Seine Majestät ist unzufrieden

Seine Majestät ist unzufrieden

 

»Erzähle es mir, erzähl mir vom Land.«

Er richtet sich auf und blickt aus dem Fenster. Die Nacht zeigt ihre schönste Seite, Sterne, Juwelen gleich, bedecken das Himmelszelt; der Wind treibt Wolkenschafe zu einer fernen Herde zusammen.

»Oh König«, beginnt Rorak der Weise, »Die Welt ist ein Dorf und ihr seid die Sonne, die über allem strahlt. Nun höret, eure Majestät.

Die Ähren hängen tief herab, schwer von ihren Körnern. Die Bäume reichen ihre Früchte jenen, die ihre Hände ausstrecken, fast schon fallen sie ihnen in die Hände. Die Herden der Rinder, der Schafe, sie wachsen und würden, wenn eure Güte sie nicht uns Volk opfert, in weniger als einer Generation dieses Land einnehmen. Die Bienen ergötzen sich an den Gärten der Menschen, die voller Blumen sind, verzaubernd bunt. Sie bringen uns mehr Honig, als die Heiler es uns erlauben würden. Fett wird die Welt an eurem Segen.«

»Und die Häuser?«

Rorak runzelt die Stirn: »Welche meint ihr, Herr?«

König Elrak dreht sich um. Seine Augen fixieren den alten Mann, doch ein grimmiges Lächeln erleuchtet das majestätische Gesicht, so dass Rorak weiß, um was es geht.

»Die 14 Häuser sind durch euren Frieden gebunden. Sie streben nicht nach Macht, nach Land, sondern sie sehnen sich weiterhin nach eurer Güte, nach euren Gesetzen. Ihr Gold ist rein, ihre Herzen sind tapfer, ihre Söhne sind stark und Töchter schön und …«

»Ja ja«, unterbricht ihn seine Hoheit. Elrak gähnt. Seine Zähne blenden die Wache, deren Waffen nur Tand sind, denn jeder kennt die Geschichten, jeder lobpreist die Taten seiner Majestät.

»Ich habe die Armee nicht entlassen, weil ich weiß, dass sie keine andere Arbeit findet, Rorak. Ich habe die Familien geformt, wie ich es wollte. Ich lebe in den Herzen der Menschen … und dennoch -«

Er blickt aus dem Fenster, betrachtet die Lichter in den Straßen und Gassen der Stadt. Sie alle flüstern seinen Namen: »… und dennoch … «

»Eure Feinde sind besiegt worden. Ihr selbst habt die Kämpfe ausgefochten, ihre Stärken in Schwächen, ihre Wut in Sanftheit verwandelt. Täglich kommen Karawanen und Wagen, aus allen Ländern dieser Welt, sie alle dienen euch und sie dienen euch gerne.«

»Da ist keiner, der mich bezwingen will?«

»Nein«, antwortet Rorak, »keiner. Eure Stärke ist die eines Helden aus den Sagen. Eure Macht ist eure Weisheit und euer Ruhm wird nie vergehen. Ihr habt die Arenen geschlossen. Ihr habt die Gerechtigkeit der Strafe vorgezogen. Euer Licht erleuchtet die Herzen aller …«

»Aller? Wirklich aller?«

Rorak schluckt. »Es gibt wenige, die wie ein Hauch sind in einem Sturm. Doch sie sind schwach … sie nutzen die Schrift, um euch zu … beleidigen. Wir finden sie und bringen sie fort. Die Ferne ist die Heimat der Fremden und wer euch verachtet, der ist für uns ein Fremder.«

»Und wenn sie nicht gehen?«, fragt König Elrak, dessen Hand über seinen noch immer kohlrabenschwarzen Bart fährt, »Was ist, wenn sie Einfluss gewinnen?«

»Das wird niemals geschehen … Euer Reich ist perfekt, eure Existenz ist ein Geschenk, eure -«

»Ich langweile mich«, murmelt Elrak und lehnt sich an eine Säule, geschmückt mit den Flügeln tausender Smaragdfalter, die einem der Könige gehört haben, die keine Geschichtsschreibung mehr kennt, »fast 800 Jahre auf dieser Welt, regiere sie, plane sie, und alles ist perfekt… fast alles.« Er löst sich von den Steinen, streckt sich. In der Ferne erbeben die Herzen der Menschen, die ihn beobachten, ihn immer als Idol, als Götzen sehen, als einen, der vom Himmel gefallen ist, als einen, der sie gerettet hat.

»Fast alles ist perfekt, oh Gebieter«, Rorak verneigt sich, seine Knie beben, »Wir werden dafür sorgen, dass …«

»So langweilig«, des Königs Stimme zittert, seine Faust knirscht.

Er wandert zu seinem Tisch, drückt einen versteckten Knopf. Eine Schublade öffnet sich, fast unhörbar. Seine Majestät König Elrak pustet den Staub von einem Buch, hustet.

»Rorak«, er hebt seinen Blick und lächelt, doch diesmal schwimmt sein Gesicht in einem Meer aus Freude, aus echter Begeisterung, als wäre er aus einem Traum erwacht, »Rorak, hast du schon einmal den Begriff ›Revolution‹ gehört?«

(ein Text, den ich am 28.07.16 versehentlich in meinem alten Blog veröffentlicht hatte… Kopf->Wand)

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