Hayes – Die verlorene Prinzessin – Kapitel 4

Hayes – Die verlorene Prinzessin – Kapitel 4

Seine Majestät hing auf seinem Thron, als würde er seine Besucher nicht sehen, nein, als würde er niemanden sehen. Sein Blick war auf den Boden geheftet und erst die Meldung seines Kommandanten ließ ihn aufschrecken. Seine Augen wirkten blutrot in den Flammen der vielen Laternen, die den Thronsaal schmückten. Vor ihm standen zwei Reihen an Tischen, seitlich an die Wände gepresst, hinter denen einzelne Personen saßen und aßen. Das Schweigen in diesem Raum war ohrenbetäubend stark. Hayes konnte den Herzschlag jedes Gastes hier schmecken, doch der König selbst, bei Aracus, wirkte scheintot, bis zu jener ruckhaften Bewegung, der seine Gesicht ihn ihre Richtung schob. Ein bitteres Lächeln hing unter seinem Bart, der von grauen Fetzen durchzogen war. Er musste um die 50 Jahre alt sein, aber er wirkte sowohl 10 Jahre jünger als auch 30 Jahre älter. Sein Körper schien zu flimmern, aber das lag auch an dem Kleid, das er in Händen hielt, das Kleid einer Prinzessin, durchzogen von diamantenen Sternen. Auf der anderen Seite seines Throns lehnte ein mächtiger Zweihänder, an dessen Ende ein Rubin glitzerte, ein edler Stein, dessen Glanz jedoch etwas unheiliges in sich trug.
»Komm näher«, murmelte der Mann. Seine Stimme trug die Erinnerung an lange Tage auf endlosen Schlachtfeldern in sich, einen Hauch absoluter Kontrolle, doch das schien vergessen zu sein, als er sich aufrichtete. »Komm näher, Kind«, wiederholte er.
»Eure Majestät«, meinte Hayes und folgte Von und Zu, der neben ihr auf die Knie ging.
»Bitte. Unter Freunden spricht man sich wie normale Menschen an. Ich bin König Satic, einst Herzog Satic. Und nun … naja, steht bitte auf. Bernhard, komm heran, ich habe einige Informationen für dich.«
Der Kommandant folgte dem Befehl und legte sein Ohr vor den Mund seiner Majestät, nickte und verzog sein Gesicht, doch nur für den Bruchteil eines Wimpernschlags, dann wurde es wieder fest und stark, so wie er die ganze Zeit hatte wirken wollen. Er richtete sich auf, salutierte und teilte Hayes mit, dass er etwas zu erledigen habe.
»Bitte setzt euch neben mich.« Er klatschte in die Hände und befahl zwei Dienern, einen Tisch und einen Stuhl heranzubringen sowie eine Auswahl an Fleisch, Wein und Brot.
Hayes bedankte sich.
»Esst. Trinkt. Ihr seid einen langen Weg geritten und sicher müde. Bei Aracus, ich würde euch gerne jetzt ein Zimmer zuweisen, in dem Ihr schlafen könnt, aber … ich brauche eure Hilfe so dringend, dass ich es mir kaum leisten kann, euch zur Ruhe kommen zu lassen.«
»Eure … ich meine König Satic, ich bin mir bewusst, dass Euer Wunsch sehr dringend ist. Ich möchte mich auch nicht viel weiter davon abhalten lassen. Leider hat Euer Kommandant mir nur einige nebensächliche Informationen zu Eurer verschwundenen Tochter gegeben und damit kann ich wenig anfangen.«
Satic lächelte und nickte. »Bernhard ist ein Soldat. Ihn kümmern politische Dinge wenig und noch weniger das Leben anderer Leute. Er musste sie beschützen, meine kleine Amalia, doch er hat versagt und nun ist er voller Angst. Er hat die Angst verdient, Frau Hayes, doch ich habe ihm eine Möglichkeit gegeben, weiterzuleben. Sein Leben hängt an eurem Ergebnis. Und das einzige Ergebnis, das ich akzeptiere, ist, meine Tochter in meinen Armen zu halten, so lebendig wie ich sie gesehen habe, vor 5 Tagen noch.«
»Wo war das?«, fragte Hayes.
»Hier, in diesem Saal. Sie war traurig, mich verlassen zu müssen, aber die Regeln der Politik sind noch böser als die des Krieges. Doch beides ist nötig. Wie sagte einst ein Mann? Krieg sei die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln? Ha, ich sehe es genau umgekehrt. Politik und Diplomatie sind die Ergebnisse eines erfolglosen Krieges. Was würde ich alles tun, um auf dem Schlachtfeld zu leben? Soldaten sind eine Gemeinschaft, ganz gleich, wie fern ihre Leben voneinander sind in Friedenszeiten. Ich verstehe, dass keiner Krieg will, aber im Augenblick des Kampfes werden aus Menschen Tiere und nur Tiere wissen, was Überleben wert ist.«
»Und wer ist der Auserwählte Eurer Tochter?«
»Ah, Ihr kennt Ihn nicht. Oder vielleicht doch. Polos von Ur.«
»Ist er nicht tot?«
»Das ist der Vater. Sein Sohn hat den gleichen Namen angenommen. Damit will er wohl Xiotor nacheifern. Ur selbst ist ein sehr altes Königreich, fast schon zerfallen unter dem Druck der Geschichte. Tempel vergessener Götter hängen in den Tiefen, zwischen den Städten, dort, wo kein Tier freiwillig lebt. Doch Polos regiert gegen das Vergessen und auch wenn ich kein religiöser Mensch bin, so weiß ich, dass Aracus und sein Licht von vielen nur genutzt wird, um Geld zu machen.«
»Politik ist die Fortsetzung der Religion, mit ähnlichen Mitteln«, antwortete Hayes.
König Satic lachte auf. Seine Stimme rollte durch den Raum, hinterließ Panik in den Gesichtern der Gäste, die teilweise ihre Messer fallen ließen. Weinbecher kippten um. Leise Flüche wurden schnell gebremst, bevor sie die offenen Münder verlassen konnten.
»Ihr seid mir eine Heldin, Frau Hayes. Ja, ein solch junges Reich wie Äuatien braucht die stabilisierende Hilfe einer alten Zivilisation und Ur ist dafür perfekt geeignet. Außerdem ist Polos kein Opfer jener Zuchtregeln wie andere Länder es haben, wie Xiotor, wo man nur heiratet, wenn man gleichen Blutes ist. Und das Grauen, das entsteht, wird nur durch Magie gelindert, durch Magie, die noch grauenhafter ist als die Form des entstandenen Kindes. Nein.« Er stockte, blickte nach unten, streichelte das Kleid. »Das trug meine Amalia an jenem Abend und als eine ihrer Hofdamen sie am nächsten Morgen abholen wollte, traf sie nur die Zofe, die ihr bewusstlos entgegenfiel, als sie die Tür öffnete. Marie, die Zofe, ist noch immer nicht erwacht. Sie schläft, aber sie schläft ohne Träume, ohne Reaktion. Niemand weckt sie. Selbst die Magier, die ich kenne, die Priester, die mir gehorchen, waren nutzlos. Ich bin ein harter Mann, Hayes, aber ich würde sterben, wenn Amalia etwas passiert ist.«
»Zeigt mir, wo Eure Tochter wohnt«, antwortete Hayes und stand auf.
König Satic klatschte und zwei Diener erschienen. Er befahl ihnen, Hayes in die Gemächer der Prinzessin zu führen.
»Ich werde alles tun, um sie zu finden«, meinte Hayes und meinte »Und es kann eine Zeit dauern, bis diese Festung seine Geheimnisse offenbart und ich bin nicht sicher, ob die Prinzessin überhaupt noch lebt.«

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