Dämon – Kapitel 7 – Robert
„idiot“ hört er sich sagen, dann sind seine Füße die Treppe hinuntergerast, raus aus der Wohnung der Alten und wieder auf den Straßen der Hauptstadt. Niemand ist hinter ihm, als er sich umdreht, als sein Kopf eine 180° Rotation hinlegt, die aus dem Exorzisten stammt, kein Genick knackt, nur sein Hirn schaukelt weiter im Dreivierteltakt einer fernen Melodie. Berlin lacht. Er lacht. Fenster nicken ihm zu. „Idiot“ ein Echo schiebt sich zwischen seine Zähne, sein Kehlkopf spielt Ukulele, „Das wäre Ihr Preis gewesen.“ Er hält das Geldbündel, die Scheine verschmelzen mit ihm, je mehr er es anschaut, daher hinein in die Hosentasche, die ein Mund ist, denn wenn seine Eier explodieren, sind seine Hände weg, haha. Was für ein Witz.
„Hast du je daran gedacht, dass Vampire auch in Frieden leben wollen und dass sie, um das zu tun, immer mal wieder ein paar von ihnen opfern lassen? Ich meine, der Vampir ist ja nun eine höhere Stufe der Evolution laut einigen Aussagen… aber wenn er die richtige Religion trifft, die ihm erlaubt, sich einem mehr oder weniger gnädigen Gott unterzuordnen…“ Zwei Flaggen wandern an ihm vorbei, bewegte Zipfel als Extremitäten, Kordeln vibrieren, erzeugen Gesichter, die nach nur Augenblicken wieder verschwinden. Was ist nur los? Roberts Magen summt, versucht, den Tee zu verarbeiten, den Kaffee, ja, Kaffee wars. Das Geld knistert. Die Alte, was hat sie… nein, sie kann nicht. Sie war nett und alt und dumm, wie sie alle so sind, bis sie jemand die Treppe runterschubst. Haha, das hat sich jetzt auf Pupsen gereimt. Runterpupst. „Hahahahaha“ Seine Worte locken eine Frau an, ja, eine echte Frau, kein Wimpel, kein Auto mit Augen, eine Frau. Sie wischt sich den Schweiß von der echten Haut, starrt ihn an. Er müsste, nein, er würde sehr gerne mit Laufen anfangen, wenn sie vor ihm rennen würde oder neben ihm. Er kennt sie. Er kennt sie, verdammt nochmal. „Julia?“ fragt er. Er hat immer Frauen mit Julia-Namen gemocht, ein Julia-Magnet ist er, ja, verdammt. „Hahahaha“. Sie ist nicht gealtert. „Du rennst?“ fragt er. „Ich schwitze hier, ich triefe wie Sau. Ja, ich laufe. Robert.“ Er möchte sein Bild von ihr an eine Leinwand werfen, die hoch über Berlin schwebt, auf dass alle, die nicht an ihn glauben, sie finden und auch anbeten. Was hälst du von christlichen Vampiren? Sie nickt ihm zu, ihre Arme flattern im beginnenden Wintersturm. Eis fällt von ihrer Stirn, nimmt ihre Nase mit. „Gute Idee, aber wie willst du die religiösen Wahrzeichen einer jeglichen Religion einbauen, wenn Vampire sich des Bösen verschrieben haben und die Symbole doch eine Verbindung zum allgemein Guten aufbauen wollen?“ „Böse Vampire, die sich nicht an Regeln halten, eine Revolution ausüben, die den rituellen Opfern alle paar Monate widerstreben, die Schwarz tragen… die… achso. Die haben keine Symbole. Das sind Vampire, die keines davon…“ Er möchte sie küssen, seine Zunge durch ihren Mund schieben, bis sie durch ihre Nase wieder rauskommt, wie in diesem Piratenfilm. Die Szene in Dauerloop. Er schmeckt den Sand ihrer Zähne auf seinen Lippen. Hmm, Sardine. Berlin bebt im Herzschlag seiner wiedererstarkten Libido. Was für Drogen. Das Geld verbeisst sich in seiner Hand. Er hätte alles nehmen sollen. Aber die Angst, diese panische und völlkommen seriöse Angst. Er kratzt sich am Hals. Benzin tritt aus seiner Schlagader aus, aus der einen, die mit einem Schild markiert ist: Super Bleifrei. „1,33 Euro der Liter“ seine Hände lachen.
Er packt sich selbst, dreht seinen Verstand in die Position, die eine logische Abfolge von Aktion und Reaktion erlaubt. Langsam aber sicher werden seine Gedanken klarer, wird sein Blick genauer. An den Wänden fließen Namen alter Komponisten entlang, Figuren aus Linien und Punkten warten darauf, betrachtet zu werden. Er wandert weiter, kann nicht stehenbleiben. Am Ende des Gangs ein Zeitungsladen, zwei Flüsse spalten sich ab, rollen in die Tiefe. Robert steht in der Mitte des Raums. Sein Blick rast hin und her, rechts links rechts links. Was will er hier? Das Geld knistert wieder, whispert ihm zu. Die Alte hat gezaubert, ist eine Hexe. Peter hat nicht zuviel versprochen, Geld war da. Geld ist noch immer da. Aber aus einem Grund, den er nicht beschreiben kann, hat er nur das genommen, was sie ihm gegeben hat. Eine Dämonin in Altfrauenkleidung. Und jetzt stirbt er. Ja. Finger klettern über seine Wirbelsäule. Er stirbt. Er fühlt es, tief in sich drinnen. Die Maschinen, die seinen Körper am Leben halten, knirschen, füllen seine Ohren mit dem verzweifelten Quietschen einer sabotierten Fabrik.
Wohin soll denn die Reise gehen, singt er. Er weiß auch nicht, warum. Er wird lauter. Menschen gehen an ihm vorbei, versuchen, ihn zu ignorieren, er fühlt ihre Blicke für Sekundenbruchteile in seine Haut eindringen.
Heim. Wo ist es? Das Heim, das ihn auffängt, ihn schützt, ihm die Wände gibt, die ihm erlauben, sich an sie zu lehnen, die sich an ihn schmiegen, bis er ganz außer Atem ist? Wo ist es? Eine gelbe Bahn rollt heran, ist es die richtige? „Go West“ summt er, eine Melodie aus Kindertagen. Sein Kopf berechnet, dass die Bahn auf linker Seite diesem Lied folgen muss. Die andere fährt einfach in Richtung Mitte und was will er dort? Er stolpert die Treppe hinunter, jeder Schritt ist eine Demütigung seiner kindlichen Erziehung, während Leute an ihm vorbeigehen, die Köpfe nach der gleichen Melodie schütteln, die da heißt: „Scheiß Drogensüchtige“. Er nimmt keine Drogen, niemals. Drogen sind für andere, für Peter und für andere. Peter. Wenn er den Wichser findet, wirft er ihn von der Goldelse. Ja. Das ist ein Plan. „Hey, ich hab was neues für dich…“ und dann BAM! Bwaaaaah, kreischen und BAM! BAM! „Gehts Ihne gut?“ fragt ein Schwabe. Was macht der im Westen? Hängen die nicht immer im Osten ab. „Nö, loooiiiiiift“ Roberts Schweiß erschafft einen glitzernden Regenbogen auf der Brille des Mannes. „Sind Sie ganz bei Trost? Sie können doch nicht…“ Robert ist schon vorbei, daher verhallt der Fluch des Langzeittouristen hinter seinem Rücken. Das Gift, das Gift muss raus aus ihm! Ein Teil von ihm versteht, was passiert, der andere sieht sich selbst in den Wogen eines grauen Meeres gefangen, unterbrochen von farbigen Inseln, hier und da ein Plakat, das herumtreibt, ihm die Träume für Opern und Volksmusikspektakel aufdrängt, ein Automat für Süssigkeiten, Gesichter, die beim Hinsehen schmelzen und dahinter immer wieder nur Wände, die das Meer einhüllen und Schienen, viele Schienen, die im Takt seines Pulses vibrieren. Sein Herz jault. Ein Brüllen erschüttert das Wasser und siehe, ein gelber Wurm teilt die grimmgen Fluten mit glühendem Blicke. Der edle Held weicht zurück, zerrt an seinem Schwerte, doch es steht nicht an seiner Seite, oh Duell, dessen Worte du gegessen hast, weiche den Boden auf, auf das das glühende Eisen seinen Weg hinaufbahned, hinauf in die eisige Freiheit der Gletscher, in denen der Sonnenlindwurm lieget. Nun stürme, junger Held, in Mäuler, die geöffnet werden, die unwürdige Feiglinge ausspeyen und sich an nahem Fleische gütlich tun! Hinein! Geeilt der Robert-Krieger ist, grelles Metall umgibt ihm, schwarze Ketten und gelbe Rohre und auf Plätzen unbelegt sitzen die Gefangenen in dieser endlosen Galeere und drücken ihre Häupter in gespenstige Lichter, als würden sie lesen, sich die Unendlichkeit mit dem Konsum kapitalistischen Unterhaltungsmaterials vertreiben. Steht auf Genossen und lasst uns diesen…
„U-Bahn Bismarckstraße. Ausstieg rechts.“ summt es durch den Kessel. Büsche stehen auf und schleichen sich nach draußen. Die Welt sieht grau aus, fern jeder Freude. Er fühlt, wie Trauer aufsteigt. Wieso ist das so? Wieso muss die Welt da draußen so eindeutig antihuman sein? Im Hintergrund ist Baulärm zu hören. Ist denn schon Mai? Seine Hände sind gebogenen Plastikstücke, in die Kinder Werkzeuge stecken können oder Waffen oder Spaghetti und was ist die Einzahl von Konfetti? Konfetto? Ein Lachen steigt auf. „Oma!“ brüllt er in die tagträumende Einsamkeit hinaus. Menschen beginnen, ihn zu umkreisen, einer fragt an, was denn los sei. Wow, hat er hat er sich wohl getraut, sein Berlin-Schutzschild runterzufahren! „Nüscht! Hört Robert zu und lernt von ihm, denn er ist… weise.“ Sie packen ihm mit ihren Oktopusgreifarmen, ihren fluppenden Saugrohren, reißen an ihm wie an einem Wattebausch, getragen vom Wind der Rechtschaffenheit. „Nein!“ brüllen die Stimmen in seinem Kopf in einem 4dimensionalen Ton, der sich quer in den Raum stellt wie ein Furz, in Sehnsucht geäußert. Noch mehr Hände halten ihn fest, zerren an ihm herum in den grauen Raum ohne Antwort. Er schaut sich um, verderbte Gesichter starren auf den Boden, möchten nicht hineingezogen werden in dieses soziale Feld der Alpträume. In der Ferne eine Sirene, ein Dutzend weitere folgen in einem Abstand von wenigen Nanosekunden, jede fein abgeschnitten von den anderen. Ein Hieb von hinten schickt ihn taumelnd nach draußen. Der rohe Feinputz der Wände empfängt sein hilfloses Gesicht, während seine Arme nach hinten gebogen werden, als wolle man sie zerbrechen. Seine Hände zappeln herum, zaubern Sprüche in die Staubflocken, natürlich völligst sinnlos. Leute rufen Sprüche, lachen, Telefone laden sein Gesicht in ihre Datenbanken und in die sozialen Netzwerke oder Dreckszeitungen!!! „Paparazzo!“ brüllt seine beste Mastroianni-Imitation, die keiner versteht. Er gurgelt, würgt, kotzt das Blut aus seiner zerplatzten Oberlippe auf den Fliesenboden, empfängt einen Faustschlag, der einem unbekannten Boss oder Kundem gegolten haben muss von einem halbglatzigen Helfer, dessen Hornbrille über der Nase hängt wie Stallone über einem Abgrund. „Spring… break“ Ein weiterer Hieb trifft, hey, dem Typen muss es mies gehen. „Allet klar, wir gehen gemeinsam unter, nur du und ich und ein Mann namens Mc Jametonow“. Hinter den Fenstern der verspiegelten Kabine, die auf den Gang ragt, ist niemand sichtbar, nur das Gesicht des fremden Mannes, der jeden Morgen im Badezimmer steht, blutig oder nicht, den irren Blick hat er drauf. „wo bleiben die Bulln“ fragt eine Frau im grünen Kleid, die alles tut, um ein paar schnelle Fotos zu schießen, stellt diesen Befehl nur, um von sich abzulenken. Irgendwo ist sicher jemand dabei, die Männer in weiß anzurufen mit ihren Autos mit den viereckigen Rädern, damit sie besser stapelbar sind. Die Wand schmilzt dahin, der Abdruck von Roberts Gesicht wellt sich über die samtene graue Oberfläche. „Was haben wir uns gedacht?“ fragt es und leckt sich das Blut von den Lippen, „was haben wir gedacht, als wir der Alten den Kaffee weggesoffen haben?“ „ich wollte Tee…“ flüstert der offiziell reale Robert. „Tee, Kaffee, Wasser. Was hattest du nur vor?“ „Geld holen? Geld… ja“ ist es da, knistert es noch oder liegt es schon auf dem Boden herum, geraubt von den Bettlern, die sich an seinem Elend aufgeilen? Wer sind die Leute? Was machen sie hier? Es wird immer großartiger. „Das Geld. Du hast es gestohlen.“ „Bullshit“ erklärt Robert, „ich habe es verdient. Er hat sich Zeug gekauft, das ich ihm finanziert habe. Ist das denn ungerecht?“ Es antwortet einfach nicht, starrt ihn nur an. Er starrt zurück. Mal sehn wer gewinnt. Währenddessen verläuft sich die Meute, kein Mensch hat mehr Zeit, alle wollen irgendeinen Flieger bekommen oder heimfahren oder sowas in der Art. Bald ist er allein. Naja, nicht wirklich, aber als die nächste Ubahn eintrifft, sind die meisten seiner Mitfahrer schon weg. Glaubt er. Vielleicht blendet sein Kopf sie nur aus und in Wirklichkeit stehen Dutzende um ihn herum, spielen mit ihrer Zukunft, wem sie welches Geld abknöpfen könnten und gerade ihm, Robert, ist es doch unglaublich wichtig, so un un unglaublich wichtig, „wischtisch!“ flüstert es, „oma-bedrohen wischtisch!“ dass er tanzen möchte, um die Leute davon abzulenken, sein Geld zu nehmen.
„Ist er das?“ „Jawohl. Er ist gewalttätig.“ Er wird hochgerissen, seine Arme brechen, aber nur fast und ihm starrt eine Taschenlampe in beide Augen. „Er ist ja völlig hinüber.“ Robert gluckst, Sabber rinnt eiskalt über seinen 3 Tage-Bart. „Hatte er was bei sich?“ fragt die erste Stimme wieder. „Ausweis oder so?“ „Ausweis, Brieftasche, Geld…“ „Nein…“ nach endloser Zeit ein angedeutetes Kopfschütteln. „Schuuuuld, Schuhuhuld!“ „Er redet völlig wirr.“ Ein anderer schaltet sich ein, groß und brutal und stark genug, ihn zu packen und über den Bahnsteig zu zerren, den Gang entlang und die Treppe hinauf. Eine ansehnliche Meute begrüßt die Möglichkeit, einer armen Seele zuzuschauen, wie sie in den Krankenwagen geworfen wird, wie ein Tier, das für ein paar Minuten dem Schlachter entkommen war, aber nun entgültig eingefangen wurde und dafür eine besonders spannende Behandlung bekommen würde. Satelliten schweben über den Nachmittagshimmel und senden nun seinen, also Roberts, ja, so heißt er vermutlich, hinaus in das Universum, so dass in wenigen hundert Jahren alle über ihn lachen. Alle Wesen der ganzen Galaxis und darüber hinaus, bis sie ihn wiederwecken aus Genmaterial, das er in der Ubahnstation hinterlassen hat, aus dem Blut seiner Unterlippe und er wird ein Gottkaiser werden, eine Mutantenkreatur aus alten Büchern, die er nie verstanden hat. „jaja, alles klar“ sagt der große Mann in weiß, der ihn an der Bahre fixiert, „alles wird gut.“ Es wird kalt an seinem Arm, so unglaublich kalt. Der große Mann zieht die Spritze aus seinem Fleisch. „Alles wird gut.“ Nichts wird gut, gar nichts. Die Finsternis ist ein Videorekorder, die seine Alpträume in schlechter Auflösung abspielt, immer und immer wieder, selbst den mit dem Schrankmonster aus seiner fernen Kindheit. Ja. „Alles wird gut“, sagt die Oma mit der Kaffeetasse und den Augen voller Finger oder sind das Finger voller Augen, „alles wird sehr sehr seeeeeeehr gut.“