Die Heimfahrt

Die Heimfahrt

Er wartete, wie zu oft zuvor, am glühendheißen Tor, das ins Gefängnis führte. Die Sonne brannte sich einen Weg durch die staubige Luft, ließ den Geruch von Müll aufsteigen, versuchte, ihn zu vertreiben. Es war erfolglos. Er hätte an einem anderen Ort sein müssen, weit entfernt von dieser Stätte des Hasses, doch man hatte ihn hergebeten, um seinen Bruder abzuholen.

Er wusste, dass er ihn verabscheute, folgte dem Drang, auszuspucken, verwandelte den Dreck auf seinem rechten Stiefel in Schlamm. Verdammt. Das Tor quietschte, wie so oft, in seiner Gegenwart, immer wieder sowohl Enttäuschung als auch Erleichterung. Er wollte nicht hier sein, doch… man hielte es ihm vor, wenn er sich um unwichtigere Dinge kümmern würde.

Wieder würgte er einen Schleimklumpen aus den Tiefen seiner Lunge hervor. Er sollte aufhören, zu rauchen, es würde ihm Krebs bescheren, Impotenz, was auch immer die Worte auf den Packungen versprachen. Zu schlecht, dass er keine Zigarette mehr hatte. Er betrachtete die Leere, zerknüllte die Packung, lauschte dem Rascheln der billigen Folie und kicherte.

“Du bist da” sagte die Stimme neben ihm. Er blickte nicht auf. “Michael…” Sein Gegenüber hüstelte. “Freust dich nicht, mich zu sehen…” Er nickte, abgelenkt von seinen eigenen Gedanken, wieso er das Tor überhört hatte. “War auch langsam Zeit. Komm.” Sie wanderten über den Parkplatz, Michael deutete auf den Wagen. “Immer noch derselbe..” “Wir verschwenden Zeit, Mike.” Mike nickte. “Ich weiss. Ich bin nur nervös. Ich weiss, was du willst. Rache. Hey, es…” Sein Gegenüber schüttelte den Kopf. “Du weißt, dass ich nicht rachsüchtig bin.” Er versuchte zu lächeln. “Ich will nur, dass du schnell wieder bei uns bist.”

“Wie gehts den anderen?” fragte Mike, doch er erhielt keine Antwort. “Ben?” fragt er. Ben blickte auf. “Sorry, die Wagentür ist noch immer… genauso mies wie damals.” Es knackte, dann stieg Ben ein, beugte sich zur Beifahrertür, drückte den Hebel. “Steig schon ein.” “Nervös?” fragte Mike. “Natürlich. Ich meine…” Der Wagen ähnelte einem Backofen, eine Mischung aus Motoröl und menschlicher Langeweile. “Wie lang bist du schon hier?” fragte er, während Ben seine Hände durch die viel zu kurzen Haare rieb. Nichtmal bei der Armee… aber das war viel zu lang her. “Sonnenaufgang.” Mike grinste abwesend “Alte Gewohnheiten…” “sind gute Gewohnheiten.” Ben seufzte. “Wir fahren dann mal los. Hast du alles?” Mike reckte die Finger von sich. “Alles dabei.” “Gut.”

Sie schwiegen. “Wie geht es ihm?” fragte Mike endlich, eine Frage, die Ben schon erwartet hatte. “Gut… ja…” “Hör zu, ich wollte das Geld nicht…” Ben schüttelte den Kopf. “Wie ich schon sagte… Hauptsache, du bist wieder bei uns.”

“Die anderen?”

“Die Familie… ist bei ihm.” Die Pause irritierte nur einen Augenblick, Mike lachte kurz auf. Ben blickte ihn an. “Ich habe euch vermisst, ich meine, im Knast… fehlt das. Man hat ja auch nichts von euch gehört.” Ben startete den Wagen. Der Motor schob das viel zu alte Getriebe in die richtige Richtung und der Rest des Autos folgte. “Störrisch wie ein alter Esel…” Mike starrte aus dem Fenster. Die Reifen rutschten vom Parkplatz auf den Asphalt der Landstraße, folgten den fast so schon träumerischen Bewegungen des Lenkrads, das Ben fest umklammert hielt, als hinge sein Leben davon ab.

“Das Geld…” fing Mike wieder an. “Ich… ich habe es gebraucht. Ich… musste einfach meiner Freundin helfen.” Ben blickte ihn aus dem Augenwinkel an. “Freundin… du weißt… das ist so eine Sache…” Mike fühlte die alte Wut in sich aufsteigen, atmete schwer, dann seufzte er. “Dann das Feuer… ich weiss auch nicht, was da passiert ist…” “Solche Dinge können passieren, wenn man trinkt, Mike.” “Ben…ich..”

“Ist gut. Ich wollte damit nicht anfangen. Wir wollen dich nur bei uns haben. Du bist wieder in der Familie. Alles wird gut.” “Aber das Geld werde ich nie zurückzahlen können. Das Feuer, Laura, ich habe alles verloren…” Du hast die Familie.”

“Familie? Sekte. Du weißt, was sie mit unserem Geld gemacht haben, Vater, er… hat Sachen getan, Dinge… er hat…” Mike atmete schwer, hoffte, dass  “Ben, ich wollte nicht, es tut mir leid.” Bens Gesicht arbeitete, doch er antwortete nichts “Es gibt keine Aliens, sie werden uns nicht holen, sie werden uns nicht zu einem fremden Planeten mitnehmen… Wir… sind Menschen!” Ben nickte.

“Ich weiss… Es ist schwer, das zu begreifen. Ich meine… wir sind doch Freunde. Brüder… wir müssen mit Vater reden, müssen ihm die Sache austreiben… ich habe viel gelernt, Ben. Ich hatte ein halbes Jahr lang Zeit, nachzudenken. Es ist nicht vernünftig, dass…”

Er stoppte, als Bens kehliges Lachen sich im Wagen ausbreitet. Verwirrt blickt Mike in seine Richtung. “Das Geld… es kümmert uns nicht mehr. Weißt du, Vater hat mir eine Aufgabe gegeben, die ich erfülle. Bring ihn zu uns. Das waren seine Worte. Seine letzten Worte an mich, bis wir beide bei ihm sind.”

“Und wo ist er?” Mike fühlte, wie der Druck in seinem Rücken wuchs, fühlte die Fliehkräfte, die ihn auf dieser allzu bekannten Straße herumschleuderten “Fort… wie die anderen auch.” “Wohin sind sie denn…” Mike stoppte, als die Striche auf der Straße begannen, sich ineinanderzuschieben. Er fühlte sein Herz, fühlte, wie das Adrenalin durch seinen Kreislauf schoss, wie eine Gewehrkugel durch Zeitungspapier. “Der menschliche Körper kann in den Weiten des Weltraums nicht überleben, Mike. Vater hat das begriffen. Du, lieber Bruder, warst genau der Katalysator für seine Erkenntnis. Er merkte an dir, teurer Bruder, dass unser Fleisch viel zu sehr an dieser Welt hängt, dass uns die Wesen aus den Tiefen der Ewigkeit nicht als ihresgleichen akzeptieren können.” “Wo… wo ist Vater?!?” versuchte Mike hinter dem Aufheulen des Motors zu schreien. “In der Ewigkeit.” flüsterte Ben und blickte in die Schlucht, die sich vor ihm öffnete wie das Maul eines Drachen.

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