Hayes – Die verlorene Prinzessin – Kapitel 13.2

Hayes – Die verlorene Prinzessin – Kapitel 13.2

Als sie die Mittel der Treppe erreichten – zumindest fühlte es sich so an – merkte Hayes, dass das Gewicht sich zu ändern schien, als hätte sie den Punkt erreicht, die Kante eines Abgrunds. Sie drehte sich um. Ihre Begleiter wirkten ängstlich, doch konnte sie fühlen, dass die Männer sich überwinden würden, wenn sie mit gutem Beispiel voranging. Sie sprang nach vorn. Ihre Füße lösten sich vom Boden, sie schwebte für einige Augenblicke, fühlte, dass sich ihr ganzes Gewicht im Zentrum ihres Magens sammelte, ihr wurde schlecht, aber beschleunigt durch ihren Sprung erreichte sie die Gegenseite, dort, wo ihre alles wieder normal wirkte. Ein paar Sekunden später hörte sie auch die Stiefel der beiden Begleiter auf dem Stein. Kemor keuchte, als würde er sich gleich übergeben, doch als Hayes ihn anschaute, erkannte sie, dass er sich beherrschte. Sie nickte anerkennend. Er grinste bitter. Der König selbst behielt sein stoisches Gesicht, hinter dem Zorn lauerte, Zorn und Willen.

Die betraten nun die Kellergewölbe, jenen Teil der Festung, der erreichbar schien für die Bediensteten. Hayes schloss die Klappe hinter sich, die weder bewacht noch genutzt worden war. Staub wirbelte auf, alter Staub voller Reste toter Ratten oder anderem Ungeziefer, doch bizarrerweise war sie keiner dieser Kreaturen begegnet. Selbst hier, inmitten des scheinbar unberührten Gewölbes, wirkte alles aufgeräumt, trotz des Staubs.

Der König keuchte leise, hielt sich an einem der Balken fest, die verhinderten, dass die Regale, in denen sich Flaschen voller Wein und Gebranntem befanden, umkippten.

»Eure Majestät«, meinte Kemor, packte den König bei der Schulter, fing das Gewicht des Mannes auf, dessen Kopf gegen seine Schulter prallte.
»Der Kristall«, sagte der König. Sein Gesicht sprach Bände. Sein Körper schien unter der Last der fremden Magie zusammenzubrechen.

Hayes Augen rasten durch die Gegend, suchten nach Quellen für die Schmerzen des Mannes.

»Fühlt Ihr etwas spezielles, ich meine, eine … Richtung?«, fragte sie, als sie nichts fand.

Er schüttelte den Kopf. »Es kommt von überall hier. Das Gift, der Kristall, er summt, als wäre er … als würde er …« Er keuchte. Weiter kam er nicht.

»Raus, wir müssen hier raus«, befahl Hayes. Vermutlich war das der Grund, wieso hier keine …

Etwas bewegte sich im Schatten der Fässer. Hayes zog ihre Klinge aus der Scheide. Ihre andere Hand packte ihre Fackel fester und trat nach vorn.

Grüne Augen glitzerten in der Finsternis. Etwas zischte. Dann sprang die Kreatur. Hayes streckte die Fackel aus. Das Wesen, überrascht von dieser Bewegung, konnte den Aufprall nicht verhindern. Der Hieb schlug Hayes die Fackel fast aus der Hand. Der Geruch verbrannten Fells rollte durch die Dämmerung.

»Was ist das?« Kemors Stimme wurde von seiner Panik ertränkt. »Eine Ratte?«

Hayes konnte nicht antworten. Die Gestalt streckte ihre Fühler aus, öffnete ihr Maul, ihre Mäuler. Ihre Zungen leckten in der Luft, als würden sie versuchten, die drei Menschen zu erkennen. Hayes ließ die Fackel durch die Gegend wandern.

»Es sieht uns nicht«, teilte sie mit. »Es schmeckt uns, riecht uns … Wir …«

Wieder sprang das Wesen, doch diesmal war Hayes vorbereitet. Sie warf die Fackel in Richtung der Kreatur, dessen Bewegung nun abgelenkt wurde und deren Klauen am brennenden Pech klebenblieben, bevor es gegen eines der Fässer prallte. Das Kreischen der Mäuler bohrte sich in Hayes Ohren, erinnerte an das Pfeifen eines Teekessels, nur viel lauter und viel höher. Sie trat nach vorn. Ihre Klinge blitzte auf. Der Kopf des Wesens löste sich von dessen Leib und rollte als brennende Kugel in eine Ecke. Das trockene Holz des Regals direkt über dem sterbenden Kopf ging innerhalb von Augenblicken in Flammen auf.

»Los«, befahl Hayes, »wir sollten …«

Grüne Augen blitzten in der Finsternis auf. Dutzende Kehlen öffneten sich, kreischten ihren Zorn in die Dämmerung hinaus.

»Los!«

Die Tür bebte unter dem Einschlag der Schultern der beiden Männer. Immer wieder krachte Knochen auf Holz. Immer weiter gab das Schloss nach, bis der Riegel nachgab. Die drei schossen in die Dämmerung hinaus. Das Trampeln vieler winziger Pfoten folgte ihnen. Hayes ließ sich nach hinten fallen, erwischte die Tür, kämpfte gegen den Druck der Kreaturen, die immer wieder gegen das Holz hämmerten, presste, drückte ihren Körper an das Holz. Jeder Aufschlag war ein winziger Hieb, aber die Summe der Aufschläge ließ ihre Füße über den staubigen Boden gleiten, als wäre er aus Eis.

»Holt«, zischte sie zwischend den Schlägen und dem Pochen ihres Herzens, »Brett, Balken, irgendwas!«

Es dauerte länger als gedacht, eine halbe Ewigkeit, bis Kemor und der König einen Balken heranzerrten, verrottet bis in den Kern, voller winziger Löcher, aus denen Sand rieselte, Reste der Holzwürmer. Sie schoben den Balken gegen die Tür, bohrten seine Kanten in die Risse zwischen den Steinen, aus denen der Boden bestand. Hayes ließ los. Der Balken bebte, hielt aber stand.

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