Hayes – Giftiger Wein – Kapitel 3

Hayes – Giftiger Wein – Kapitel 3

Der Fluss rauschte unter der Brücke, die bei jedem Schritt Hildegards bebte. Die metallenen Haken, zwischen denen die starken Holzbretter hingen, knirschten. Der alte Mann hatte einen Heben bedient, der das Tor geöffnet und gleichzeitig die Bretter aus einem unterirdischen Lager an Ketten über die eisernen Seile gezogen hatte. Hayes musste sich eingestehen, dass dies eine hervorragende Technik war, dennoch war ihr mulmig zumute, das Krachen des Wassers über die Klippen unter ihr zu hören.

»Das gehört dazu«, meinte Bruder Johann, der neben ihr schritt, als gehörte Brücke und Weg ihm allein.

»Zu was?«

»Zum Schutz der Äpfel und Bienen. Was meinen Sie wohl? Die Bauern in den Dörfern schauen hoch, sehen den Berg, sehen die Burg und erinnern sich an Märchen, die sie von ihren Großeltern gehört haben. Sie haben dann Alpträume, sehen Dinge, die nicht existieren. Deshalb haben wir vor einem Jahr eine Mauer gebaut und der Wein und die Mönche müssen über diese Brücke. Ich war sowieso kein Freund des Dorfs. Die Leute bekreuzigen sich, als ob Aracus damit etwas zu tun hätte. Ich kann diese Art Aberglaube nicht nachvollziehen, aber man macht es seit mindestens tausend Jahren. Wie auch immer … Worte sind schwächer als Unglaube.«

Er blicke hinunter zum Fluss, seufzte. »Und nun muss ich eine Hayes zur Burg bringen …«

»Was stimmt mit Euch nicht?«, fragte sie.

»Mit mir? Oh, mit mir stimmt alles. Ich esse, trinke, ich bete und ich arbeite. Aber Ihr, Frau Hayes, zaubert. Nutzt Magie, die finsterste aller Mächte. Braucht man ein Monster, um ein Monster zu besiegen? Ich glaube, nicht. Aber ich fürchte, ich habe diesmal Unrecht.«

»Und wieso das?«

»Weil ich weiß, dass die Burg oder das, was darin lauert, böse ist und dass die Sonne, die Kraft unseres Herren Aracus, nicht in alle Winkel leuchten kann, besonders nicht hinter die Türen, die vor vielen Jahrhunderten aus Holz und Eisen geschaffen wurden. Ich würde mir wünschen, dass Eisen die Kraft hätte, die Macht des Bösen zu vernichten, so wie Eisen die Macht hat, Menschen zu verletzten oder zu töten oder zu befreien.« Er spuckte aus und blickte auf. Seine Augen strahlten in finsterem Blau auf Hayes, betrachtete ihr Gesicht. »Ihr kommt nicht von hier, aus Uruk. Ich fühle, dass Ihr aus dem Süden stammt, aber lange im Norden wart. Wo gibt es mehr Monster? In den sandigen Ebenen Xiotors? Zwischen den grauen Knochen der großen Drachen in den Bergen der Toten?«

»Dort, wo es Menschen gibt, gibt es Monster. Ich bin kein Jäger, kein Söldner, ich überlebe, weil ich eine Aufgabe habe. Und solange ich lebe, werde ich meinen Dienst tun.«

Er lächelte. »So seid auch Ihr eine Schwester im Geiste Aracus.«

»Welcher Gott auch immer angebetet wird …«

»Eine Heidin also …« Er lächelte, nickte wissend.

»Ich werde nach meinem Tod feststellen, wer der Herr der Götter ist – oder die Herrin.«

»Eine Frau, nun … eine Mutter der Welt also. Ja, daran glaubten wir vor vielen tausend Jahren auch. Aber dort, wo die Frau sich verbirgt, wo sie gebiert, so ist der Herr des Feuers stets sichtbar.

»Außer nachts.«

»Und im Schatten. Sehen Sie, die Burg. Ist sie nicht verboten schön?«

Sie blickte auf. Die Gestalt der Festung setzte sich stark von ihrer Umgebung ab, ein eckiges, menschengeschaffenes Ungetüm, das von seinen Erbauern und Besitzern immer weiter vom Stein befreit wurde. Ja, man konnte erkennen, dass es aus dem Berg gehauen worden war. Man hatte keine Steine herangebracht, sondern hatte lediglich das entfernt, was sowieso zuviel gewesen war, aber das war vermutlich schwieriger gewesen, als einfach eine Burg zu bauen. Der Weinberg unterhalb der Mauern flimmerte in dunklem Violett, durchbrochen vom schwarzen Abdruck des Mutterbodens.

»Sie ernten schon.«

»Ja, ein Teil der Reben wird für rituellen Wein genutzt, der dann gebrannt wird, der dann verbrannt wird als Opfer für Aracus. Und aus dem Verbrannten wird Neues, so wie es Aracus gesagt hat. Die alten Fässer verwenden wir dann später für Lebenswasser.«

»Das Lebenswasser von Noram, aus dem Norden. Aber hier ist Uruk.«

»Noram ist berühmt, aber auch wir arbeiten daran, Lebenswasser zu erschaffen. Ich werde Ihnen etwas davon vorsetzen. Glauben Sie mir, wenn Sie etwas davon getrunken haben, werden Sie sich überlegen, ob Sie noch Magie brauchen.« Bruder Johann starrte in die Ferne, vermutlich träumte er von einem Schluck.

Hayes mochte es nicht, betrunken zu sein. Trunkenheit entriss einem die Kontrolle. Kontrolle war und blieb wichtiger als alles andere. Wer das Feuer kontrolliert, begrenzt es, lässt sich nicht damit verbrennen, aber sie kannte Gegenden Kinsuls, in denen die Krieger sich bis zur Besinnungslosigkeit betranken, aber diese Getränke berauschten nicht nur, sondern verwandelten sie auch in Tiere, in Halbmenschen, die selbst im Schnee, halb nackt und nur mit einem Knüppel bewaffnet, eine Einheit gut ausgebildeter Soldaten überwältigen konnten. Und diese Art Kraft brauchte sie nicht.

Zwischen den Rebstöcken eilten Männer in hellen Kutten umher, füllten die Körbe mit den Weinbeeren, schnitten nur jene, die bereits im Schatten lagen, ab und eilten einen der Wege hinauf, die im Nichts endeten.

»Dort ist der Eingang für die Weinpressen«, meinte Bruder Johann, »wir werden gleich beim richtigen Eingang sein. Dort sitzt mein Bruder. Also mein richtiger Bruder. Er ist etwas störrischer als ich, nicht so freundlich. Ich wollte reden. Er redet nicht mit Frauen.«

»Warum?«

»Warum was? Nicht mit Frauen reden? Wieso sonst ist er Mönch geworden? Sicher nicht, weil er ein Untertan eines Wesens ist, das heute nicht weiß, was es morgen will.«

»Wirklich?«

Bruder Johann zuckte mit den Schultern. »Ich mag Frauen. Vermutlich bin ich deshalb Mönch geworden – sonst hätte ich heute 500 Kinder mit 300 Frauen.« Er lachte bitter.

Als sie am anderen Ende der Brücke angekommen warn, schlug Bruder Johann dreimal gegen eine Glocke, die an einem Seil hing. Augenblicke später ratterte ein verborgener Mechanismus und riss die Bretter zurück in ihr unterirdisches Lager in der Klippe.

»Mag uns Aracus gnädig sein«, meinte Johann.

»Und wenn nicht?«, fragte Hayes.

»Dann sollen Sie eine verflucht gute Magierin sein.«
Sie schwiegen für den Rest des Weges. Vermutlich war das auch besser so.

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