Hayes – Die verlorene Prinzessin – Kapitel 14.3

Hayes – Die verlorene Prinzessin – Kapitel 14.3

Tentakel krochen aus den Wolken heran, winzige Finger, die nach allem griffen. Holz zischte bei Kontakt mit den ölig glänzenden Gliedern, löste sich auf, tropfte auf den Boden hinunter. Ein dumpfes Lachen kroch aus dem Innern Sovenos, hielt sein Fleisch, seine Knochen gepackt, ließ die Marionette, die er war, herumtanzen, während es gleichzeitig seinen Körper zu Boden drückte.

Hayes versuchte weiterhin, sich aus der hypnotischen Umklammerung des Grauens zu lösen. Auch Kemors Leib zuckte unkontrolliert. Blut tropfte aus seiner Nase, als habe ihn eine Hand gepackt und würde das Leben aus ihm herauspressen.

Die Welt war erfüllt von den chaotischen Gesängen der unheiligen Welt hinter dem aufgerissenen Vorhang. Deshalb hörte niemand das Rascheln von Stoff und Haut, das über den Boden kroch. Ein Schatten hob sich, blieb in der Luft hängen, sauste herab. Der schwarze Strom aus Sovenos Mund zuckte kurz, schoss dann wieder hinaus in die Welt, doch nun immer wieder unterbrochen von ungewöhnlichem Stottern, als habe jemand Steine in den Fluss geworfen.

Hayes fand einen Teil ihres Atems wieder und drehte ihren Kopf zur Seite. Wieder raschelte es, doch diesmal war der Schatten kein Schatten mehr. Die Gestalt Roberts, des wahren Königs, hielt ein Feuer in seiner erhobenen Hand. Der rote Kristall raste herab, traf die Schulter Sovenos, glitt ab. Der Riss, der sich öffnete, leuchtete grün, so grün wie des Königs Brustkorb. Des Königs Haut pulsierte, als ob die Nähe zu Soveno, zu seiner unfassbaren Magie, zum Kristall, den er in seiner Hand trug, den eigenen Fluch erweckte. Wieder hob er seine Hand, wieder zuckte das fremde Rot in seinem Fleisch, so dass Hayes die Knochen seiner Finger konnte. Er kämpfte gegen den Schmerz an, gegen die Schwerkraft der eigenen Schwäche. Soveno kippte langsam nach hinten. Der rote Kristall sauste nach unten, traf den Brustkorb des falschen Königs und blieb stecken. Risse krochen durch seine Kleidung, leuchtende Risse der unheimlichen Macht, Wurzeln einer Öffnung in den Abgrund seiner Seele.

Die Stille, die folgte, wirkte wie das Gegenteil der letzten Minuten. Es war eine dumpfe Stille, die Stille, die in der Mitte eines Wirbelsturms herrscht, die Stille, die einem Gewitter vorangeht, eine drückende Stille, die nur existiert, weil sie eine Lüge ist. Über den Köpfen der Anwesenden brodelte noch immer das Wolkenmeer, als würde es auf etwas lauern.

Das Knirschen aus den Muskeln Sovenos zerstörte die Augenblicke der Ruhe. Seine Beine zuckten, raschelten auf dem Boden. Seine Füße tanzten, krochen unter seine Schienbeine. Seine Hüfte schoss nach oben, zog den Oberkörper mit sich, langsamer aber, als ob die Kraft nicht ausreichte. Doch nur Augenblicks später krachten die Gelenke seiner Arme, die sich unmöglicher Weise nach hinten drehten und seinem Oberkörper halfen, ob sie wollten oder nicht. Sovenos Körper richtete sich vollständig auf. Seine Augen glühten. Sein gebrochener Kiefer hing leblos an den zerfetzten Muskeln seines Gesichts. Seine Zunge, schwarz und schwer, rollte durch die Öffnung, die früher einmal ein Mund gewesen war. Seine Arme schossen nach vorn, packten den König am Hals. Finger bohrten sich in die weiche Haut des verdammten Mannes.

Eine Gestalt schoss heran. Sie wirkte fast filigran, so schmal war sie, so schwach und gleichzeitig stark. Prinzessin Amalias Körper schlug in den Rücken Sovenos ein. Sovenos Leib taumelte nach vorn. Hayes streckte ihre Beine im Reflex aus. Ihre Stiefel krachten in die Fußgelenke des Zauberers. Er stolperte, krachte zu Boden, doch seine Hände hielten sich an der Kleidung des Königs fest, rissen sie auf, so dass man den grün leuchtenden Brustkorb erkennen konnte. Doch auch das half dem Wesen nur für Augenblicke, bevor es zu Boden krachte. Gestützt von seinen Armen, drehte die Kreatur ihren Kopf herum. Halsgelenke brachen kreischend. Das Wesen starrte die Prinzessin an, Verwunderung in den Augen und nicht nur das: Angst. Etwas blitzte. Der Kopf fiel zur Seite. Eine Klinge schoss heran, schlug zu. Schlug wieder zu. Doch nichts geschah. Sovenos Fleisch schien zu heilen, schneller als Kemors Schwert traf. Hayes erhob sich, unsagbar langsam, als kämpfte sie gegen die Kraft der fernen Götter, die sie aus den zuckenden Wolken betrachteten.

Sie sah den Blick Roberts, des wahren Königs, das flimmerte, kochte, konnte die Schmerzen sehen, die er in sich trug, die sein Leben mit dem des Zauberers verband, die Angst, seine Tochter zu verlieren. Sie sah das Gesicht Bernhards, der wirkte, als würde er gerade aus einem Traum erwacht sein. Sie sah den Zorn Kemors, dessen Klinge keinen Schaden anrichtete, als wäre sie aus Holz. Sie sah die aufgerissenen Augen der Prinzessin. Sie hörte die Schreie in der Ferne, die Soldaten, deren Seelen geraubt worden waren, die nun brannten hinter ihren falschen Wänden aus Holz. Sie hörte die Worte aus dem Tunnel zwischen den Dimensionen. Sie hörte alles. Sie hörte zuviel. Sie schrie gegen all diese Eindrücke an. Sie peitschte ihren Geist aus der überwältigenden Welt des Chaos zurück in die Abgründe ihrer eigenen vergessenen Vergangenheit. Dann sprang sie.

Ihr Oberkörper schlug in den Rücken der Kreatur ein. Arme brachen. Gelenke wurden auseinandergerissen. Die Gestalt wurde in die Tiefe getrieben und mit ihm der rote Kristall in das grüne Feuer seines Brustkorbs. Das Wesen heulte. Hayes rappelte sich auf. Sprang wieder. Wieder konnte sie fühlen, wie der kristallene Keil tiefer in den Körper des Zauberers eindrang. Noch einmal zog sich Hayes zurück. Noch einmal konzentrierte sie ihre Kraft. Noch einmal sprang sie.

Dann war alles vorbei. Nein, das stimmt nicht. Ein Schmerz raste durch ihren Leib. Sie schob sich vom Körper des Zauberers weg. Leuchtendes Blut summte zwischen ihren Brüsten, hinter dem Riss in ihrer Lederrüstung. Der rote Kristall starrte aus dem Rücken Sovenos, vielleicht zwei Handbreit, starrte sie an, als würde er wissen, was sie empfände. Dann explodierte er. Blitze rasten durch den Raum, leckten an den Fenstern und Wänden, packten die schwarzen Wolken, deren Schreie unmöglich wirkten, nahmen sie gefangen und zerrten sie in das Innere des toten Mannes. Grüner Schleim tropfte auf den Boden.

»Vater!«, hörte Hayes, als die Prinzessin ihren Vater erkannte, dessen Gesicht hinter dem kochenden Fleisch auftauchte. Brocken sterbenden Kristalls fielen von seiner Brust. »Vater!«

Dann war da nur noch Nacht und Fetzen rotflimmernder Träume, während sich die Wunde so schnell schloss, als wäre sie nie dagewesen.

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