Hayes – Die verlorene Prinzessin – Kapitel 8.2

Hayes – Die verlorene Prinzessin – Kapitel 8.2

Sie kroch durch die Finsternis. Ihre Rüstung schrammte oft genug an Felskanten entlang, um sie nicht einschlafen zu lassen. Winzige Pilze hingen an den Wänden, boten sporadische Lichtblicke, mehr aber auch nicht. Der Boden knirschte trocken unter ihren Stiefeln. Sie kam auf den Gedanken, dass sie besser das Pferd weggeschickt hätte, aber dafür war es nun zu spät. Sie würde keinesfalls umkehren. Ihre Verfolger würden sie vielleicht nicht für Hayes halten, aber für jemanden der zufällig das Seil gefunden hatte – auf der anderen Seite war niemand so dämlich, alles auszuschließen.
Sie stolperte, versuchte, sich an den Wänden festzuhalten, doch die leuchtenden Pilze halfen ihr nicht dabei. Pilzschleim explodierte unter ihren Händen. Sie warf sich zur Seite, presste ihren Rücken gegen eine Wand, rutschte an ihr entlang, knallte mit der Schulter auf den Felsen, der sich – für Augenblicke nur – sonderbar menschengemacht anfühlte. Waren das Treppenstufen? Ja. Hayes musste sie nicht zählen, das taten ihre Knochen und das Fleisch auf ihrer Schulter bereits, an denen sie in die Tiefe schoss. Ihre Füße strampelte, versuchten, sich irgendwo einzuhaken. Da, ein Halt. Ein verdammter Halt. Ein Halt, der unter dem Gewicht ihres Gewichts nachgab. Stein knirschte, löste sich, raste an ihr vorbei, während sie weiter in die Tiefe glitt, doch nicht lang, nur einige Sekunden, die sich wie eine Ewigkeit anfühlten. Ihre Arme fühlten sich an, als wären sie zermalmt und neu zusammengesetzt worden.

Hayes richtete sich auf. Ihr Arm pulsierte, fühlte sich aber doch so an, als wäre er nicht absolut und mehrfach gebrochen worden, zumindest jetzt nicht mehr. Immerhin konnte der Mann, der nun hinter ihr stand, sich beherrschen und trat sie nicht in den Rücken. Vermutlich kannte er das Gefühl, die endlosen Meilen in die Tiefe gesegelt zu sein, bereits und war nicht wirklich ein Arschloch.
Sie wanderten weiter. Der Mann wusste, wo der Weg entlangführte und gab ihr schnelle Anweisungen, damit sie nicht an jeder Ecke und Kante mit ihrem schon notleidenden Körper anschlug.
Die ersten Fackeln glänzten wie Sterne aus der Tiefe, vermehrten sich bei jedem Schritt, bis sie hell genug waren, einen Hohlraum auszuleuchten, in dem keine Stelle an den Wänden von Schatten berührt wurde. Ein Feuer brannte in der Mitte des Kessels, an dessen Rand sich die Stufen in die Tiefe rollten, die dreckige Zunge eines toten Drachen.

»Wir haben Besuch«, meinte der Mann und stieß Hayes nun doch nach vorn. Sie taumelte, konnte ihren Schwerpunkt aber halten und rammte nur eine Steinsäule, die mit ihren anderen Geschwistern die Kuppel davon abhielt, in die Tiefe zu stürzen. Ein leichter Staubregen löste sich aus der Ferne und schwebte herab.
»Und wer bist du?«, fragt der Mann, der am Feuer saß, hinter dem Feuer saß, genauer gesagt. Seine Stimme schien stark genug zu sein, alle Echos gleichzeitig auszulöschen, wenn sie ihnen begegnete. »Und wer bist du?«, antwortete Hayes mit einer Gegenfrage.
Der Mann lachte leise, dann wurde er ernst. »Du musst Hayes sein. Kein Vorname vorhanden.«
»Und mit wem spreche ich nun?«
»Wie hast du uns gefunden?«
»Uns? Ich sehe zwei Männer, die sich verstecken. Jeder, der sich versteckt, wird gefunden.«
»Das ist Schwachsinn und Philosophie«, meinte der Mann hinter ihr. Sie drehte sich zu ihm um. Sein Gesicht glitzerte vor Anspannung. Seine Augen betrachteten den Dolch. Die Runen glimmten von der Anwesenheit alter Magie. »Sie will sicher die Prinzessin holen.«
»Befreien«, meinte Hayes.
»Befreien. Holen. Was auch immer …«, antwortete der Gesichtslose hinter dem Feuer. »Am Ende landet sie wieder bei ihrem Vater …«
»Sie ist nicht hier«, teilte ein Mann im Schatten mit. Seine Schritte kamen näher. »Am besten, Hayes, Sie gehen, vergessen, dass Sie uns gefunden haben.«
»Sie wird uns verraten.«
»Und wenn sie das tut, sind wir schon fort. Weit fort. «
»Und wir verlieren soviele Möglichkeiten.«
»Welche? Den Spiegel?«, fragte der Mann hinterm Feuer und stand nun auf. Sein Gesicht wirkte müde und auf groteske Art viel ehrlicher als so manche andere während der letzten Tage. Er war jung, doch schlechte Erfahrungen hatten ihn gezeichnet, hatten den Abdruck des Alters in seine Haut gebrannt. Seine Hände zitterten. Die Haut auf seinen Armen wirkte geschrumpft und wieder geweitet.
»Ihr versucht, Magie zu nutzen. Nicht wahr?«, fragte Hayes.
»Woher wisst Ihr das?«
»Der Dolch hier, der zeigt das an.« Der Mann hob die Klinge und ließ ihre Runen leuchten.
»Nicht nur das. Ich sehe das an ihm hier«, antwortete sie und zeigte auf den jungen Alten.
»Wir nutzen die nötigen Mittel, um zu überleben. Mehr nicht.«
»Mehr nicht, Roger? Mehr nicht? Ich sagte dir, dass wir fliehen sollten. Weit weg. Äuatien verlassen. In die Ostlande oder nach Uruk, selbst Xiotor wäre besser als hier.«
»Nein«, antwortete Roger, der seine Haut betrachtete, mit seinen Fingern über die Narben strich, als wären sie Karten in unentdeckte Länder. »Nein. Wir werden erfolgreich sein. Und wenn es das Leben kostet.« Seine Augen hoben sich, blickten Hayes an. »Die Prinzessin bleibt dort, wo sie ist. Sie ist notwendig für den Kampf gegen die Herrschaft ihres Vaters.«
»Ihr nutzt sie, um eure Freiheit zu erpressen?«
»Nein. Aber …«
Ein Beben kroch durch den Eingang, durch den Hayes gekommen war. Fackeln flammten auf, vergingen wieder.
»Wer ist das?«
»Ich weiß nicht. Aber hier können wir nicht bleiben. Fesselt Hayes an die Säule. Möge sie lange leben und dem König die Mitteilung bringen, dass wir nicht aufgeben. Der Thron …«
Ein weiterer Hieb bohrte sich in die flackernde Dämmerung. Metallene Stiefel hämmerten über den steinernen Boden.
Der Mann mit der Klinge nutzte die Zeit, ein Seil aus irgendeiner Truhe zu zerren und band es Hayes um die Handgelenke. Er war aufgeregt, Hayes konnte es fühlen. Die Wahl seiner Knoten zeugte von seiner Hilflosigkeit. Dennoch sagte sie nichts. Roger und der Mann aus dem Schatten starrten sie an, um sich davon zu überzeugen, dass sie nicht plötzlich irgendwelche magischen Künste vorführte oder die Kraft ihrer Gedanken nutzte, um ihr Fleisch zu verbrennen. Oder schlimmer, das Seil zerreißen und sich dann wie eine altertümliche Kriegerin auf die Männer stürzen würde.
Roger trat an sie heran und legte ihr die Hand auf die Schulter des Arms, der noch immer schmerzte. »Schade, dass wir keine Zeit hatten. Aber ich glaube, wir seh …«
Hayes trat zu. Es war ein guter Tritt, kein hervorragender, dafür ein umso schmerzhafter. Sie drehte sich an der Säule entlang, an die sie gebunden worden war und ließ ihre Hände aus den wirklich schlecht gemachten Knoten rutschen, die selbst ein Anfänger der Knotenkunst dreimal so gut hinbekommen hätte.
Augenblicke später lagen die beiden anderen Männer am Boden, während Roger davonhumpelte. Hinter der hölzernen Tür, die unsichtbar in den Felsen eingelassen worden war, konnte Hayes einen Tunnel erkennen. Entweder war dort der Ausgang oder etwas schlimmeres. Das war ihr jetzt auch gleich. Sie zerrte die Klinge aus der Hand des bewusstlosen Mannes, hielt sie gepackt, als ob ihr Leben davon abhinge und folgte dem Fliehenden.

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