Dämon – Kapitel 12 – Linda

Dämon – Kapitel 12 – Linda

Es ist Dienstag, es ist 08:12 Uhr und die Welt dreht sich noch immer ein bisschen. Lindas Mund erinnert an eine Wüste nach einem Atomkrieg, Reste zusammengeschmolzener Autokorsos hängen in seinen Zähnen, der faulige Geruch von Leichen, die von Menschenfressern weggezerrt wurden, hängt noch in ihrem Atem. Sie dreht sich um, ihr Rücken bringt sie um. Eine präzise Ansage in dieser Restschlafzeit, die sie vollends aufweckt, nicht die Uhrzeit, die schon zu weit fortgeschritten ist, um das tägliches Ritual zu unterstützen. Sie bäumt sich auf. Ihre Nerven flimmern, als sie sich ins Bad schiebt. Ein Hauch von Vormittagssonne sucht seinen Weg durch das Altbaufenster. Der Wasserkocher ersetzt die Kaffeemaschine, blubbert im Hintergrund, während Linda aus ihre Pflichten erfüllt und sich auf den Sessel wirft. „Kurz“ sagt sie und ihre Stimme hört sich an, als habe sie ein Echo. Gestern Abend hat sie es irgendwie nach Hause geschafft und wie sie nachvollziehen kann, ohne Splitter, Kratzer oder offene Wohnungstür. „Gut“ lobt sie sich selbst.

Sie verlässt die Wohnung 20 Minuten später, die Luft trifft sie, wirft sie zurück. „Könnte 20° wärmer sein.“ sagt sie dem Hausmeister, der sie nicht hört, weil er gerade kehrt, dafür erwiedert er ihr beiläufiges Nicken. Die Straße hinunter, an der Tiefgarage vorbei, in der hoffentlich das Auto parkt, Baustelle. Polizei auf anderen Straßenseite, zusammengefegte Splitter und Tatortband vor dem Eingang ihres Ziels. „Wow“ sagt sie. „Ja, super, nicht wahr?“ fragt die Verkäuferin, deren Namen sind nach all den Jahren noch immer nicht kennt. „Ist ihr ein Auto reingebrettert?“ Die Verkäuferin schüttelt den Kopf. „Irrer hat sich letzte Nacht hier versteckt.“ Linda nickt und wandert durch die Regale. Sie braucht… Wasser. Ihre Finger wandern im Halbschlaf über die Flaschen, bleiben hängen. Ja, ein Zeichen. „44 Cent“ sagt die Verkäuferin und Linda zahlt mit Kleinstgeld, eine Handvoll wie immer in ihrer Jackentasche. „Bis bald.“ „Ja, bis bald.“

Das Auto in der Tiefgarage ist voller Rauch und Dreck, Erinnerungen an letzte Nacht und an viele Nächte zuvor. Sie muss zum Glück nicht dieses Auto benutzen, um den Job zu tun, aber ein wenig mehr Ordnung und mehr Zeit, sich darum zu kümmern, wäre angemessen. Doch sehen wir es so, wenn niemand fragt, ist alles eine Verschwendung von Ressourcen. Doch wozu das alles? Als sie das Autoradio anwirft, hängt sie in der Mitte eines Klarinettenkonzerts von Mozart, dessen Namen ihr erst eingefallen ist, weil sie diesen Film so mag mit diesem Mann, der Sachen transportiert, aber auf den Namen kommt sie nicht, er versteckt sich hinter dem Nebel in ihrem Kopf. Nie wieder Alkohol, das wird sie nicht sagen, aber vielleicht doch weniger? Sie schaltet das Radio aus. Ihr Handy zeigt keine neue Nachricht an, aber ihr Kalender ist auch wichtig. 13 Uhr, Eduard LaPriere. Oha. Nicht, dass sie den alten Knacker nicht ausstehen kann, aber er ist gruselig mit seinen dünnen Drahthaaren und der dicken Brille. Auch hat er immer einen Leibwächter dabei und das, obwohl er kein Promi ist. „Ich untersuche die Zusammenhänge“ hat er ihr einmal erklärt, vielleicht vor einem Jahr, eine endlose Reihe aus Saufen, Fahren und Schlafen. Sie ist nicht seine bevorzugte Fahrerin, denn er hat kein Interesse an Menschen, sondern nur an Maschinen und Linda vermutet, wie andere ihrer Kollegen, dass er an geheimen Projekten in den Tiefen unterhalb der Stadt arbeitet, an riesigen Maschinen aus Filmen wie „Metropolis“ oder „Hellboy“, wo Irre in Laborkitteln nach Gott suchen, nach Zusammenhängen halt, nach den Rädchen im Stoff, aus dem das Universum ist.

Berlin ist schon irre genug. Wenn man durch die Stadt fährt, kann man fast vergessen, dass es eine Welt gibt, die nicht total chaotisch ist, sondern Regeln und Muster aufweisst. Gerade von einem Radfahrer an einer Ampel geschnitten, holt sie die Wasserflasche, versucht sie aufzudrehen, aber die ist verdammt fest verschlossen, so dass es wieder grün wird und sie weiterfahren darf. Die Flasche fliegt auf den Beifahrersitz. Berlin um diese Zeit ist, bekanntwerweise, eine Arena für Leute, die mit dem Auto genauso schlecht umgehen wie mit ihrer Zukunft, da ist nur Hupen und Zerren, nur Gasgeben und ausrollen lassen, Zwischengas für alle, die frühe 2000er Actionfilme gesehen haben, dann gibts noch Leute, die wie Linda nur zur Arbeit fahren wollen und nen Kater haben, vermutlich um die 70% aller Menschen in diesem Brei aus Metall, in dem Linda nun sitzen darf… sitzen und warten und fluchen. Nach einer gefühlten Ewigkeit kommt sie an und betritt das graue Gebäude mit dem Schriftzug „Expressfahrten – Sie wollen, wir können“ als Werbeschrift. Zeitarbeitsfirma, würde man sagen, aber die E.F. nimmt sich das Recht heraus, jeden zu verklagen, der so was sagt oder schreibt, es sind „Exklusivfahrverträge“ mit „speziellen Fahrern“. Speziell wie schlecht bezahlt und oft genug Drogensüchtige. Man braucht diese Mittelchen, sagt sich Linda, als sie in die erste Halle tritt, als Kraftquelle, am Leben zu bleiben. Die Zeiten sind mörderisch und nicht selten hat man einen Bulk von Menschen am Zielort, die auf das Auto warten, auf den Fahrgast, um ihm Häme, Hass oder echte Dinge ins Gesicht zu pfeffern. Mallory blickt von ihrem Computer hoch, ihr Gesicht sieht wie immer perfekt aus, nach 10 Stunden Schlaf und guter Ernährung und einem 6 Stunden-Job, um nicht überlastet zu werden. „Linda“ sagt sie und ihre weißen Zähne hinterlassen einen Abdruck aus Licht in den Augen, „schön, dass du schon da bist. Das Meeting hat kaum angefangen.“ Fuck, das Meeting. Heute ist Dienstag. Meeting 08:30 Uhr. Sie rast die Treppe hinauf, reißt die Tür auf. Kein Mensch schaut hoch, nur Sandro hebt kurz seine Augenbrauen. Meeting am Dienstag. Ha. 5 Typen und ein Chef, der genauso müde aussieht wie alle anderen. „Linda“ murmelt er zwischen seinen zusammengewachsenen Zähnen hervor. Kevlar-Kevin, wie ihn seine Untergebenen nennen, weil er völlig panisch war, als er irgendeine Sängerin vor 20 Jahren fahren sollte, dass er sich eine schusssichere Weste nachbaute und somit ca. 10 kg stärker (oder fetter) aussah als sonst. Was nichts nützte, übrigens, denn die Sängerin hatte weder Lust noch Zeit, sich in Berlin einer Herde von jaulenden Fans auszusetzen, so dass der Aufwand völlig sinnlos war. Sagt man, andere behaupten, sie hat einfach einen anderen Fahrdienst gebucht, weil Kevin ihr damals schon irre vorgekommen war… und kein anderer Fahrer frei. Ein paar Monate darauf konnte er seine Sicherheit garantieren und wurde befördert, dorthin, wo er keinen Schaden mehr anrichten konnte. „Hallo, Chef.“ Lina setzt sich an den Tisch, wartet geduldig, dass er weiterredet. Kevin redet weiter, von Plänen und Leistungen, von Geld und von anderen tollen Dingen, als die Tür wieder aufspringt und Sandro hereinrutscht. Nun kann man von Sandro halten, was man will. Er ist ein guter Fahrer, dafür aber völlig irre. „Hey Linda“ murmelt er, „Sie waren wieder da, ich konnte nicht raus.“ Mit „sie“ meint er Kondensstreifen aus menschenvergiftenden Chemikalien, die die neue Weltordnung herbeiführen sollen, in der alle nicht-Echsenmenschen zu Klump zusammengeschmolzen werden, eine wabernde Masse aus Augen und Ohren, aus Zähnen und Nervenenden, kreischende Nervenenden. Linda nickt höflich wie immer, aber ohne Zuneigung, Sandro will jeden Menschen retten, den er mag, aber niemanden sonst, deshalb steht er auch nicht an der Kreuzung Bismarckstraße / Wilmersdorfer Straße mit einem riesigen Schild, das auf den Weltuntergang hinweist. „Wozu die Schafe retten“ hat er erst letzte Woche gesagt, als er ihr ein Youtube-Video zugesandt hatte mit dem Hinweis, dass sie eine der Auserwählten ist, die er zu schützen versucht, weil sie ein guter Mensch ist. Dass sie ständig trinkt, ist für ihn ein Zeichen, mit der „Realität an sich“ nicht zufrieden zu sein. Kevin ist nicht so begeistert, er klopft auf den Tisch, „hey.“ Sandro setzt sich hin, murmelt irgendwas im Hintergrund. Eine übliche Besprechung startet und am Ende hat man das Gefühl, nichts gehört zu haben. Als sie endlich wieder vor dem Haus stehen, beginnt Sandro wieder, mit halbgeschlossenen Augen wie wild in den Himmel zu starren. „Sie sind fort, für heute.“ Er seufzt dankbar, „und du hast heute wieder LaPriere?“ Wieder diese Frage, wieder wird er anfangen mit… es ist soweit. „Der Typ wird uns alle töten. Alle. Er ist ein Agent der Dinge aus dem Inneren, ein…“ und so weiter. Sandro hat den Alten gefressen, seit er, wie so oft, im Internet von ihm gelesen hat. Wenn man Sandro anschaut, ist er unauffällig, Brille, lichte Haare, ein guter Fahrer, ein ruhiger und besonnener Mensch… wenn er nicht dabei ist, zu versuchen, die Welt aus ihren Angeln zu heben. „Heute ists wichtiger als sonst, Sandro“, antwortet ihm Linda, „also lass mich in Ruhe.“ Sie gähnt und ihre Zunge ist bewachsen von Pelz mit dem Hauch von Rest-Bourbon. Verdammt, sie hätte mehr Wasser trinken sollen. „Holst ihn wieder ab?“ fragt er, mehr oder weniger unschuldig. „Wieso?“ fragt sie, „willste vorher dasein, ihn abholen, dann in sein geheimes Labor eindringen…“ Sandro lacht, „erwischt.“ „Das wird nichts. Der Mann hat einen Leibwächter, ein Klischee Mobster aus der guten alten Sowjetunion. Den kriegst du nicht gebacken. Du…“ sie sagt nicht Hänfling, aber Sandro versteht schon. Er nickt. „Was man will und tut, sind zwei unterschiedliche Dinge.“

Es ist Zeit. Sandro bleibt zurück, sein Fahrdienst beginnt erst in einer halben Stunde und ist nur für ein paar Prominente, die in Berlin so tun, als wären sie „echte Personen des Volkes aus den USA und wir lieben alle Berlin“, und Linda gibt diesem gerne eine Bezeichnung, will aber nicht von US-amerikanischen Heavy Metal Gruppen verklagt werden, wenn diese in Erfurt spielen und diese für die beste Stadt der Welt halten… aber diesen Spruch überall anbringen. Nein, Sandro ist schon gut dafür, dem sinnlosen Gehampel der hochhakigen Schuhe zu folgen und für ein paar Euro Bonus trägt er auch Kleidertüten und lässt sich von Fans beiseite stoßen, die zu „ihrem“ VIP wollen.

LaPriere lebt unbeweibt im Norden der Stadt und so wird der Verkehr ruhiger, je stärker die Kompassnadel zittert. Straßen werden kleiner und vernünftiger zu befahren und die Limusine ist unauffällig und wird nicht von Papparazzi verfolgt. Sie bleibt vor seinem Haus stehen und steigt aus. Sie möchte hier nicht wohnen. Die vornehme Blässe einer verfallenen Gegend ist nichts für sie, auch wenn es noch immer Leute gibt, die davon träumen, in spätromantischen Häusern zu leben, dick eingenummelt und mit Ferngläsern die Nachbarn zu beobachten, die es nicht einmal schaffen, ihre Gärten zu pflegen, oder besser, pflegen zu lassen: Hier arbeitet niemand, hier entspannt man sich nur.

Auf ihr Klingeln hin hört sie Schritte hinter der Tür, sie stoppen. Der Türspion beobachtet sie kurz, dann steht Evgeny vor ihr im Trainingsanzug und unter den Klamotten stecken nicht nur angespannte Muskeln, sondern auch eine Menge Verstand und Feuerkraft. „Linda“ sagt er mit seinem dicken Akzent, „schön, dass du da bist. Der Professor möchte heute eine andere Route nehmen.“ Linda weiß, was das bedeutet: Ein Wissenschaftsgroupie, vermutlich um die 20-24 Jahre, eine der nicht gerade wenigen Physikstudentinnen, die nur wegen LaPrieres Büchern angefangen haben, zu studieren. LaPriere schreibt Liebesromane. Aber was soll man auch sonst tun, als hochbegabter „Nerd“? Jetzt ist er aber um die Ende 50 und trotz seines täglichen Trainings mit Evgeny erkennt man den Verfall in seinen Augen, langsam aber sicher. Linda wechselt ihre Gedanken, vermutlich ist der Groupie Ende 30. Linda findet den Russen besser. Er verträgt fast soviel wie sie, aber sie mag Wodka einfach nicht. „Der Professor kommt in 10 Minuten. Möchtest du eintreten?“

Die Heizung brüllt, das Wohnzimmer riecht nach Pumakäfig, eine typische Männerwohnung also. Im Hintergrund spielt ein Orchester die Wassermusik von Händel, was aber das einzige ist, das man von einem Professor erwartet. Weder sind Tische gepflastert mit Zeitungen, Zetteln und magischen Gleichungen darauf, noch noch hängen Urkunden an den Wänden. Wie hat LaPriere gesagt? „Ich lebe digital. Analog ist tot.“ Was er nicht sagen würde, wenn sein Computer ausfällt? Sie hat nicht gefragt, ab einem gewissen Gedankenaustausch merkt man den Unterschied zwischen ihm und ihr noch mehr.

Er hüpft die Treppe herunter, die Brille auf der Stirn, ein Lächeln auf den Lippen. „Linda“ Er wirkt immer erfreuter, sie zu sehen, als sie ihn. Sie akzeptiert die leichte Eifersucht nicht, die sie immer wieder übermannt, wenn er eine Groupienacht hinter sich hat. Der Groupie schleicht hinter ihm die Treppe herunter, Linda lächelt wissend. Es sind immer die Brillenträgerinnen mit ihren dicken Pullovern im Sommer, die sich hinter einer Wand aus Hässlichkeit verstecken, aber von denen Linda weiß, dass sie, wenn sie erst geil sind, zur Bestie werden und alles falsche ablegen. Aber dann, wenn die Morgendämmerung wieder durch die Fenster strömt, sich für ihr echtes Wesen schämen. Idiotinnen. „Wir müssen bei Penelope vorbeifahren. Heute nacht war ich Odysseus.“ Er grinst ohne Scham, aber das würde er nie tun, wenn er Linda nicht kennen würde. Er besteht immer auf sie, weil sie keine Lusche ist, wie er ihrem Chef gesagt hat, sogar persönlich ins Gesicht und Kevin zuckt gerne zusammen, wenn sich die Machtverhältnisse im Raum ändern.

Nach vielleicht einer halben Stunde haben sie Penelope abgesetzt, vermutlich wird sie nun im Studentenwohnheim gefeiert oder gehasst und LaPriere hat nun einen weiteren Strich in seinem kleinen schwarzen Buch. „Linda“ hat er ihr gesagt, „ich weiß, dass die Welt enden wird und wir Menschen sind die Schöpfer der Vernichtung… aber wieso sollten wir nicht etwas Freude bringen und Spaß haben?“ Sein Geschwurbel hat sie nicht beeindruckt, aber sein Name und seine Reputation als Wissenschaftler sprechen für sich und wenn er seine Muttersprache auspackt, ölt das nicht wenigen Frauen das Tor ins Paradies. Wieder so ein Spruch LaPrieres, den Evgeny mit lautem Lachen quittiert und einen Satz auf russisch gesagt hatte, den Linda nicht versteht, einen unübersetzbaren, den er ihr nicht übersetzt hatte, weil sie eine gute Frau ist und keine Schlampe, so seine aufrichtigen Worte.

„Die Musik bitte.“ Es ist eine Kassette und sie ist, im Gegensatz zu LaPrieres restlicher Musik deutlich aktuell. Er steht auf Techno, wenn er sich auf die Arbeit vorbereitet, irgendwas mit „Trance ist notwendig, in den Ebenen zu arbeiten, die der Verstand nicht mehr auffangen kann.“ Er trinkt nicht, daher muss es wahr sein. Niemand glaubt Linda, wenn sie so einen Spruch rauswirft. Sandro hält das alles für Unvernunft. Nach kurzem Surren entlassen die Lautsprecher einen 100 bpm Flashdrive-Sound, der sich in des Professors Rückgrat pflanzt, alles seine Worte, er bezahlt sie dafür, das nicht zu hassen. „Berlin wird besser durch Techno“ sagt er. Linda nickt. Er hat alle Loveparaden verpasst, war ein Jahr zu spät, ein Jahr, dass er dem Untergrund schuldet. Seine Stirn schwitzt. Er konzentriert sich auf seine Arbeit, lässt alles davonfliegen, was ihn in dieser Welt hält, seine eigene Version einer Droge.

„Fuck“ Ein Schilderwald ragt in den Himmel über Berlin, an den Stangen hängen Demonstranten, die ihre Panik in die Welt schreiben. Das Labor liegt um die 10 Stockwerke unter den Füßen der Berliner, aber jeder Hinweis auf Wissenschaft, besonders physikalische Experimente gibt den Leuten das Gefühl eines tödlichen Unfalls, der nur darauf wartet, sie zu verschlingen, ein Loch in das Universum zu reißen, damit fremde Kreaturen hindurchstampfen. Idioten. Sollten weniger trinken. Evgeny steigt aus, wie immer, um die ersten Schreie und geworfenen Spuckefetzen abzuwehren, dann folgt LaPriere mit einem „Bis heute abend, Kleene.“ Er lernt berlinerisch, erzwungen, aber nett.

Als sie beginnen, Steine zu werfen, sind die beiden Männer bereits im Gebäude verschwunden, dessen Schatten nun einer Sonnenuhr gleicht, die in Richtung Weltuntergang zeigt. Linda zeigt den Leuten hinter der verspiegelten Scheibe den Mittelfinger und rollt davon. Ein paar Klumpen Dreck treffen die Heckscheibe. Fuck. Sie möchte zurückfahren und die Reifen in den Gesichtern der Werfer durchdrehen lassen, ja, das hätte Stil. Die nächste Tanke muss herhalten. Waschstraße? Und dann ist da der Kopfschmerz, der sie wie ein ungebetener Besucher immer wieder belästigt, Worte voller Qualen flüstert. „Tu es, tue es. Wasch das Auto.“ Ja ja, sie weiß. „Nicht diese hier, die nächste.“ Ihr Körper erinnert an einen fremden, trotzdem hält sie erst ein paar Minuten später. Sie muss warten, bis jemand Platz gemacht hat. Die Brocken sind schwerer zu entfernen, als die Scheibe nur abzuspritzen, sie strengt sich an, ihr Nacken brennt, ihre Finger friemeln an den Resten, die sich wie lebende Wesen in den Spalten des Kofferraums verhakt haben.

Was ist das? Mit nassen Händen zerrt sie das Handy aus der Tasche. Es klingelt noch immer, ein paar Augenblicke, dann verstummt es. „3 verpasste Anrufe.“ Mist. Sie ruft zurück, hört das Jaulen am anderen Ende der Leitung und beisst sich auf die Lippe. LaPrieres verdammter Umweg hat den Plan völlig aus dem Ruder laufen lassen. Sie hat 4 Fahrten heute und 1 erledigt. Der Klient wartet schon. Der Schlauch lässt noch ein paar Schwall Wasser laufen, während sie schon mit kreischenden Reifen davonrast. Sie wollte Kaffee, um sich zu putschen, vielleicht ein bisschen zu erholen, einen klaren Kopf zu bekommen, aber das Schicksal sagt nö. Stattdessen greift ihre Hand nach der Wasserflasche, steckt diese zwischen ihre Oberschenkel und dreht sie auf, viel zu langsam, so dass die Ampel keine Chance mehr hat, auf Rot stehenzubleiben und Linda wieder losfahren muss, bevor die Leute beginnen, noch mehr zu hupen, als sie es bereits tun. Endlich, beim Gasgeben, hat sie den Dreh raus. Der erste Schluck ist tödlich. Die Hölle brennt in ihrer Kehle, ihr Mund fühlt sich an wie das Innere eines Vulkans, so muss sich Pompeij gefühlt haben. Sie versucht zu husten, aber zieht noch mehr von diesem Feuer in ihren Schlund, in ihre Luftröhre und da ist etwas Fremdes, ein Objekt, ein Stein, der dem Wasserfall folgt. Unkontrolliert rast Lindas Fuß auf das Gaspedal und während ihre Hände versuchen, zu lenken, bevor der Abgrund sie völlig übermannt, sieht sie ein paar Gesichter vor ihrer Scheibe auftauchen und eines davon ist ihr Spiegelbild, das sich in tausend winzige Splitter auflöst, als sie den nächsten Ampelpfosten rammt.

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