Augenblick – Der Efeu
Wenn ich von der Arbeit komme, also meistens in den Dämmerungs- oder Nachtstunden, starre ich manchmal sekundenlang in einen Friedhof hinein, der auf dem Weg liegt. In der Dämmerung kann man die dunklen Kreuze erkennen, hinter dem Hauch der Finsternis die unbeschienenen Platten sehen, dort, wo nichts mehr ist. Wo sie ruhen.
Einige Schritte weiter und ich erkenne ein Haus. Es ist komplett mit jenem dunkelgrünen Efeu behangen, der mich an das Haus meiner Großeltern erinnert, jedoch hängt es nicht nur an einer Seite herunter, sondern die sichtbaren Wände sind mit dieser seltsam lebendigen Farbe bedeckt.
Tagsüber leuchtet das Grün mir den Weg, doch in der Nacht, wenn die rot-grünen Ampeln Ihrer Pflicht nachgehen und die wenigen Menschen über die Straßen leuchten, dann saugen die schwarz-grünen Blätter das Licht aus der Welt und ich finde mich oft genug wieder, wie ich in diese Wand aus Blattwerk starre und mich frage, was Sie zu erzählen hätten, wenn sie reden könnten. Denn wenn sie beginnen, zu sprechen und zu rufen, dort, in meinen tiefsten Träumen, in denen die Wurzeln des Efeus nicht mehr im bröckelnden Mauerwerk des alten Friedhofshauses hängen, sondern sich einen Weg in meine Seele suchen, dann ist es zu spät.
Doch nun schüttele ich die melancholischen Gedanken fort, grüße den Radfahrer, der trotz meiner Grünphase meine Füße zu treffen versucht, und gehe zur Bahn. Und ich drehe mich nicht um, auch nicht, als ich aus dem Rauschen des Wesens hinter mir ganz klar meinen Namen höre.