Valentinstag

Valentinstag

Kaum hatte er sich auf die Parkbank gesetzt, sah er sie sich ihm nähern. Nervös zerrte er an dem Kissen, welches er seit einem Jahr nutzen musste, um die Schmerzen in seiner Hüfte zu mildern. Er packte seinen Stock und stemmte sich mühseelig hoch. Die Dämmerung liess orangenes Licht über die Menschen auf der Promenade fließen und verwandelte das Meer in flüssiges Gold.

Mochte es auch an diesem zauberhaften Licht liegen, sie sah bezaubernd aus. Ihre Augen waren noch immer das Erste, was ihm an ihr auffiel. Ein Funkeln hatte stets in ihnen gelegen, seit sie sich kannten. Auch ihre Bewegungen waren noch immer die des jungen Mädchens aus dem Projekt, das sie gemeinsam betreut hatten.

Wortlos standen sie sich gegenüber. Für diesen Augenblick fielen von ihm alle Schmerzen, all die Trauer über die verschwendete Lebenszeit ab.

Dann umarmten sie sich und in jeder Faser seines Körpers spürte er die Sehnsucht, die er nach dieser Frau hatte, jeden einzelnen Augenblick seit damals.

Ihr Blick fiel auf den Korb. Sie grinste und strich mit ihren filigranen Fingern über die karierte Decke.

“Bitte”, sagte er und seine Stimme war heiser vor Aufregung, “für unser Treffen. Nur das Beste.”

Ihre Augen glitzerten. “Champagner, du weisst doch, dass ich nichts trinken darf. Und Eier Benedikt für meinen furchtbar hohen Cholesterinspiegel und oooh, Ananas-Parfait, das ich nicht mehr vertrage. Du hast an alles gedacht.”

Er nickte. “Du weisst, dass ich diesen Abend bereits seit Jahren vorbereite.” Sie grinste anzüglich, setzte sich hin und nahm einen der Porzellanteller. Er öffnete die Flasche und liess den Korken ins Meer segeln. Sie kostete bereits den Hauptgang. Er füllte beide Gläser und gab ihr eines davon. Sie betrachtete das Sprudeln aufmerksam. “Du Schwerenöter hast mir wieder einmal viel mehr ins Glas geschüttet als dir selbst”, sagte sie und er ihm schoss das Blut ins Gesicht. “Meiner Theorie nach bleiben wir immer die selben, ganz gleich, wie sehr uns Erfahrungen zu prägen versuchen.” Sie nickte. “Immer noch der Philosoph.”

“Wie geht es dir?” frage er. Sie sprach mit vollem Mund. Er fühlte sich wie damals, jung und voller Hoffnung. “Mein Mann ist tot. Er ist vor 2 Jahren gestorben, wie du weisst. Hast es in der Presse vermutlich auch gelesen. Autounfall, mit seiner Sekretärin. Beide nicht angeschnallt und nur halb angekleidet.”

Er schüttelte den Kopf. “Ich weiss von nichts. Ich musste doch unser Treffen vorbereiten.” Sie sah ihn mit großen Augen an. “Ja? Das macht mir Gedanken.” Er lachte kurz auf und lächelte sie danach an. “Unser Pakt.” Sie nickte. “Ich weiss. Deshalb sind wir heute da. Im Herzen war ich immer ganz dein, ganz gleich, was man von dir sagte, als du verschwunden bist. Und dann bist du vor einem halben Jahr wieder aufgetaucht, hast dich bei mir gemeldet.”

“Die Agentur, für die ich gearbeitet habe, hat mich entlassen. Ehrenhaft. Sie wussten, dass ich mir durch meine Arbeit eine dieser tödlichen Krankheiten zugezogen habe.” Sie nickte. “Damals, das Projekt, war also nur der Anfang?” Er sah ihr in die Augen. “Ja, sie haben Kontrolle ausüben wollen, Ängste im Menschen wecken wollen, ein starkes “Wir gegen sie”. Doch nun…”

“Nun sind wir alt und krank, vom Tod gezeichnet und dennoch…” sagte sie und ihre Augen füllten sich mit Tränen. Tropfen flossen über ihre Wange. Schluchzend nahm sie das Taschentuch, dass er ihr anbot.

Sie schmiegte sich an ihn. “Weisst du noch?” fragte sie. Er nickte. “Wir wollten die Welt in Flammen setzen, weil sie uns hassten, weil sie uns verachteten, weil sie…” “Ja”, sagte sie leise in die aufkommende Nacht. Er griff in den Korb und holte ein Handy heraus. “Ein Geschenk. Mein Geschenk, an dem ich so lang gearbeitet habe, aber du warst es, bist es wert, wirst es ewig sein.” “Oh”, sagte sie und atmete laut ein “es ist schön”. “Die Nummer lautet “338379375” oder für dich einfach “Feuerwerk” meinte er und fühlte, wie sich sein Rücken spannte, während sie die Buchstaben eingab. “Ich liebe dich”, sagte sie leise und wählte.

Die gewählte Nummer wurde durch eine nah am Strand aufgestellte Antenne eines Mobilfunk-Anbieters aufgefangen und mittels einer sabotierten Weiterleitungstabelle zugeordnet. Es klingelte in einem unbewohnten Haus. Klickend schaltete sich das Modem ein und wählte mehrere streng geheime Rufnummern, die von Mainframes verschiedener Stützpunkte überwacht wurden.

Schreiend liefen Männer in Uniformen neben Doktoren in weissen Kitteln, suchten eine Fluchtmöglichkeit. Wissenschaftler, denen die automatischen Verriegelungen den Versuch, zu entkommen, sofort zunichte machten, pochten panisch an die Türen. Ein Brüllen lief durch die unterirdischen Komplexe, als die Triebwerke zum Leben erwachten, doch die Tore über den Silos öffneten sich nicht. Sie hatten keinen entsprechenden Befehl aus dem Computer erhalten.

Leise klirrend schlugen die Sektglüser aneinander, während im Hintergrund, dort, hinter der spielnden Oberfläche des Wassers die Dämmerung erneut zum Leben erwachte und rotschwarze Flammenpilze aus dem Boden schossen. Während der Sturm das Ufer erreichtete, Wasser und Gischt mit sich brachte, hielten sie sich fest, schauten sich tief in die Augen, und sie sahen nur Glück, Erfüllung im Gesicht des anderen. Und als die Wand, die geradewegs aus der Hölle zu kommen schien, sie endlich erreichte, küssten sie sich.

Einen schönen Valentinstag.

(C) 14.02.2011 Emanuel Mayer

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