La ‘nrete
Von allen Dingen, die mir widerfahren sind, sind die wenigen Augenblicke, in denen ich innehalten und die ausatmen konnte, die einzigen Erfahrungen, die wirklich etwas bedeuten. Jeder – so glaube ich – der sein Leben auf Basis zweiter Hand gegründet hat, auf Bücher und Filme, auf Serien und dem Murmeln von Hintergrundinformationen, auf Gerüchte und Verbindungen zwischen Personen und Dingen, dieser »jeder« wird begreifen, dass wir nur die Summe aller einsamen Gedanken sind, die sich dann einschleichen, wenn das Feuer aus fremden Eindrücken erlischt.
Nichts geschieht, ohne dass es einen Plan gibt, den jemand anderes schreibt. Ersetzen wir »jemand« mit »etwas«, mit einer Macht, einer Existenz, die größer erscheint als sie ist, als sie es sein kann. Nichts kann existieren, ohne dass diese ferne Macht uns offenbart wird, in dem, was wir sind. Wir sind was wir erleben. Das heißt, das Erleben ist die Macht, die uns beugt und aufrichtet.
Was das alles zu tun hat mit dem Zielfernrohr, das aus der Waffe in den Himmel ragt, das sich vor meinem linken Auge in das vorgezogene Ferne-Seins verwandelt, ist nur die Philosophie der Verantwortung über die Dinge, denen wir uns selbst aussetzen. Vielleicht liegt auch nur der Finger eine haarbreit über dem Abzug und vibriert leicht genug, um einem Schmetterling, der sich gnädigerweise genähert hat, einen Landeplatz zu bieten.
Der Ton, der über die Straße dringt, reicht vom Grummeln der Wagen, deren Räder sich in den sandigen Untergrund bohren, bis zu den dumpfen Schreien der Sklaven, doch ich verdränge das, denn sie schreien nicht, sie schreiten voran unter dem Knirschen der Zähne jener, die sich auf eben jenen Wägen befinden – und auf Pferden. Dampf steigt aus Nüstern auf, schwebt hinaus in die greifbare Drohung eines herannahenden Sturms. Die Luft schmeckt bitter, erinnert an Schwefel und Eis, an Wahrheit und Zeit.
Was sind Worte, wenn ihre Buchstaben, die Essenzen von Lauten, sich nicht in das fügen, was sie beweisen sollen? Was sind Gedanken, wenn sie sich nicht ausdrücken lassen – was sind Gefühle, die nicht zu präzisieren sind, wie die Wolken, die sich am Horizont zusammenballen?
Er liegt schon viel zu lang hier, um den Beginn zu erfassen, der diese Situation erzeugt hat. Was ist die Gegenwart, wenn nicht die Summe aller Vergangenheiten aller Lebensformen, aller physikalischen Gesetze, die mit einem Punkt im eigenen toten Verstand begonnen haben? Existiert das Universum, weil es vorher nicht existiert hat? Existieren Schmerzen, wenn sie nicht bewusst sind? Augen erblinden. Beine brechen. Was ausgeatmet werden will – muss einen Atemzug überstanden haben.
Vielleicht sollte er abdrücken. Vielleicht auch nicht. Das Universum ist zu groß, um einer Handlung zu folgen, einer Entscheidung, die vor Milliarden von Leben, vor Billionen von Jahrtausenden, vor Anbeginn der Raumzeiten, getroffen wurde, von etwas, das in keinem Zusammenhang mit der Wirklichkeit besteht. Wer malt die Laute in den Schnee, die Schmerzen in die Gesichter der Wesen, die über den Boden kriechen, geschlagen, um einem Ziel näherzukommen, das eh nur dem Tod untertan ist, dem Tod und der Zeit.
Der Schmetterling ist fort, der Finger erstarrt. Zeit ist der Unterschied zwischen Anfang und Ende – und trotzdem wartet er, das Wesen, dem eine Identität gegeben wurde, wartet auf ein Zeichen, aufzuwachen. Und wenn es länger dauert als alle Leben, alle Existenzen, alle Zeiten, erst dann wird er sich erlauben, die eigene Unendlichkeit zu begreifen.