Kontoauszug

Kontoauszug

Von allen Dingen, die hätten schiefgehen können – ging der Bruch durchaus glatt. Also durch das Bein. Nicht der Einbruch. Der Einbruch war gut geplant. Der Beinbruch nicht.

Aber zurück zu Anfang.

Am Anfang erschien eine Kontonummer auf einem Zettel, der sich mir offenbarte, als wäre er das Angesicht eines fernen Gottes. Leider wusste ich das damals noch nicht. Ich sah die Nummer, dann die Zahl dahinter, die durchaus zeigte, dass jemand Geld auf das Konto gezahlt hatte – nur, ich war es nicht gewesen.

Der Mann am Tisch vor mir lächelte nicht, dann kicherte er leise. Ich dachte, er wäre verrückt. Oder ich. Jedenfalls wirkte die ganze Umgebung falsch. Die Wände waren blau gefliest. Sogar die Risse zwischen den tönernen Scheiben wirkten sauber. Das Fenster, durch das man mich sicher betrachtete, war sauber. Der Mann, der mir gegenübersaß, zwirbelte seinen Schnurrbart, zerrte ein paar einzelne Haare heraus, betrachtete sie geistesabwesend, bevor er zu mir zurückkam.

»Und Sie sagen, dass Sie weder von dem Konto wissen noch von dem Betrag, der Ihnen überwiesen wurde.«

Meine Stimme wirkte heiser. Meine Augen brannten. Das Licht hier war so hell wie ein Heiliger, der gerade versuchte, sich selbst von der Erde zu entfernen. Der Tisch, der vor mir stand, war aus Pressspan gefertigt und hielt nur wegen des Leims, der langsam aus den Rillen tropfte, Honig auf rauher Haut.

»Ja, genau.«

Der Mann lachte.

»Und wer würde auf die Idee kommen, soviel Geld auf ein solches Konto zu schieben?«

Meine Reaktion war freundlich, aber bestimmt.

»Was weiß ich. Ein Fan vielleicht.«

»Ein Fan. Natürlich. Für welcherlei Taten hat man denn Fans?«

Die Tür öffnete sich. Bebrilltes Licht schob sich ins Innere der Kammer. Ein fahler Glimmer ging von den kaum bemalten Lippen der jungen Frau aus. Ihre Haare hingen hinter ihrem Gesicht, genau auf der anderen Seite, perfekt ausgerichtet. Ihre Hände trugen neben einer besonders neutral wirkenden Lage aus Handcreme einige Papiere. Die Frau hatte nicht geklopft.

»Die Unterlagen sind klar?«

»Die Unterlagen sagen eindeutig aus, dass das Konto vor einer Woche eröffnet wurde, in Santico Beach, Kalifornien.«

»Ich kenne diese Stadt nicht.«

»Wer kennt die schon? Außer man hat dort Bekannte. Oder kennt Reporter.«

»Eben. Eben. Also. Dort, auf der Bank … ich meine In der Bank. Gibt es da Unterschriften?«

Die Frau lächelte und nickte. Ihr Blick schälte die Plastik vom Tisch. Eine Lampe flackerte.

»Und Videoaufzeichnungen?«

Der Mann mit dem Schnauzbart lehnte sich zurück. Sein Hemd trug den Abdruck einer alten Krawatte. Sein Ringfinger trug die Erinnerung an eine Beziehung.

»So, was sagt der Anwalt?«

»Der wurde verhaftet. Weil er ein Lügner war.«

»Sicher. Ein Frosch ohne Locken.«

»Genau. Absolut richtig.«

Eine Faust schlug auf den Tisch. Staub floss durch die Luft.

»Jetzt mal Butter bei die Fische. Wem gehört das Geld?«

»Das gehört jetzt wohl neuerdings mir?«

»Natürlich. Dennoch finde ich keinen genauen Grund, wieso das Geld geliefert wurde.«

»Ist jemand gestorben?«

»Wieso, suchen Sie jemanden, den Sie umbringen können?«

Die Frau nickte und schob ihr Kostüm zurück hinter die Tür.

»Das ist schon die Höhe. Ich werde hier vorgeführt wie ein Ladendieb, nur weil jemand Geld gibt.«

»Soviel Geld für nichts?«

»Genau. Nichts.«

»Ich … glaube,ich verstehe Sie.«

»Ja?«

»Natürlich. Wie kommt jemand wie ich zu so viel Geld?«

»So sieht es aus. Also?«

»Naja, die Sache ist einfach. Simpel. Gerade zu brilliant.«

»Raus mit der Sprache.«

»Finden Sie einfach eins. Sicherlich hat jeder irgendwo ein verstecktes Konto rumliegen mit nem Haufen Kohle darauf, überwiesen von irgendeinem Wohltäter.«

»Ich glaub, mein Schwein pfeift!«

Der Mann lachte.

Ich lachte zurück.

Dann lachten wir beide.

Ich blickte an die Decke. Dort hing, als wäre es anders, ein Spiegel, der die versteckten Zeichen der Gefangenen – oder Verdächtigen, je nachdem, welchen Ausdruck man dafür nutzen will. Der Spiegel zeigte viele Personen an, die sich in den Ecken, den Winkeln, den unheimlichen Schatten des Raums versteckten. Sie waren unsichtbar. Natürlich waren sie das.

Der Mann bohrte in der Nase, was unhöflich war. Der Bankausdruck lag auf dem Tisch.

»Also?«

»Was?«

»Wann wachen Sie auf?«

»Ich verstehe nicht.«

»Glauben Sie, das alles ist real?«

»Natürlich. Nicht wahr?«

Die Unsichtbaren nickten und kicherten. Die blasse Frau drückte ihre kalten Lippen gegen das Glas. Der Tisch tanzte vor meinen Augen. Alles war wie immer.

Ich blickte auf. Mein Spiegelbild winkte mir zu und zwirbelte den Schnurrbart der Frau mit der blankgeputzten Brille. Ich war allein. Ich war nicht allein. Eine Ameise kroch an meinem Bein hoch. Sie schrieb Worte auf meine Hose.

»Wach auf.«

Ich verscheuchte sie. Sie kam zurück. Ihre Fühler bohrten sich durch den Stoff in mein Bein. Das winzige Loch in meiner Haut blutete nicht, wuchs aber von Herzschlag zu Herzschlag. Ein Auge schob sich aus dem Mund in meinem Nacken. Hände drückten meine Schulterblätter zur Seite. Wir lachten. Der Kontoauszug war nun so groß wie der Tisch. Die Ziffern sprangen umher, tanzten wie Wellensittiche in Ekstase. Oder in Ectasy.

Die Welt riss auf. Vor mir öffnete sich ein Geldautomat. Er drückte mir Scheine in die Hand. Ich nahm sie nicht, weil ich die Gesichter, die auf sie gedruckt waren, nicht mochte. Sie bissen sich gegenseitig, rissen sich Ohren und Augen aus. Wir lachten mit unseren tonlosen Stimmen, bis wie heiser wurden.

Mein Bein juckte noch immer. Ich scheuchte die Ameise davon, blieb aber in einem der Nasenlöcher hängen. Irgendwo in der Ferne rollten blaue und rote Blitze durch die Fliesen um mich herum. Ich fühlte mich erhaben, erhoben, davongetragen. Das Geld winkte mir nach. Die Welt kroch durch mich hindurch, bis sie zu einem weißen Wagen wurde, der in mich hineingefahren wurde. Einige bemännerte Kittel ließen zu, dass ich eine Spritze beoberschenkelte.

»Beinbruch. Glatt durch. Hat wohl versehentlich nen Kontoautomaten gesprengt.«

»Versehentlich?«

Versehentlich. Wir lachten. Selbst der Wagen und die Männer lachten. Versehentlich. Das war nicht einmal mein Konto. Das war nicht einmal mein Kontoauszug. Verstehen Sie? Das war nicht einmal meine Kontonummer. Nicht … einmal das.

Irgendwo lacht ein Schnurrbart. Eine Ameisenfrau trinkt grüne Tinte. Geldscheine rufen meinen Namen. Sie kennen ihn. Ich komme sicher zurück. Versehentlich.

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