Hinter der Pforte

Hinter der Pforte

In den Tiefen bewegte sich etwas, kratzte etwas an der Pforte, deren Schloss bereits vor Jahrhunderten von den herunterfallenden Steinen beschädigt worden waren. Ja, beschädigt, nicht vernichtet, nicht zerstört. Es noch immer stark genug gewesen, um aus den Bewegungen hinter der Tür nicht mehr zu machen als nur Bewegungen. Träume glitten, Zeitaltern gleich, durch die winzigen Lücken zwischen Pforte und Rahmen, zwischen den ellenlangen Nägeln, die in das harte Gestein getrieben worden waren. Träume waren es nur, ja, aber niemand wusste mehr, wer sie träumte, oder warum.

Das Kratzen wurde lauter, berechnender, als ob das, was kratzte, wusste, wo und warum. Es war nachvollziehbar, dass die Kreatur, wie ich sie nenne, denn kreiert war sie, nicht geboren, nur erschaffen für einen Zweck … jedenfalls war nachvollziehbar, dass sie einen Plan hatte, ein Ziel. Vielleicht versuchte sie, in den Lücken, zwischen den Kanten und der Wand, einen Punkt zu finden, der ihr die Freiheit geben würde, ihr oder ihrem Schöpfer. Sonst war nichts zu hören. Kein Echo, keine Stimme, kein Befehl, kein Atem, nicht einmal das Knirschen unter den Füßen des Wesens.

Das Wesen hatte keinen Namen bekommen, aber das lag nur daran, dass es einen heimlichen Namen besaß, der es zu dieser belanglosen, sinnlosen, endlosen Arbeit zwang. Es gab einen Befehl und dieser Befehl war die Flucht. Daher bewegte sich die Kreatur auch nicht, drehte sich nicht, streckte keinen Rücken durch, so sie einen Rücken hatte. Nicht einmal sie selbst wusste, was die Teile ihres Körpers waren, die in fortlaufender Bewegung verharrten, einem endlosen Tanz folgend, hinter dem keine Melodie lag, sondern nur ein Befehl.

Ein winziges Körnchen löste sich oberhalb der Pforte, fiel herab, landete auf einem Haufen Steine, die sich nicht rührten. Sie waren festgebacken in Blut und Fleisch, untot wie die Umgebung selbst, doch unbeweglich, endlos traumlos, durchbrochen von einzelnen Fetzen unbekannter Bilder, Töne, Düfte. Hier unten war nichts, das riechen konnte. Vor Jahren hatten vielleicht Ratten oder Mäuse hier gelebt, aber sie waren geflohen, hatten diesen unheiligen Platz verlassen, der jetzt noch unheiliger wurde.

Doch selbst dieser Ton des fallenden Körnchens unterbrach nicht das Kratzen der Kreatur, die arbeitet, wirkte. Sie war eine Maschine geworden, erschaffen aus dem, was übriggeblieben war oder gerufen worden war, vielleicht ein Geist in einem Monster, künstlich zusammengehalten von der Notwendigkeit ihrer Aufgabe.

Wieder viel ein Bröckchen zu Boden, rollte den Haufen der Steine hinunter, verlor sich im Staub eines schwarzen Stiefels, der bereits so wirkte, als wäre er seit Anbeginn der Zeit anwesend, als würde er auf Füße warten. Doch Füße waren in ihm und auch Beine, aber sie waren schon verdorrt gewesen, bevor die Ratten geflohen waren. Leere Spinnweben flatterten im toten Wind eines endlosen Systems von Luft und Leere.

Irgendwo, in einer unendlich weit entfernten Ferne, bewegte sich etwas, ein Schatten, nur ein Schatten. Licht folgte dem Schatten, das Knirschen von Metall auf Stein, das Schaben von Sohlen auf Fels. Grunzlaute wurden zu Echos, verzerrten die Umwelt, ließen sie schrumpfen. Dann Schläge, ein Hammer oder eine Hacke. Steine rollten in die Tiefe, vermischten sich mit dem Staub, der aufgewirbelt wurde, der zum Meer wurde, voller winziger Inseln aus Fleisch und Knochen und verrostetem Blut.

Stimmen folgten, menschliche Stimmen, verwirrt, aber offen, theatralisch bis ins Künstliche reichend. Worte, die unbekannt waren, als habe jemand die Sprache genommen und durch ein Sieb gepresst und mit Füßen getreten, immer und immer wieder, bis das, was am Ende übrig war, so schräg wirkte, dass es nur ein Alptraum sein konnte.

Das Licht wuchs, die Schatten in diesem Licht wurden auch größer, dann wurde es wieder dunkel. Bewegungen wurden zu Stiefeln, zu Beinen, zu Händen, zu Armen. Die Nacht wurde nun von kaltem Licht zerschnitten, von eisig blauen Strahlen, die den Felsen um Glühen brachten.

Es mussten Menschen sein, mindestens drei von ihnen. Sie redeten miteinander, laut genug, um das Kratzen auf der Pforte zu überhören, das lauter wurde, drängender, fast schon freudig. Doch die Lampen der Menschen wanderten durch die Gegend und blieben auf den bleichen Knochen in den staubigen Stiefeln hängen. Einer der Menschen ging in die Knie und berührte den Stiefel, folgte den Beinknochen über die Hüfte, über den toten Leib bis zu den Rippen. Das Licht war immer dort, wo seine Finger waren, als wollten sie etwas suchen. Und sie fanden, Finger und Licht. Sie fanden etwas glitzerndes, unmöglich hell, als habe die Zeit dieses Metall vergessen. Der Mensch erhob sich und betrachtete die unmöglichen Zeichen, die in dieses Metall geschnitten worden waren – oder war es so geboren worden, ähnlich der Kreatur, aus gleichem Material, aus einer anderen Notwendig?

Die Lichter durchstießen die Nacht wieder und blieben auf dem Haufen Gestein hängen, folgten dem dumpfen trockenen Blut und begannen, zu zittern, als sie dem Portal gewahr wurden. Zwei Lampen ließen ihre Licht zu Boden fallen, doch die dritte blieb stark, drehte sich zu den anderen Menschen um. Wild wirbelte Licht durch die Nacht, als müsse es seine eigenen Wirklichkeit bestätigen.

Dann wurden die Lampen wieder erhoben und das Licht erleuchtete das Portal erneut, eine Wand aus dem, was die Natur nicht hatte erschaffen können, ohne auf Hilfe angewiesen worden zu sein. Es war klar, dass dem Felsen diese Unmöglichkeit zuwider war, man konnte die Verachtung des Steins fühlen vor dem allzuglatten Metall, das jegliches Licht in sich aufnahm, als wäre es nicht da.

Einer der Menschen streckte seine Lampe aus, berührte mit ihr das Portal. Es zuckte, als habe jemand einen Nerv getroffen. Elektrische Schwingungen krochen durch das Innere des Portals, ließen die namenlose Kreatur hinter ihr stoppen, das erste Mal seit Jahrhunderten.

Dann kratzte es noch mehr, noch tiefer, als ob diese Schwingungen sie zwangen, einem Plan zu folgen. Doch es würde weiter so lang dauern, bis aus den tiefen Kratzern ein wirklicher Riss entstehen würde, trotz der erneuten und deutlich höheren Anstrengung.

Doch das war nicht nötig. Das Licht auf der anderen Seite des Portals wirbelte herum und zuckte. Rotes Blut rollte über das Glas und hüllte die Höhle ein. Eine Klinge, ähnlich dem Portal, unendlich schwarz und tief, wurde aus dem Körper gezogen, der nun keine Lampe mehr brauchte. Der Schlüssel wurde aus einer toten Hand gerissen und mit kalkulierter Präzision in das Portal gesteckt, dort, wo Worte standen, die niemand hätte lesen dürfen, Worte, die benutzt wurden, um das Unmögliche einzusperren.

Kommentare sind geschlossen.