die Sprache der Untoten. Die Sprache der Nichtmehrexistenten. Ich dachte an die Begriffe, die selbst in unendlichen Jahrhunderten nie übersetzt werden konnten. Ich dachte an Augen, die sich aus allen Richtungen in alle Richtungen bewegen, ihre Blicke gefangen in den Dimensionen unserer Kenntnis. Ich dachte an Lieder, deren Melodien unmöglich waren und gleichzeitig so schön, dass unsere Seelen, die elektrischen Einzelteile unseres Daseins, aufgelöst wurden in einem Meer aus Dissonanz und Ordnung. Ordnung.

Ordnung. Natürlich. Ich schloss das Fenster wieder und ging an die Spüle. Der dumpfe Glanz des kalküberzogenen Edelstahls warf das Echo meines Spiegelbilds verzerrt zurück. Verzerrung war Ordnung. Und nur durch Verzerrung konnte man ahnen, wie die Wirklichkeit aussah, konnte sie berechnen. Nur im Rechnen selbst lag die Lösung. Und ihre Frage.

Ich nahm eine Tasse aus dem Becken, betrachtete ihre Form, sie war perfekt und jeder Kaffee, der denken konnte, würde wissen, dass sie für ihn gemacht war. Sie würde davon reden, dass es einen Kreator geben musste, wenn es eine Kreatur gab. Doch nicht jede Pfütze wird gemacht. Sie ist das Ergebnis von Ursache und Chaos.

Survivorship Bias. Das war das Wort des Professors. Ein Survivor. Ein Überlebender. Ähnlich einem Menschen, der davon ausging, dass er sein eigenes Herz anhalten konnte, nahm er die Kontrolle viel zu ernst. Ich konnte ihn vielleicht nicht direkt überzeugen, aber das lag nicht an mir. Der Text, der ihm vorlag, stammte aus meiner Feder, aber nicht von mir selbst. Ich konnte die Zeichen nicht entschlüsseln, wollte es auch nicht, hatte sogar eine wirkliche Antiphatie gegenüber dem Text, eine Ansammlung von wirren Zeichensystemen, die älter schienen als die Zeit selbst. Oder sie war so neu, dass noch keine Spezies sie entwickelt hatte. Oder diese Spezies hatte Angst vor diesen Zeichen.

Die Augen des Professors starrten in die Tiefe zwischen den Zeichen, in die Unendlichkeit des Daseins. Selbst das Nichts fürchtete sich vor Worten, Zeichen, Begrifflichkeiten. Und deshalb war das Blatt auch beschrieben durch die Gegenwart der Wirklichkeit. Die Macht, die sich meiner Hand bemächtigt hatte, hatte mich beschützt, hatte mir erlaubt, meinen Geist zu retten, dort, in den Lücken zwischen den Häusern außerhalb meiner Erfahrung. Das Blatt selbst war ohne Lücke beschrieben worden, ohne Leere. Nein, das stimmt nicht. Es hatte eine Leere gegeben und sie war der Abgrund gewesen, in den sich der Geist des Professors hatte retten wollen, doch die Leere war eine Falle gewesen, ein unendlich tiefes hypnotisches Wort, eine Falle, ja. Und diese Falle war geschlossen worden, als ich … ja als ich was? Ich dachte, ich konnte mich erinnern. Aber vielleicht doch nicht. Ist die Falle geschlossen? Kann aus der Falle nichts entkommen? Oder … oder konnte doch etwas entkommen, etwas, das in der Tiefe gewartet hatte, das Wesen, die Macht, die Entität, die sich in meinen Geist gepflanzt hatte?

Irgendetwas knirschte. Vielleicht war es mein Leben, das durch meine Knochen in die Freiheit entwich. Aber ich war es dann doch nicht. Ich drehte mich nicht um. Ich starrte auf das Geschirrbecken, auf das kalk-beleckte Metall. Ich wollte nicht erkennen, wer oder was der zweite Schatten war, der neben mir auftauchte, dann wieder verschwand. Und dann gab es gar keinen Schatten mehr. Nicht einmal den meinen. Und die Tasse, die ich in Händen gehalten hatte, fiel zurück in das Becken, den Boden voran. Und die Tasse zerbrach nicht. Und das Fenster öffnete sich. Und es schloss sich. Und irgendwo bewegte sich etwas totes. Und die Wolken zogen sich zurück. Und die Häuser schrumpften Stockwerk um Stockwerk. Und dann war da gar keine Wand mehr um mich herum. Und die Bäume schrumpften, wurden ausgegraben. Und die Straßen wurden in rohe Wege zurückverwandelt. Und Lichter verschwanden. Bäume schrumpften. Flammen zogen sich aus dem Horizont zurück. Und dann war nur noch Finsternis und brennende Sterne und ich wurde mitgerissen, wurde eins mit einem Punkt. Und dann war selbst der Punkt nicht mehr, nur ein anderes Universum voller Worte, die keinen Sinn machten. Und unendlichmal zogen die Sterne sich zurück. Und ich war Teil und ich verstand, dass der Professor recht gehabt hatte. Metaphysisches geblahkekse.

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