Hayes – Die verlorene Prinzessin – Kapitel 13.3

Hayes – Die verlorene Prinzessin – Kapitel 13.3

Sie krochen weitere Treppen hinauf.

»Halt«, signalisierte Hayes, die durch einen Spalt der Tür am Ende der letzten Treppe schaute. Vor ihr wanderte eine Handvoll Soldaten durch die Gemäuer des Gebäudes, marschierte, als gäbe es nichts anderes zu tun. Sie schloss die Tür, drehte sich um, setzte sich auf eine Treppenstufe. »Es wird Zeit, dass die Männer angreifen. Sonst sitzen wir hier fest, bis …« Ja, bis wann? Bis jemand in den Keller gehen würde, um in einer Meute verformter Nagetiere Brandwein zu holen? Sicher war da unten seit Ewigkeiten keiner mehr gewesen. Hatte nicht … der falsche König gemeint, seine Krieger … oder Zauberer oder war das Von und Zu? Nun ja, Lügen waren einfach zu erzählen.
»Es … riecht«, meinte der König und Hayes´ Nase bestätigte es. Winzige Rauchpartikel, unendlich klein und noch störender als alles andere, krochen aus der Tiefe heran, füllten das Gewölbe mit dem Gefühl drückender Enge. Hayes hörte hinter ihrem Herzschlag und glaubte, auch das Splittern von Glas zu vernehmen, das hinter dem verzweifelten Kratzen von Klauen und dem Kreischen der alptraumhaften Kreaturen ertönte. Sie würden sich bald durch das Holz durchgearbeitet haben und … dann würden sie kommen. Brennende Ratten unter dem dämonischen Einfluss der unheiligen Kristalle.

Die metallenen Stiefel der Soldaten beschleunigten. Irgendwo in der Ferne hinter der Tür wurden Rufe laut. Eine Trompete ertönte, eine weitere folgte. Augenblicke später schepperten Rüstungen über den steinernen Boden. Hayes öffnete die Tür wieder. Blitzende Rücken sausten vorbei, dann verschwanden die Schläge in der Ferne. Sie wartete noch ein wenig, öffnete die Tür ganz und blickte hinaus. Die Gänge schienen leer zu sein. Fackeln flackerten an den Wänden, rostige Spiegel erzeugten Echos von Nachlässigkeit. Die Waffen hier unten wirkten alt und lange nicht mehr gesäubert. Vermutlich waren sie nicht einmal geschliffen. Hayes schlich über den Gang. Die beiden Männer folgten ihr.

»Wir werden angegriffen«-Rufe prallten gegen die Wände, ferne Stimmen, verzögerte Echos, doch ohne Panik. Hayes konnte die Arroganz schmecken, die in diesen Mauern lauerte, die jeden Soldaten ansteckte, als wäre sie eine Krankheit. Die Stimmen wirkten eher wie Jubelbotschaften eines allzu sicheren Narren, der sich hier sicher glaubte.

Minuten später standen die drei auf der Ebene, auf die Säle und Ställe standen, Menschen und Tiere auf gleicher Stufe, nur getrennt durch Mauern und Tore. Hayes blickte durch einen Vorhang, der so dick war, dass er sich kaum bewegte. Der Thronsaal war leer, aber einzelne Diener huschten durch die Reihen der Tische und Stühle, auf denen die Adligen und hochrangigen Bediensteten bald ihr nächstes Mahl einnehmen würden – doch alle standen sie nun auf der Mauer und blickten hinunter auf die Schar von Idioten, die dumm genug waren, diese kleine eigene Welt einzunehmen.

»Wir teilen uns auf«, meinte Kemor. Der König nickte. Hayes nickte auch.

»Ich gehe den Turm hinauf, zur Prinzessin«, murmelte der König. »Falls sie da ist, dann …«

Ein Diener huschte vorbei, doch nicht zur Mauer, sondern in Richtung der Gemächer des Königs und seines Hofstaats. Augenblicke später schoss er wieder in die wichtige Richtung und ihm folgte die Gestalt Bernhards von und zu. Soveno schien aufgeregt zu sein. Seine Stirn wirkte weiß, seine Finger knackten. In der Mitte des Raums blieb er stehen, als habe ihn der Blitz getroffen. Er ließ seinen Blick schweifen. Seine Augen, so Hayes es sehen konnte, schienen geschrumpft zu sein, waren nur noch weiße Kugeln in schwarzen Abgründen und dort, wo seine Pupillen sitzen sollten, glänzten die grünlichen Lichter der verbotenen Macht, die Soveno an diese Position gebracht hatte. Doch er kam nicht dazu, eine Gefahr zu sein, denn hinter ihm erschien der König, der falsche König, dessen Gesicht eine Maske aus Arroganz und Verachtung war. Er schlug Von und Zu auf die Schulter. Sein Lachen wirkte bösartig, fast schon beleidigend. »Dann schauen wir doch mal, was meine Diener mit den Angreifern machen!« Bernhards Kopf fiel nach vorn, das Zeichen eines Sklaven.

Als beide verschwunden waren, zog Hayes den Vorhang zur Seite. Kemor und der König betraten den Thronsaal, blickten sich um. Der König deutete auf den Durchgang auf linken Seite des Throns. »Dort. Hinauf.« Kemor nickte und verließ die beiden.

»Und wir gehen in die Gemächer des neuen Königs«, teilte der König mit.

Hayes lächelte. »Ja, wir sollten schauen, wie er seine Magie betreibt. Im Keller war seit Jahren keiner mehr.«

Hayes fühlte gleich, dass etwas nicht in Ordnung war. Zum Einen hing über den Räumen Sovenos der dumpfe Geruch alter Experimente, eine Mischung aus altem Fleisch und verrotteten Pflanzen, Kräutern, Blumen, die bereits vor Monaten gestorben sein mussten, aber die dank der Magie der Kristalle noch immer so aussahen, als wären sie frisch. Zum Anderen ging neben ihr der König zu Boden. Als sie neben ihm kniete, fühlte sie die Vibrationen der Kristalle in seinem Fleisch, als würde eine fremde hinter seinem Atem summen, Töne erzeugen, die zu unbekannten Worten wurden. Sie zerrte ihn nach oben, packte seine Arme und führte ihn, so gut wie sie konnte, einige Schritte zurück und setzte ihn in eine Ecke, direkt neben eine leere Vase, aus der seit Jahren nichts gewachsen war. Langsam kam er wieder zu Atem.

»Ich geh allein«, teilte Hayes mit.

Der König streckte seine Hand aus, als wollte er etwas gegen diese Entscheidung sagen, aber ließ sie fallen, als er merkte, dass ihm die Kraft fehlte, sich durchzusetzen.

Hayes betrat die Gemächer Sovenos erneut. Das sonderbare Brennen in ihrem Kopf wurde mit jedem Augenblick stärker. Ein Druck baute sich um sie herum auf, als wäre sie von tausenden Fässern Wasser umgeben, als wäre sie Teil des Meeres und unter ihr wartete etwas bösartiges darauf, sie in die Tiefe zu zerren.

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