Hayes – Giftiger Wein – Kapitel 7

Hayes – Giftiger Wein – Kapitel 7

Das Feuer antwortete. Es hatte keinen Anfang und kein Ende, keine Stimme, keine Worte, aber es sprach. Das Glimmen der Fetzen, die den Feuerkessel verließen, hingen in der Luft, wanderten um das Skelett der Kreatur umher, als wollten sie es packen, wollten sie es mit ihrem eigenen Willen belegen. Für lange Zeit – zumindest fühlte Hayes das – blieb es bei diesem chaotischen Tanz, bis die Flocken davonstoben, ähnlich dämonenhaften Schmetterlingen oder vom Herbstwind fortgetriebenem Laub. Hayes schüttelte den Kopf, versuchte wieder klar zu denken. Alles wirkte überreal und gleichzeitig falsch.

»Wir haben deine Stimme gehört«, rief der Erzpriester. »Und wir folgen ihr!«

Hände packten Johann, zerrten ihn in die Finsternis davon. Ein weiteres Paar griff nach Hayes Schultern, doch sie schüttelte sie ab wie eine falsche Erinnerung. Es half nichts. Weitere Hände folgten, starke Hände, die ihre Kraft nicht aus dem Fleisch der Männer bezog, die sie mit ihren leuchtenden Augen anstarrten, nein, es war mehr als nur das. Ein Teil ihres Verstands teilte ihr mit, dass man mit Besessenen nicht regen konnte, aber der Rest versuchte, eine Erklärung für all dies zu haben und sich den Weg aus der Situation zu bahnen. Sie hätte es geschafft, wenn sie nicht auf Bruder Johann hätte achten müssen, dessen strampelnde Beine gerade hinter der Tür verschwanden.

Eine kalte Klinge wurde schweigend gegen Hayes Hals gepresst. Sie folgte der Bewegung und stand auf. Jemand band ihre Hände zusammen und schob sie sanft, jedoch unaufhaltsam zur Tür, die Treppe hinunter. Hier unten lag Bruder Johann. Er blickte niemanden an, nichts an. Seine Augen versteckten sich hinter seinen Augenlidern, er keuchte leise.

Etwas knackte. Die Wand bebte, glitt zurück und öffnete sich wie eine Tür. Natürlich. Was sonst hatte eine alte Burg zu bieten – neben einem Kult? Ein Gewitter? Hayes hob den Blick die Treppe hinauf, blickte durch einen Riss in der Mauer. Da war nichts, nur der Hauch von Dämmerung, die sie bereits auf dem Weg zurück ins Innere der Burg begleitet hatte. Irgendwo in der Ferne krähte ein Hahn. Die Theatralik dieses Augenblicks wirkte fast lächerlich.

Sie wurde in den Gang geschoben, Johanns Füße schleiften auf dem Boden. Knirschend schloss sich die Wand hinter ihr. Ein Dutzend Kerzen hingen an der Wand, mehr oder weniger jedenfalls. Mit jedem Schritt wuchs das Feuer vor ihren Augen, gewann die filigrane Figur, die von den Flammen geröstet wurde, an Festigkeit, an Wirklichkeit.

Ein Schatten trat vor sie, bewegte seine Hände, seine langen Finger. »Kommen Sie doch«, meinte er. »Sie wollen sie sicher aus der Nähe betrachten. Sie will Sie auch besser sehen können.«

Die Männer, die die Gestalt, das Feuer umgaben, bewegten sich, um Platz zu schaffen. Hier, aus der Nähe, wirkte die Kreatur realer. Die Flammen, die durch die metallen glänzenden Knochen nach oben schossen, erzeugten den Abdruck roten Fleisches. Dennoch glühte das Wesen nicht, blieb starr in seinem eisgrauen Käfig gefangen, als würde es unberührt, vielleicht in einer anderen Welt existieren, doch je mehr Hayes versuchte, sich auf die Gestalt zu konzentrieren, desto mehr verschwamm sie.

»Versuchen Sie nicht, die Dame zu ergründen«, meinte der Erzpriester. »Je tiefer Sie fallen, desto unwirklicher wird sie. Wie jede Frau …« Die letzten Worte trugen den Klang tiefen Schmerzes – und übertriebenen Begehrens – in sich. »Nun«, rappelte er sich wieder auf, versuchte, den Eindruck, den Hayes von ihm haben könnte, wieder auszulöschen.

Vielleicht hatte er mehr verloren als er sich eingestand. Vielleicht war er noch zu retten, wenn sie … doch sie war keine Diplomatin, die es verstand, die Lücken zwischen Wahrheiten zu schließen.

Auf eine weitere seiner Bewegungen hin zerrten die Männer den Gürtel von Hayes Körper, durchsuchten sie mit jener Kaltblütigkeit, die nicht aus ihnen stammen könnte. Keine der Berührungen trug irgendein Begehren an sich, als wären die Männer Ameisen, völlig gesteuert von einer anderen Macht.

»Wer ist sie?«, fragte Hayes, als die Männer sämtliche Waffen, die sie an ihr gefunden hatten, auf eine Decke ausgebreitet, eingewickelt und in ein anderes Zimmer auf der gegenüberliegenden Seite des Feuers gebracht hatten. Sie blickte sich um. Ein paar Männer standen noch da, hilflos in ihrer Anbetung, doch nicht ungefährlich.

»Sie ist die Herrin über das Feuer. Sie kommt aus dem Inneren der Welt, existiert für unendliche Zeiten, weit vor der Formung, lang, bevor vor dem Angesicht des Aracus sich über die Wiesen und Berge erstreckte. Sie war da, bevor die alten Götter ihre Kriege fochten, bevor sie Kinder waren, bevor sie nur Gedanken in den Herzen der Unendlichkeit waren. Die kommt aus einem Universum, das so viel älter ist als das unsere, das nicht gefangen ist in dem, was wir als Wahrheit empfinden, Höhe, Tiefe, Länge und Zeit. Das, was Sie sehen, Hayes, ist nur ein Abdruck ihrer Omnipotenz, die Erinnerung an ihren Besuch – und damit soviel mehr als jede Existenz auf Kinsul oder auf allen Welten, die die Nacht durchstreifen, mehr als jeder Stern und jede Sonne, mehr als jede Seele, die jemals geboren wird.« Er lächelte.

»Spricht Sie zu Ihnen?«, fragte Hayes.

»Natürlich. Sie spricht zu uns allen.«

Hayes hob ihren Blick.

»Und was sagt sie?«

»Sie hören die Herrin auch.«

»Nein«, antwortete Hayes. »Ich höre nur das Wimmern einer verlorenen Seele und das sind Sie. Ich bin hier, um Sie zu retten.«

»Mich retten? Mich retten!« Der Erzpriester hob sein dürres Haupt. Sein Adamsapfel bohrte sich aus seinem Hals in die Freiheit. Sein Rückgrat zuckte spürbar. »Mich aus dem Fängen der Wahrheit retten? Wie können Sie es sich nur erlauben. Nein«, meinte er, wurde ruhiger. »Ich weiß, Sie sind nicht aus freien Stücken hier. Man hat sie hergesandt.«

»Sie sind verschwunden.«

»Ja, dem stimme ich zu. Gewisse Aufgaben halten mich hier.«

»Sie reden wie ein Mensch, der zu lange dem Feuer gedient hat. Es hat sie in seiner Gewalt.«

»Lieber verbrenne ich durch die Wahrheit als in Lügen zu verfaulen.«

»Das ist alles schön und gut …«

»Nichts ist schön außer die Herrin. Aber ich will Sie nicht mit meinen Worten ermüden. Es ist Tag. Sie werden schlafen. Ihr Freund hier wird auch schlafen. Und wenn die neue Nacht beginnt, werden wir alle der Herrin dienen. Auch Sie.«

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