Das alte Haus
Ich wanderte über den Rasen. Die knusprigen Herbstblätter waren vom Nieselregen aufgeweicht worden, wurden zu Matsch, als meine Stiefel sie berührten, wie dunkelrote Cornflakes in einer Schüssel aus braungrüner Milch. Das Haus war nur noch wenige Schritte entfernt. Die fünf Fenster, die auf mich herabstarrten, erinnerten mich an lidlose Augen, unbarmherzig und kalt. Und nicht leer.
Vor Augenblicken noch war ich nicht bereit gewesen, das Anwesen des verstorbenen Mr. Richards zu betreten. Der Zaun, dessen verrostete Spitzen in den Himmel ragten, hatte mich davon abgehalten, aber auch die Atmosphäre, die von dem alten Gebäude ausging, hatte sich auf meinen Kopf gelegt, hatte Eindrücke aus vergessenen Alpträumen hinterlassen, Erinnerungen an meine angsterfüllten Kindheitsnächte.
Doch nun stand ich hier. Die Tür war halb geöffnet. Hinter dem Spalt flimmerten zwei Kerzen, die Augen eines Dämonen. Die Bretter, die die an der Front des verfluchten Hauses genagelt worden waren, hingen wie verrottetes Fleisch an einem verfluchten Schädel.
Der Weg, der von der leeren Straße in das Haus führte, war löchrig wie der Mund eines Toten. Das Licht der Laternen, die über den endlos wirkenden Rasen glitt, erinnerte an Maden, die langsam über die nassen Halme wanderten.
Als mein rechter Fuß die Treppe berührte, meinen Körper eine Stufe nach oben hob, schwankte der Boden unter mir und ich sank ein, nur für den Bruchteil einer Ewigkeit. Meine Stiefel zermalmten das klebrige Holz, das seit Jahrzehnten nicht mehr berührt worden war. Ja, Mr. Richards war schon tot, bevor ich überhaupt zur Schule gegangen war und das war nun fast 30 Jahre her, nein, fast 40 Jahre. Geschichten säumten unsere Ohren. Gerüchte von Flüchen machten die Runde. Die Erwachsenen hatten immer gelacht, offiziell jedenfalls. Doch nun war auch ich ein Erwachsener und ich konnte mich nicht vor der Angst verstecken, die diese Grimasse in mir auslöste, Nacht um Nacht. Tausende Meilen entfernt war ich doch nicht der Erinnerung entkommen, der Erinnerung an einen grinsenden Schädel, dessen Augen gebrannt hatten.
Und nun stand ich auf der Terrasse. Das Dach über mir hatte mehr Löcher als mein Glück bei den Lottozahlen. Schleimige Reste von Spinnenweben hingen vor meinen Augen, noch immer mit den Leichen von Fliegen und Spinnen besetzt, Opfern ihres eigenen Hungers, die leise »Hilfe!« wimmerten. Oder war ich das?
Kalter Wind kroch aus der Ferne heran, wirbelte den Nebel auf, der aus dem Haus zu kommen schien. Worte summten durch die Abgründe der leeren Zimmer. Ich konnte das Keuchen der Balken hören, die Echos unsichtbarer Stimmen, das Knarren fremder Schritte.
Ich starrte aus der Finsternis hinaus in die Freiheit der fremden Welt. Eine Gestalt erwartete mich, ein Schatten, ein Abdruck meines Geistes, die Erinnerung eines verlorengegangenen Versprechens, das viele Jahre alt war. Der Mann war älter geworden als ich es je sein würde. Ich fühlte seine Angst, so wie er meine fühlte.
»Bist du bereit, mit mir zu tauschen?«, fragte ich.
»Ich muss«, antwortete ich.
»Dann komm. Versprechen sind Versprechen. Du hast dir viel Zeit gelassen.«
»Und du kommst zurück?«
»Sicher«, antwortete ich und öffnete die Tür. Draußen war es hell, verbrannte meine Augen.
Ich würde mich an die Finsternis gewöhnen, an den Geruch des Verfalls, an das Heulen der Ratten in den Kellern von Mr. Richards. Und jedes Jahr würde ich die Tür öffnen. Und ich würde warten.