Der Termin

Der Termin

Die Türklingel reagierte prompt, doch für den Lautsprecher dauerte es länger, seiner Aufgabe zu folgen.

»Hallo?«, fragte eine Stimme, verzerrt von hunderten Metern Kabel, die bis in die Höhe hinaufragten, je nachdem die Sekretärin der Firma »Hocks und Mozera« ihren Bürodrehstuhl rotierten lassen würde. Hans senkte seinen Blick von der Fensterwand hinunter zum Mikrofon der Anlage, um seine Lippen an das Plastikgitter zu pressen, damit das Rauschen der herum-eilenden Autos auf der Hauptstraße hinter ihm seine Existenz nicht auslöschen würden.

»Hallohoo?«, klickte es im Lautsprecher, dann schnarrte es kurz, als der elektrische Türöffner seine Lebenswerk erfüllte. Hans sprang nach vorn und durchstieß die kurze Phase seiner eigenen Aggressivität mit kontrolliertem Atmen. Treffsicher landete er auf dem Teppich, der über den ganzen Boden gespannt war, ein Meisterwerk farbsicheren Inneneinrichtertums.

Er blickte sich kaum um. Ein paar Säulen, die dorischen Ausmaßes an den Kanten besaßen, krochen von der Decke hinab in den Boden, wo sie, kaum einige Fußbreit vom Teppich entfernt, herumbaumelten wie Wurzeln, deren Schicksal der Tod ist. Ziemlich arrogant, fand Hans, der die Statik eines solchen Gebäudes mit finsterem Grinsen belächelte, doch die neuen Baustoffe erzeugten das Gefühl von Übermenschlichkeit und geradezu Hybris, einer Art von gedankenloser Arroganz, die die Götter selbst in Angst und Schrecken versetzte.

In der Ferne winkte niemand. Das war auch klar, denn dort war keiner, keine Menschenseele und noch weniger, nicht einmal ein Affe hatte seinen Käfig dort aufgehängt. Die Wände krochen an ihm vorbei, Gesichter in schwarz-weißen-Fotografien, die sich ihm offenbarten und gleich wieder hinter grün bemalten Pflanzen verschwanden. Er wollte den Kopf schütteln, doch sein Nacken hatte sich mit der Sorgfalt eines simplen Genickbruchs verabschiedet und die Kopfschmerzen ragten wieder durch seine Ohren hinaus in die Welt, wo sie nur Antennen waren, die ferne Radiosignale aufschnappen würden.

Die Statuen auf den Ledersofas, die halbkreisförmig herumstanden, bewegten sich. Robotern gleich hoben sie Arme und Beine und zogen an elektrischen Zigaretten, die keinerlei Dampf oder Rauch oder Freude im Raum verteilten. Die Zeitungsstapel erschienen ihm wie Blöcke aus Beton, die jemand in die Welt gesetzt hatte, weil jemand anders sie brauchte, ähnlich Leuten, die Buchrücken als Meterware kauften und verkauften.

Seine Schuhe hinterließen Abdrücke vor ihm im Teppich, bis er sich umdrehte und in die richtige Richtung abschweifte.

Der Fahrstuhl glitzerte in goldrotem Ton. Das Fahrziel war schon eingestellt. »Mozera und Hocks« Es kam ihm falsch vor, aber zum Einen konnte man Firmennamen einfach so ändern und zum anderen kannte er keinen der beiden Juniorpartner – oder Seniorpartner? – des Unternehmens. Er war hier, weil er hier war.

Der Fahrstuhl also, der dahinglitzernd in die Höhe schoss, gab den Blick auf die Welt frei, zumindest eine entfernte Illusion, die 10 Zentimeter kugelsicheres Glas durchdrang und ihre eigene Interpretation erlaubte. Realität war das, was real schien.

Nach einer gefühlten Augenblicklichkeit entschleunigte der Boden über ihm und gab seine Existenz der Frau preis, die sich mit »Hallo« gemeldet haben mochte, denn sie saß auf einem Bürodrehstuhl und über ihrem Kopf, dessen Größe minimal hinter der fliegenaugenhaften Brille verschwand, rotierten Worte, die Mozera und oder Hocks und mocks und HozerA sein konnten. Hier oben entfloh die Kausalität seiner Existenz, die Verantwortlichkeit für Taten oder Gedanken.

»alloH?«

Sie verließ ihn und wanderte zu ihrem Bürodrehstuhl zurück, während sie vorsichtig mit einer Stimme hörte, die seinen Ohren Worte gab, die er nicht sagen konnte.Eine Tür wurde geschlossen, seine Füße waren gewaltig und nicht mehr Teil seines Kopfs.

Die Ebenen rollten vorbei, Tische wurden zum Stühlen und jemand lächelte bitter. Dann hob er die Wirklichkeit auf und setzte sie vor sich. Ein Gesicht wurde über ihm gebeugt und er erlaubte sich einen Druck auf die Stirn.

»Nun sprich, Hans 22512 Punkt 3423. Nun sprich und erkläre uns die Welt dieser Wesen, die man Menschen nennt.«

Hans, dessen Wesen sich in seinen Schuhsohlen befand, die tief in den Teppichen dieses Gebäudes hingen, ließ einen Schwall von Wortfetzen über die Wipfel der Welt rollen, bis die Speicherkarte leer war. Dann schmolz sein Mund.

Hans trat hinaus in die Welt, öffnete die Augen ein Dutzend Mal und machte sich daran, etwas zu tun, was man ihm aufgetragen hatte – nur leider war er sich nicht sicher was. Das einzige, das ihm blieb, war der Anker, der ihn über kurz oder lang wieder an dieses Gebäude führen würde, ein Schicksal vielleicht, wenn man daran glaubte.

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