Die Wahrheit – eine Frühlingsmetamorphose

Die Wahrheit – eine Frühlingsmetamorphose

Tocktock, gleich einem winzigen Hammer klopft der Schnabel einer Amsel.

Tocktock, wie ein finsteres Omen vibriert das dünne Fensterglas.

Tocktock, dann flattert der Vogel hörbar davon und lässt sich auf einem der erblühenden Apfelbäume im Garten nieder, betrachtet mit schrägem Kopf das Haus. Keiner reagiert. Hätte die Amsel Schultern, sie würde jetzt damit zucken. Aufmerksam lauscht sie auf eine Reaktion, starrt auf das rot gefleckte Dach vor sich, wartet.

Er verzieht sein Gesicht, doch der Traum ist verflogen. Die Last seiner Müdigkeit drückt ihn noch immer tief in die Kissen, doch er spürt das sanfte Knistern der Daunen, die aneinander herumschaben. Die Luft fühlt sich trocken an und seine Lippen suchen nach dem Springbrunnen, der noch vor Sekunden in seinem Kopf war, eine flüsternde Fontäne, friedlich und zart.

Die Augenlider fahren, langsam wie der LKW, der ihn überfahren zu haben scheint, nach oben und lassen seine Pupillen wie Mückenlarven zusammenschrumpfen. Seine Sehnerven beschweren sich, er drückt sich herum, seinen mächtigen Körper hinter sich herziehend, Hauptsache weg vom Fenster.

Da ist es wieder. Dieses Verlangen. Liegt es am Licht, an der Wärme, die von draußen in das dunkle Fenster scheint, Bahnen zieht, ein Prisma aus, Zittern macht sich breit, ein Prisma aus Farben erschafft? Er fühlt, wie seine Haut sich spannt, wie die Glätte in seinem Gesicht, die noch vor Monaten angenehm war, ihn wahnsinnig macht.

Er steht auf. Seine Füße krallen sich in den Teppich, dann packt ihn die Schwerkraft und drückt ihn zurück in die Federn. Erneut ein Versuch und nach vorn gebeugt, beide Hände am Fensterrahmen, bleibt er stehen. Seine Hände zittern. Er reißt das Fenster auf, versucht die kalte und klare Luft eines Dezembermorgens in seine Lungen zu zerren, doch es ist zu warm. Kein Dezember mehr.

„Hallo Du.“

Panisch wirbelt er herum, starrt auf das Bett, starrt auf seine Frau, die ihn mit offenen Augen betrachtet.

„Oh mein Gott.“ Ihre Pupillen weiten sich, sie erstarrt förmlich in ihrer Position gleich einem Reh, das zu tief in ein Glas voller Nebelscheinwerfer geschaut hat. „Ich hatte ja keine Ahnung.“

„Doch, das hattest du. Ich habe dir alles gesagt. Alles, was passiert, passiert. Es ist nicht mehr Dezember.“

Sie hebt ihre Hand von ihrem Mund, zeigt verstört auf die Gestalt, die am Fenster steht, auf den Schatten, der ihrem Mann nicht mehr gleicht, flüstert „Aber dass es so… ich habe ja nicht geglaubt, dass du wirklich…“

Er nickt. Seine Füße sind schwer, als er in Richtung Kleiderschrank stampft. Schmerzen zucken, Blitzen gleich, durch die Muskeln, lassen ihn in immer kürzeren Abständen zusammenbrechen und sich wieder aufrichten, jedesmal anders als Augenblicke zuvor. Endlich erreicht er den Schrank, reißt ihn auf…

„Du hast immer geschlafen.“

Seine Stimme hat sich angepasst, als hätte er gleich dem Märchenwolf Schulkreide inhaliert, sie wirkt nun höher als sonst. Ein letztes Zucken durchfährt seinen Körper, er erstarrt, während sein Kopf vibriert, ruckartig, wie von einem unsichtbaren Seil durch die Gegend geschleudert.

„Ich wollte dich doch nicht wecken.“

Es kichert. Das Wesen kichert. Die Frau in ihrem Bett versteckt sich hinter der Bettdecke, lässt nur ihre aufgerissenen Augen sehen. Sie weint leise.

Das Wesen greift in den Schrank, zerrt eine bisher ungesehen Hose mit dicken Hosenträgern heraus, schlüpft mit bemerkenswerter Gelenkigkeit in diese hinein. Es wendet sich um.

„Du hast es gewusst, hihi“

„Aber Nick, ich wusste doch nicht… dass….“

Sie erschrickt, als die Gestalt aus der Tiefe des Schrankes wieder auftaucht. Das Gesicht, der ganze Körper hat sich in eine weiße Masse verwandelt, glitzerndes weißes Haar hat sich aus jeder Pore seines Körpers geschoben. Die Gestalt kommt mit winzigen Sprüngen näher. Sie kann nicht mehr normal laufen. Seine Füße, nein, Pfoten scheinen gigantisch zu sein.

Den Mann, der einstmals, vor unendlichen Monaten aus der finsteren Nacht des 25. Dezembers aus dem Himmel hinabgestiegen war, den leeren Sack in die Ecke geworfen und seinem Lieblingsrentier einen Klaps auf den Hinterkopf gegeben hatte, gab es nicht mehr. „Aber Nick, Santa….?“

„Shhhhh…“ sagte das Wesen und strich sich mit seiner grotesk verformten Vorderpfote die weißen langen Ohren zurück…. „Santa gibt es nicht mehr, mein Kind….“ Es beugte seine Fratze über die panisch zitternde Frau und flüsterte „Santa ist tot. Nenn mich… Osterhase.“

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