Hayes – Die verlorene Prinzessin – Kapitel 3

Hayes – Die verlorene Prinzessin – Kapitel 3

Die Festung hing im Felsen wie ein fettes Kind zwischen den wogenden Felsenbrüsten seiner Mutter. Sein Mund war geschlossen. Der Weg, der hinaufführte, war von beiden Seiten gesäumt von abgeholzten Baumstämmen. Der Teer der Fackeln, die an die Wände geschmiedet waren, hinterließ einen beißenden Geschmack im Mund, doch Hayes konnte dies nicht schocken. Es war nicht die erste Trutzburg, mit der sie zu tun hatte und würde sicherlich auch nicht die letzte sein. Es gab Gerüchte von einer Burg, die über den Hängen der Totenwelt hing und darauf wartete, dass jemand ihre Ketten durchhieb, damit die Kreaturen, die dort lebten, endlich erlöst sein würden. Doch hier war alles überaus normal. Zwischen den Schießscharten, die die Mauer begrenzten, krochen Köpfe, an denen Männer hingen, deren Helme wie Silber glänzten. Das hier war keine echte Burg, um für einen Krieg gewappnet zu sein, nur ein Symbol, trotz der Lage.
»Wem gehörte diese Festung?«, wollte Hayes fragen, doch ihr Begleiter kam ihr zuvor.
»Diese Festung eroberte Seine Majestät als letztes. Wie man sehen kann, ist sie von drei Seiten unmöglich einzunehmen und nur von der vierten, also von dieser Straße her, kann man sie betreten.«
»Dann hat Satic also einen Drachen besessen, um über die Türme und Zinnen zu fliegen, um diese Festung zu erobern.«
»Aber nein. Das wäre zu einfach gewesen.« Der Von und Zu lachte leise und bitter. »Wir verloren viele Männer. Wenn man genau lauscht, hört man noch die Echos der Sterbenden. Nein, Herzog Seveno selbst gab sie frei, als er keinen Ausweg mehr fand.«
»Wie meinen?«
»Ich meine, dass man viele Monate ausharren kann, wenn man genug Wasser und Wein und Fleisch und Mehl gelagert hat. Doch wenn dies aufgebraucht ist, dann …«
Er stoppte, blickte sich um. »Die Garde ist da.«
Hayes musste seinem Blick nicht folgen. Sie hatte schon vor Minuten das Knistern des Metalles gehört, das sich aus unsichtbaren Höhlen in den Wänden gelöst hatte, eine perfekte Möglichkeit, aus jedem Besucher einen Gefangenen zu machen.
»War das Eure Idee?«, fragte sie.
»Nein. Aber wir haben sie verbessert. Wir haben lange gebraucht, um das Knarren des Metalls unter den Stiefeln zu entfernen, Holz war auch zu laut. Doch es gibt einen Baum tief im Süden, hinter der »Tiefe«, dort, wo die Inseln sich teilen und dieser erzeugt einen klebrigen Saft, der, wenn man ihn erhitzt, zu einem dicken Belag wird, der sowohl weich ist, als auch unhörbar. Natürlich muss man den Rest trainieren.«
»Eine gute Idee. Ich hoffe, niemand kommt darauf.«
»Das werden wir zu verhindern wissen und selbst wenn, wir sind immer einen Schritt weiter als alle anderen. Ein König darf niemals ruhen und ein Feldherr darf niemals rasten. Es ist zwar schön, in einem Bett zu sterben, aber nur, wenn kein Gift im Spiel ist – oder eine Klinge.«
»Ich respektiere das. Dennoch …«
Weiter kam sie nicht. Von und Zu hielt an, hob seine Hände und gab einen unsichtbaren Befehl an einen noch unsichtbareren Zuschauer. Augenblicke später knirschte es in der Mauer und Ketten krochen durch schwarze Öffnungen nach unten, gaben ein Tor frei, das von einem dicken Gitterwerk durchzogen wurde. Von und Zu stieg ab, hieß Hayes zu warten und wanderte, sein Pferd am Zügel, über die hölzerne Brücke. Ein Gesicht erschien aus der Finsternis, sprach wohl einige Worte – Hayes konnte sie nicht hören – und drehte sich weg. Das Gitter wurde nach oben gezerrt, unendlich langsam, als würde es sich dagegen wehren.
Der Kommandant drehte sich wieder zu ihr um und winkte sie heran. Sie stieg ebenso ab und folgte ihm in die Dunkelheit. Der Gang war absolut unbeleuchtet. Keine einzige Fackel brannte hier, kein Licht, ja, nicht einmal Pilze ließen ihr bläuliches Licht über den steinernen Korridor fließen. Die Stille presste ihre Macht auf die Anwesenden. Hayes konnte die Bewegungen der Luft spüren, das leise Rascheln der weichen Sohlen, das versteckte Knirschen von Metall auf Leder, das Reiben von Haut auf Holz … doch alles war unendlich fern, als habe man es inszeniert. Und als endlich jemand sprach, war es Von und Zu.
»Lassen Sie sich nicht täuschen, Hayes. Nur, weil wir hier niemanden sehen, heißt es nicht, dass wir selbst unsichtbar sind. Magie ist ein herrliches Geschöpf, herrlich und grausam.«
»Sie haben die Männer verändert.«
»Nicht wir, die Natur und die Magie. Aber ja. Dieser Ort beherbergt wahre Schätze und noch wahrere Wunder. Seveno hätte eine Armee aus Toten beschwören können, doch er tat es nicht. Er hätte uns mit Feuer vernichten können, doch auch das … nun … wie Sie sehen, tat er dies nicht. Vielleicht konnte er es nicht. Wir werden es nie wissen.«
»Also ist er tot.«
»Tot und bald vergessen. Ich erinnere mich noch genau daran, wie wir die Festung einnahmen. Seveno selbst stand auf der Mauer, rief seinen Schmerz in die Welt hinaus, während sich das Tor öffnete und die Zugbrücke herunterraste, dann warf er sich in den Abgrund. Natürlich glaubten wir an eine Falle. Wir schickten eine Einheit durch das Schloss. Zauberer folgten. Priester folgten selbst jenen – nichts. Das Schloss war ohne Fallen, ohne Schmerzen, ohne Magie, einfach ein totes Stück Stein. Wir nahmen uns, was wir bekamen. Gold und Schmuck gab es im Überfluss. Die Labore der Zauberer waren so leer wie die Nacht, die ihre herrlichen Strahlen durch die Berge schiebt. Nein, alles war perfekt, für Jahre nun. Doch dann verschwand die Prinzessin und seitdem ist Seine Majestät trübe geworden, trübe und zornig.«
Mit diesen Worten verließen sie den von dicker Nacht durchzogenen Gang. Der Innenhof war von grauen Marmor überzogen, in dem goldene Linien anzeigten, dass es nicht aus der Gegend stammte. Tatsächlich kannte Hayes nur Legenden davon, aber Von und Zu wusste viel mehr als das.
»Ja, es ist aus dem Land der Toten. Seveno hat sie nicht angebracht, denn die Festung steht nun seit über tausend Jahren im Lande. Es gibt Leute, die sagen, dass Koros selbst dieses Gemäuer gebaut hat. Aber Koros ist erst seit 200 Jahren tot, wie Leute sagen, also war er es nicht. Wer weiß«, murmelte er, »wer weiß.«

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