Hayes – Giftiger Wein – Kapitel 11
Wasser glitzerte auf den grob behauenen Stufen, glitzerte an den Wänden, die älter schienen als die Burg selbst. Wo das Gebäude war, wussten sie nicht. Sie waren eine gefühlte Ewigkeit durch die Finsternis geschritten, dann, als ob der graue Fleck sich in die Wirklichkeit materialisiert hatte, waren sie auf Pilze gestoßen, weiße Pilze, die ein ungesundes Licht abstrahlten, weiß und grau und giftig zur selben Zeit. Johann hatte sie berühren wollen, doch Hayes hatte ihn gepackt, zurückgezerrt, hatte sich damit seinen Unmut zugezogen. Doch er war schnell eines besseren belehrt worden, als Hayes den Hut eines kleinen Pilzes mit der Klinge ihres Dolches berührt hatte. Feiner Nebel war aus der Spitze des Gebildes geschossen, war durch die Finsternis geschwebt, fast schon obszön. Eine Ratte, die sich in dessen Nähe befunden hatte, hatte ihre Nase gehoben, geschnüffelt, leicht gequiekt und war in Richtung Pilz gesprungen, nur um dort festzukleben. Das Quieken war zu einem Kreischen geworden, dann zu einem Wimmern. Hayes hatte genauer hingeschaut, hatte die unzähligen Fäden gesehen, an dessen Enden Häkchen hingen, die die Haut des Tieres durchstoßen hatten und die sich nun rot gefärbt hatten, als würden sie sein Blut trinken – was sie auch taten. Hier unten herrschte eine unaufhaltsame Schlacht um das Überleben des … besseren. Während der Pilz fraß, fraß auch die Ratte. Der Kreislauf von Leben und Tod war erbarmungslos, erinnerte Hayes an die Geschichte der beiden Brüder, die sich gegenseitig umbringen mussten, um ewig zu leben. Doch das war eine Legende aus einer fernen Welt, die noch nicht geschrieben war.
Sie hielten sich von den Pilzen fern, die bald die Wände überwucherten, sie geradezu anflehten, ihre Sklaven und Herren zu sein in einer grotesken Herrschaft, wie jene, die so viele Ellen über ihnen lebte. Die Gänge wurden enger, die Stufen glitschiger, bis sie ganz verschwanden, bis sie ganz die Reste der alten Zivilisation hinter sich ließen. Die Pilze verschwanden hier, wurden ersetzt von Flecken aus Moos, die einen perversen Duft ausstießen, eine Mischung aus Lust und Verderben. Hayes und Johann mussten sich Mund und Nase zuhalten, bedeckten sie mit Tüchern. Ihre Augen tränten. Die Welt verschwamm immer mehr. Ihre Lungen pressten sich unter ihre Rippen, als wollten sie fliehen – dann war es mit einem Mal vorbei. Das Moos wurde innerhalb eines Augenblicks von blankem Felsen unter ihren Füßen ersetzt, lief entlang einer scharfen Kante im Kreis. Hayes konnte die Mitte nicht erkennen, konnte nicht sehen, wie tief jener Kreis war. Das Licht verlor sich in der Ferne.
Trockene Wärme ersetzte die düstere Verdorbenheit, half den beiden, wieder zu atmen.
»Was ist das hier?«, fragte Johann.
Hayes zuckte mit den Schultern. »Es ist alt hier. Alt und böse.«
Grünes Licht flammte auf, als sie sich dem Zentrum des Kreises näherte, wurde ersetzt von rotem Glimmen einer Flamme. Je näher sie kamen, desto größer wurde das Licht, wurde zum Feuer, das nach unten raste, als würde es dem Abgrund entgegenspringen.
»Bei Aracus«, murmelte Johann. Er begann zu zittern. Seine Hände wurden zu Fäusten, seine Finger knirschten. »Wie kann das sein?« Er hob seinen Blick, starrte Hayes an, als würde sie eine Antwort wissen. »Das ist … Sünde, das ist unheilig.«
Auch wenn Hayes nicht an diese Worte glaubte, so wusste sie, dass die Ausdrücke des panischen Mannes mehr als nur gerechtfertigt waren. Feuer brannte immer nach oben. Immer. Überall. Nur nicht hier. Außer … »Das Feuer brennt richtig. Wir stehen falsch herum«, murmelte sie. Ein Teil ihres Verstandes versuchte, vernünftig zu sein, argumentierte, dass, wenn Feuer nach unten schießen konnte auch Menschen an der Decke einer Höhle herumgehen konnten. Beides war untragbar, beides war falsch.
Oder, wie Johann immer wieder sagte, sündig, falsch, verboten. Er hatte sich hingesetzt. Sein Kopf schwankte hin und her. Sie musste ihm helfen, doch jetzt konnte sie nicht. Er musste den Terror überleben, erst dann konnte sie wieder mit ihm reden.
Statt dessen ging sie näher an das Feuer heran, betrachtete seine Quelle. Dort, inmitten des Chaos, spiegelte sich etwas wider, ein bizarres, nicht zu erfassendes Dasein, das jeden Augenblick Form und Farbe, Stimme und Bewegung änderte. Es schien einfach nicht zu existieren, als würde es zwischen Traum und Wirklichkeit schweben. Je länger Hayes zuschaute, desto mehr verlor sich ihr Blick in der Tiefe vor ihr. Sie konnte das Gefühl nicht abschütteln, dass wirkliche Worte aus diesem Punkt jenseits aller Wahrnehmung in ihren Kopf drangen, sich dort ausbreiteten.
Etwas berührte sie an der Schulter. Sie nahm es nur unbewusst war, weil der Rest ihres Verstandes mit diesem fremden Wesen kommunizierte, versuchte, ihm Informationen zu entlocken, während sie wusste, dass sie es war, die der Kreatur alles gab, was sie hatte, ihr Leben, ihre Erinnerungen, ihre Zukunft. Ja, sie konnte Bilder erkennen, die noch nicht existierten, die sich falsch und doch real anfühlten. Sie konnte sich selbst sehen, wie sie kämpfte, aß, liebte. Liebte? Vielleicht. Sie konnte das Gesicht des Mannes nicht erkennen, aber sie wusste, dass er der Richtige sein würde, in jener ungeschriebenen, fast schon ausgelöschten Zukunft. Wieder berührte jemand sie, diesmal härter, stärker, viel stärker als sie selbst war. Schmerz strahlte in die Mitte ihres Herzens, als sie in die Finsternis davongezerrt wurde, als aus dem Licht gerissen wurde, dem Licht, das ihr alles zeigen – und alles nehmen wollte.
Der Erzpriester stand über ihr. Sein Gesicht hing verkehrt herum in ihrem Blickfeld, blickte auf sie herunter. In seinen Augen spiegelte sich blanke Arroganz wider, sein Mund bewegte sich nicht, als er mit ihr redete. »Das Feuer ist die Herrin der Welt. Sie ist nicht Teil Eures Lebens, Hayes. Vergiftet es nicht mit eurem Gift!« Wieder packten Hände zu, zerrten sie davon. Schatten stellten sich zwischen sie und den Flammen, die noch immer versuchten, mit ihr zu sprechen, sie zu fragen, was all dies bedeutete. Der Erzpriester starrte sie weiter an, als wäre sie eine Abscheulichkeit, dabei war er es.
»Was ist das für ein Feuer«, fragte Hayes.
»Das ist mehr als nur ein Feuer«, murmelte die Maske, »mehr als alle Feuer dieser Welt. Das Feuer ist Teil der Entstehung, ist Teil des Todes dieser Welt, dieses Universums! Die Herrin des Feuers kennt alle Welten, alle Zeiten, alle Wege. Sie ist alles. Sie ist ewig. Sie wird noch da sein, wenn alles …«