Hayes – Giftiger Wein – Kapitel 12

Hayes – Giftiger Wein – Kapitel 12

Hayes griff in die Luft, griff einfach zu. Die Maske berührte ihre Hand, blieb an den klebrigen Fingern hängen, die noch immer die Reste von altem Moos trugen. Wie auch immer dies hierhergekommen war – oder war es Magie oder Illusion? Wer wusste das schon. Die Maske quietschte, riss die Hände vor das fremde Gesicht, versuchte, es festzuhalten. Sie hielt, aus welchen Gründen auch immer, sich am eigenen Gesicht des Mannes fest, dessen Stimme nun höher, harscher wurde. Die Schatten bewegten sich nicht. »Lass mich los, du …«, zischte die Maske, doch Hayes blieb bei ihrem Ziel. Schatten wurden beiseite gestoßen. Arme legten sich um den Hals des Mannes, würgten ihn. Der Mann ließ seine Hände fallen. Die Maske riss ab. Heulen hallte durch die Höhle. Hayes warf die Maske davon, in Richtung des Feuers. Die Schatten bewegten sich nicht, dann doch, doch überaus zaghaft, als folgten ihre Sinne der Existenz des toten Gesichts.

»Steven«, zischte Johann. Hinter den Fetzen des fremden Gesichts hingen, wie in einem halb zerrissenen Bild, das Abbild seines Bruders, verwirrt, zornig, je nachdem, aus welchem Winkel das Licht über das Fleisch glitt.

»Ihr«, knirschte Bruder Steven, »Narren. Ihr Idioten. Die Herrin wird …« Er tobte. Speichel spritzte aus seinen zerfetzten Mundwinkeln, Speichel durchbrochen von Blut.

Die Schatten bewegten sich nun, folgten den Anweisungen eines geistlosen Puppenspielers. Aufgeschreckt durch das Schlurfen ihrer Füße wirbelte sein Kopf herum, seine Hände betasteten sein Gesicht. »Die Maske, ich brauche die Maske!« Er blickte in der Gegend umher, seine Augen quollen aus den Höhlen. Er streckte seine Hände nach dem Unerreichbaren aus. Die Schatten wurden stärker, bewegten sich mehr, streckten ihre Arme aus, streckten ihre Gesichter in die Höhle. Dumpfes Grollen kroch aus unsichtbaren Mündern in die Freiheit.

»Nur mit der Maske kann ich sie beherrschen. Ich muss … sie retten. Ich muss …«

Retten? Hayes blickte Johanns Gesicht an, dessen Augen ihre Verwirrung spiegelten.

»Das Feuer, es … nimmt die Seelen. Die Maske, sie hat die Macht. Der Erzpriester, er kannte das Feuer, er … er war schon hier.« Bruder Stevens Stimme wurde heiser. »Bei Aracus. Die Herrin, sie wird … uns vernichten! Versteht ihr nicht? Die Heiligkeit des Erzpriesters hält alles zusammen. Und doch, und doch kämpft sie gegen die die Herrin und wird …«

Die Schatten griffen nach der Maske. Hielten sie vor da Feuer. Tonlose Worte wurden Wirklichkeit, als sich die heiligen Lippen der toten Kreatur bewegten. Augen glitzerten verwirrt, zornig. Dann fiel die Maske, fiel ins Feuer, wurde von ihm verbrannt, wurde vom Chaos gefressen, hörte auf, zu existieren. Die Stimme des Feuers wurde nun lauter, immer lauter, wurde vom Wimmern zum Flehen zum Befehlen, als ob ein Teil der Heiligkeit eine Wunde in das grauenhafte Wesen gerissen habe.

»Sie … sie wollen uns opfern!« Bruder Steven starrte in die Flammen, drehte seinen Kopf zur Seite.

Johann ließ ihn los, packte ihn bei den Schultern. »Du Narr, du vollkommen irrer Idiot. Was hast du dir nur dabei gedacht!«

»Ich … wollte sie retten. Der Wein, der Wein war für sie gedacht, um sie davon abzuhalten, die Burg zu verlassen, die Welt mit ihrem grauenhaften Fluch zu überziehen. Verstehst du nicht? Sie sind Opfer, doch sie waren Täter und sie wären wieder Täter geworden. Und nun … wird die Unheiligkeit diesen Ort überfluten, wird wachsen, wird wieder wachsen.«

»Der Zauber«, murmelte Hayes, »er kommt von Ihnen.«

Bruder Steven nickte. »Ein Teil von mir wollte, dass Ihr entkommt und die Menschen warnt, mit einer Armee kommt – dieser Teil war schwach. Die Herrin des Feuers lebt in mir, lebt in allen Männern, die diesen Ort zu lang besuchen. Viele Jahre wurde sie vergessen, doch dann … kamen wir. Schaut!«

Er stieß Johann beiseite. Auch Hayes rollte zurück, ein Reflex, mehr nicht. Die Hände der Schatten schwankten durch die Höhle, stumme Opfer des Grauens. Geistlose Augen blickten blind in die Nacht.

»Der Zauber«, rief Bruder Steven, »nutz den Zauber!«

Hayes versuchte, sich an die Bewegungen zu erinnern, versuchte, die Essenz der Notwendigkeit jedes einzelnen Schrittes zurück in ihren Verstand zu holen. Irgendwo in der Ferne flimmerte die Erinnerung auf, ein Bild in einem Sturm aus Emotionen. »Beherrsch dich«, zischte sie, konzentrierte sich weiter.

»Nicht konzentrieren. Tun!«, rief Johann, der gerade dabei war, seinen Bruder an seinen Schultern zurückzuziehen, was ein Kampf war, wie Hayes sehen musste. Das Feuer hatte die Herrschaft über den Körper des Mannes übernommen, arbeitete gegen seinen Willen und gegen die Kraft, die Johann aufwenden musste.

Doch es war zu spät, um ihn zu retten. Steven riss sich los, streckte seine Arme aus und stampfte davon. Er drehte seinen Kopf zu Hayes, nickte. »Sagt … es tut mir leid …« Dann wurde er einer der Schatten, die sich dem Licht zuwandten, das nun in voller Pracht aufblühte, als habe es eine Ewigkeit darauf gewartet. Flammen glitten aus dem Feuer, rotglühende Zungen leckten die Finsternis. Die Schatten folgten den Befehlen aus der fremden Welt. Einer nach dem anderen überquerte die unsichtbare Linie, die ihn schützten, wurde von den unheiligen Fingern gepackt und ins Innere des Feuers gezogen, wo sie unhörbar, doch sichtbar grauenhaft verbrannten, ihre Form verloren, während ihre Essenz das Monster fütterten, das im Inneren lauerte. Grüne Blitze schossen über die Felswände hinweg, ein Gewittersturm aus leuchtendem Nebel bildete sich, nahm Formen an, die fast an die Seelen der Toten erinnerten, die sich in der Gefangenschaft des Wesens befanden. Schatten um Schatten wanderte in den Tod, verschmolz mit dem brennenden Tod. Am Ende, nach einer Ewigkeit der Qualen, stand nur noch ein Schatten vor dem Feuer, Steven. Er streckte seine Hand nach seinem Bruder aus, doch Johann bewegte sich nicht, konnte es nicht.

Auch Hayes konnte sich nicht rühren. Das Grauen hielt sie gepackt, ihr Kopf war leer. »Der Zauber«, flüsterte ihre Stimme ohne Zutun, doch sie hörte sie fast nicht. Stattdessen lockte das Feuer, lockte die Möglichkeit, alle möglichen Leben zu betrachten, die sie vor sich hatte. Doch sie konnte kämpfen. Ja, sie war nicht so schwach wie die Schatten, die Männer, die sich dem Feuer hingegeben hatten. Etwas in ihr kämpfte – und siegte.

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