Berlin: Der Rufer im Licht

Berlin: Der Rufer im Licht

Berlin ist großartig. Es vibriert vor Leben, die Häuserzeilen wechseln sporadisch zwischen Kunst und Kommerz, zwischen Reichtum und Bettlern, zwischen Kiez und Weltstadt. Ein Puzzle aus Menschenleben, zusammengedrängt in der U-Bahn sitzend, die Hände ausstreckend auf dem Alexanderplatz.

Nun war ich mir dessen bewusst, als ich heute Morgen das Haus verließ. Die Welt schwamm in einem Meer aus Sonnenlicht, doch mein erster Schritt in den grellgelbe Wand stoppte abrupt.

In der Ferne polterte eine Stimme. Ich drehte mich in diese Richtung, sowohl aus neugieriger Erwartung und weil dort die U-Bahn-Station ist. Vorsichtig ging ich einige Schritte. Die fremde Person hatte ihr Aufbegehren gestoppt. Ich freute mich darüber, grundsätzlich bin ich mehr der Mensch der Ruhe, die man in Berlin zu oft suchen muss und entsprechend selten findet. Unabhängig davon behält sich der Eine oder Andere unserer Mitbürger vor, manchmal auch unsichtbare Kommunikationspartner zu haben.

Man wird also gelassener.

Zumindest hält man sich dafür.

Unaufmerksam wanderte ich zur U-Bahn-Station, dachte einen kurzen Augenblick an den Brief, der noch eingeworfen werden musste, als schon wieder geschrien wurde. Diesmal erkannte ich die Worte: “Ich mach doch schon schneller! Ich kann nicht noch schneller!”

Ich schaute auf. An der Oper kam mir ein Mann entgegen, in mitten des klassisch  undefinierten Alters, sprich: zwischen 30 und 60 Jahre alt. Das Gesicht hat er in einen alten Schal gewickelt, welches ihn nicht davon abhält, seine Flüche in die Leere vor ihn zu schleudern. Übrigens läuft hinter ihm tatsächlich absolut niemand. Die Straße ist über dutzende Meter menschenleer.

Mein Blick wendet sich ab. Wieder dröhnen meine Ohren von seinem Ruf nach mehr Freiheit. Ich lächele und tippe mir an den Kopf, bis ich genau hinschaue. Tatsächlich führt der Mann nicht nur eine lose Schnur in der Hand, sondern daran hängend eine braungraue Maus. Oder eine Ratte, vermutlich aber ein Handtaschenhund, genauer gesagt ein Hello-Kitty-Geldbörsen-Hund. Dieser wuselt zwischen den Schritten seines Stroh-Herrchens hin und her, er traut sich nicht, das Tier hochzuheben und versucht über seine Schreie, sich bei dem Hund zu entschuldigen. Dem Hund ist das leidlich egal, verbeisst sich spontan in ein Hosenbein und lässt nicht los. Ich kichere und steige die Treppe zur Ubahn hinunter, begleitet von den verzweifelten Schreien des bedrängten Mannes.

Doch…

Wenn ich es mir recht überlege… vielleicht war da gar kein Hund. Vielleicht war da nur ein Mann, der laut geschrien hat, der ein Seil hinter sich herschleifte und der mir damit einen Floh in den Kopf setzte. Einen Floh an einer Leine.

© Emanuel Mayer 10.01.2011

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